Religion - In der Feudenheimer Johanneskirche beten Hunderte Gläubige für den Frieden in ihrer Heimat

So feiern Menschen aus der Ukraine das orthodoxe Osterfest in Mannheim

Von 
Valerie Gerards
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Priester Petro Bokanov beim ukrainisch-orthodoxen Osterfest in der Feudenheimer Johanneskirche. © Valerie Gerards

Mannheim. Es ist Tag 58. Diese Antwort geben Ukrainer, wenn sie am orthodoxen Ostersonntag nach dem Datum gefragt werden. Denn seit Kriegsbeginn zählen sie die Tage, in denen ihr Land in dem russischen Angriffskrieg kämpfen muss. Das kalendarische Datum zählt derzeit nicht mehr. Die evangelische Johanneskirche in Feudenheim ist an diesem für viele Orthodoxe höchsten religiösen Feiertag voll mit Menschen, die ihr Heimatland verlassen mussten und nun für den Frieden in der Ukraine beten: molytysya za myr v Ukrayini.

Es ist 12.40 Uhr, als der Gottesdienst beginnt. Priester Petro Bokanov hat sich eine Dreiviertelstunde verspätet, weil er zuvor einen Gottesdienst in Frankfurt abgehalten hat. Während er sich seinen Talar überzieht und die zuvor vor dem Gotteshaus geduldig Wartenden in die Kirche strömen, setzen die russischen Streitkräfte ihre Raketen- und Artillerieangriffe in der Ukraine trotz des auch für sie wichtigen Osterfests mit brutaler Härte fort. Nach Angaben des Sprechers des russischen Verteidigungsministeriums Igor Konaschenkow werden bei den Angriffen 150 ukrainische Kämpfer getötet. Wie viele Zivilisten umkommen, wird nicht gesagt.

Auf den Treppen vor dem Altar stehen die bunt geschmückten Körbe mit Osterkuchen, Eiern und Kerzen. So ist es Tradition. Jede Familie bringt ein Körbchen mit, das am Ende des Gottesdienstes mit Weihwasser gesegnet wird. Weil sich die orthodoxe Kirche nach dem Julianischen Kalender richtet, wird Ostern eine Woche nach dem christlichen Osterfest gefeiert.

Viele Gäste von außerhalb

Normalerweise kommen nur etwa 25 ukrainisch-orthodoxe Besucher zum Osterfest in die Johanneskirche. An diesem Sonntag stehen auf der Treppe vor dem Altar an die 200 Körbe, die Kirche ist voll bis auf den letzten Platz, viele müssen im Gang und hinter den letzten Kirchenbänken stehen.

Viele Gläubige haben einen weiteren Anfahrtsweg auf sich genommen, um den Gottesdienst in Feudenheim mit ihren Landsleuten zu feiern. Lena Bot-Klein und ihre Familie sind aus Maxdorf gekommen – zusammen mit zwei Frauen und drei Kindern, die sie bei sich aufgenommen haben.

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Von
Viktoriia Ovcharova 
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„Für viele Geflüchtete ist es wegen des Krieges ganz besonders wichtig, einen ukrainischen Gottesdienst zu besuchen und keinen russischen“, erklärt die Frau mit ukrainischen Wurzeln, warum die Gläubigen dieses Jahr aus dem ganzen Rhein-Neckar-Raum in die Johanneskirche kommen. Sie fühlten sich von russisch-orthodoxen Kirchen verraten, die bei Luftangriffen auf ukrainische Städte und Dörfer die Glocken nicht geläutet hätten, um die Bevölkerung vor den Angriffen zu warnen, und bei jedem Gottesdienst für den russischen Staatspräsidenten und Kriegstreiber Wladimir Putin beten würden.

„Isus voskres“ – Jesus ist auferstanden – intoniert Priester Petro Bokanov immer wieder. „Ja, das ist wahr“, antwortet die Gemeinde. Wie bei den Christen ist auch bei den Orthodoxen Ostern ein Tag der Freude. Die Gläubigen haben sich schön gemacht für den Feiertag.

Viele Frauen tragen die traditionelle ukrainische Wyschywanka, eine weiße, mit bunten Blumen bestickte Bluse. Doch Priester Bokanov blickt in viele traurige Gesichter und spricht die Gläubigen direkt an. Es sei zum ersten Mal wieder ein Osterfest, das mit Blut geweiht sei. „Er wünscht uns, dass wir keine Angst haben. Dass wir daran glauben, dass das Gute das Böse besiegt, unabhängig von Gott“, übersetzt Lena Bot-Klein aus Maxdorf.

Gesegnete Körbe für alle

Dann weint sie. Ihre Eltern seien in der Ukraine geblieben. Morgen würde sie sie wieder anrufen, um zu hören, ob sie noch leben. Die Eltern würden in der Lebensmittelbranche arbeiten und viele Menschen beschäftigen, die ihre Gehälter bräuchten: „Sie sagen, wenn alle aufgeben, dann haben wir nichts, wofür es sich zu kämpfen lohnt.“

Der Gottesdienst ist nach rund einer Stunde zu Ende. Die Gläubigen nehmen ihre gesegneten Osterkörbe und begeben sich nach draußen. Dort essen sie gemeinsam die Osterkuchen – und denken an die vielen Menschen in der Heimat, die zurückgeblieben sind, sich vor den Angriffen in Sicherheit bringen oder an der Front kämpfen müssen. Ostern ist das Fest des Friedens. Es ist das, was sie sich nicht nur an diesem Tag von Herzen wünschen.

Freie Autorin

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