Soziales

So läuft eine Quartalstrauerfeier auf dem Mannheimer Hauptfriedhof ab

Bei „Quartalstrauerfeiern“ wie etwa auf dem Hauptfriedhof wird der Verstorbenen gedacht, die niemanden hatten, der sich um eine Trauerfeier kümmern konnte oder wollte. Pfarrerin Anne Ressel versucht vorab, etwas über die Menschen zu erfahren

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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„Aufstieg in das himmlische Paradies“: Karten mit diesem Hieronymus-Bosch-Motiv erhalten Trauernde bei der Quartalszeremonie als Erinnerung. © Gottesdienst-Institut

Am Eingang der Trauerhalle auf dem Mannheimer Hauptfriedhof prangt an diesem Freitag zwischen Namen von Verstorbenen und dem Beginn ihrer jeweiligen Abschiedszeremonie der Hinweis „12 Uhr: Quartalstrauerfeier“. Pfarrerin Anne Ressel spricht lieber von einem Gedenkgottesdienst für Verstorbene ohne eigene Trauerfeier. Vier Mal im Jahr wird Menschen gedacht, die niemanden hatten, der sich um eine individuelle Bestattung kümmern konnte oder wollte. Mal kommen viele Trauernde, aber meist nur wenige. Und manchmal bleiben die Stuhlreihen leer.

Bei der letzten Sammel-Abschiedszeremonie für 2023 gehört eine 83-jährige Witwe zum Kreis der gewürdigten Verstorbenen. Die einstige Sekretärin hatte nach ihrer Pensionierung noch ein aktives Leben mit vielen sozialen Kontakten geführt. Aber dann driftete die kinderlose Mannheimerin in eine von Vergessen geprägte Welt, bedurfte der Heimpflege und war auf gesetzliche Betreuung angewiesen.

Vornamen von 26 verstorbenen Mannheimerinnen und Mannheimern

Anne Ressel liest die Vornamen von jenen 26 Verstorbenen vor, denen der Gottesdienst gewidmet ist. Die Pfarrerin weiß, wer evangelisch oder katholisch war, welches Alter erreicht wurde. Während Else ein komplettes Jahrhundert vollendete, schaffte Karlheinz nicht einmal seinen 57. Geburtstag. Aber damit enden auch schon die Informationen. Über Aushänge in Häusern mit dem letzten Wohnsitz, über Heime oder Einrichtungen wie die Obdachlosen-Tagesstätte, den Drogenverein oder auch über soziale Plattformen hat die Seelsorgerin auch diesmal versucht, etwas Licht in das Leben der Verstorbenen zu bringen. Nicht selten verläuft die Spurensuche dürftig, oft auch erfolglos. Schicksale lassen sich nur erahnen.

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„Von den meisten, derer wir heute gedenken, weiß ich nichts. Über andere fand ich nur unsichere Informationen“, sagt Pfarrerin Ressel, bevor sie erzählt, dass Roswitha wohl Krankenschwester war und Ballett wie Reisen liebte. Beate, so scheint es, arbeitete bei der Metro und mochte Sinnsprüche und Schlagerparaden. Über Susanne hat die Seelsorgerin erfahren, dass diese ihre Hunde immer gut versorgte, obwohl das Geld knapp war. Und zum Geburtstag habe Susanne auf eigene Geschenke verzichtet und stattdessen für jemenitische Kinder gesammelt. Von Norbert kann die Pfarrerin berichten, dass dieser wohl einen Job bei der Awo fand und darauf stolz war. Über Else, Gerda, Ute, Karlheinz, Brigitte, Helmut, Doris, Andre, Horst, Heiko, Peter, Michael, Margarete, Markus, Erwin, Dieter, Lazar, Rainer, Dagmar und Helmut vermochte sie hingegen nichts in Erfahrung zu bringen. Als hätten diese Frauen und Männer nie gelebt.

Quartalstrauerfreier auf dem Mannheimer Hauptfriedhof: Ausführlicher Nachruf für Ingrid

Bei der letzten Quartalstrauerfeier vor dem Jahresende bekommt lediglich Ingrid einen ausführlichen Nachruf – weil der Betreuer und einige Weggefährten einen kleinen Lebenslauf zusammengestellt haben. Neben ihrer Urne prangt ein gerahmtes Porträt aus hellen Tagen. Es ist das erste Mal, dass Anne Ressel bei einer Sammel-Trauerfeier ein im Altarraum aufgestelltes Foto wahrnimmt. Ein paar Blümchen vielleicht, aber Persönliches wird zu Quartalstrauerfeiern so gut wie nie mitgebracht. Weniger als ein Dutzend Menschen nutzt den Gottesdienst, um zwei Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Für die 24 anderen ist niemand gekommen.

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Vor zehn Jahren initiierte Dekan-Stellvertreterin Anne Ressel, damals Diakoniepfarrerin, dass die Fachbereiche Friedhöfe, Ordnung und Sicherheit, Soziales, außerdem die beiden christlichen Kirchen gemeinsam über die Gestaltung „ortspolizeilicher Bestattungen“ nachdenken. Seit 2014 sind ökumenische Quartalstrauerfeiern, die Anne Ressel und eine katholische Pastoralreferentin mit Musik, Kerzenlicht, individueller Ansprache, Aussegnung und Gang zum Gemeinschaftsgrab zelebrieren, selbstverständlich. Im vergangenen Jahr sind bei solchen Abschieden 86 Menschen namentlich gewürdigt worden.

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Und wie läuft dies organisatorisch ab? „Wir leiten Namen an die Veranstalter der vier Trauerfeiern im Jahr weiter, bei denen wir wissen, dass diejenigen einer Mannheimer evangelischen oder katholischen Gemeinde angehören“, schildert Kevin Ittemann, Pressesprecher des Dezernats V. Diese Praxis gelte auch, „wenn Heimbewohner, Drogenvereine oder Freunde wie Bekannte anfragen, ob es eine Feier gibt“. Ittemann betont aber auch, dass akzeptiert werde, wenn Angehörige eine öffentliche Trauerfeier ablehnen.

Kosten für Verwandte und Freunde der Mannheimver Verstorbenen oft ein Hindernis

2022 haben Kliniken, Heime, Polizei oder Privatpersonen wie Vermieter die Stadt bei 514 Todesfällen aufgefordert, sich um Verstorbene zu kümmern – meist, weil keine Angehörige erreichbar waren. Manchmal, so Ittemann, seien zwar Verwandte oder Freunde bereit, eine Beerdigung auszurichten, würden aber wegen ihrer finanziellen Situation keinen Bestatter finden, der den Auftrag annimmt. Wenn der letzte Weg von Amts wegen erfolgt – 2022 wurden 294 Bestattungen ortspolizeilich angeordnet – dann ist eine Feuerbestattung üblich, klärt der Rathaussprecher auf, schränkt aber ein: „Sofern keine religiösen oder persönlichen Gründe dagegen sprechen.“ Grundsätzlich gelte die Regel: Anfallende Kosten – durchschnittlich zwischen 2500 und 2700 Euro – werden bei „bestattungspflichtigen“ Angehörigen eingefordert. Lediglich die Quartalstrauerfeier taucht in keiner Gebührenrechnung auf.

Freie Autorin

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