Mannheim. Sie sollte in ihrer Jugend ermordet werden – und hat als Frau ein biblisches Alter erreicht: Margot Friedländer. Der Tod der 103-jährigen Zeitzeugin am Freitag hat auch in Mannheim tiefe Betroffenheit ausgelöst. Ein Porträt von ihr ist derzeit am Wasserturm im Rahmen von Luigi Toscanos Ausstellung „Gegen das Vergessen“ zu sehen – dem weltweit beachteten Projekt, für das der Mannheimer Fotograf Überlebende des Holocaust porträtiert hat. Über das Wochenende hinweg werden vor dem Bild der Verstorbenen Blumen und Kerzen niedergelegt.
Die Anteilnahme sei „etwas Besonderes“, sagt Toscano am Samstagabend dieser Redaktion. „Das ist sehr rührig“ – und zeige, dass die Ausstellung „lebendig ist“, erklärt er. „Die Blumen sind ein wahnsinnig gutes Zeichen.“
Große Resonanz: Porträtschau am Mannheimer Wasserturm um eine Woche verlängert
Am Samstag bleiben Jonas Kahl und Carola Bähr vor dem Foto stehen. Das Ehepaar Mitte 30 hatte erst unter der Woche die Porträts der Holocaust-Überlebenden angeschaut. Sie hätten Margot Friedländer – „diese kleine und zierliche Frau“, wie Kahl sie beschreibt – für ihre Energie und Erinnerungsarbeit in den letzten Lebensjahren bewundert. Auch deshalb sei es ihnen wichtig gewesen, noch einmal vor das Porträt zu treten. Etwas später bleibt Karl H. stehen. Er habe während der Übertragung des Deutschen Filmpreises im ZDF am Freitagabend vom Tod Friedländers erfahren. „In diesem Alter war das natürlich abzusehen. Und trotzdem hat mich das sehr getroffen.“
Am Freitag, ihrem Todestag, ist Luigi Toscano 53 geworden. Über gemeinsame Bekannte habe er etwas früher als die Öffentlichkeit bereits erfahren, „dass Margot anfängt einzuschlafen“, erzählt er. Seine erste Begegnung mit ihr liege etwa zehn Jahre zurück. Damals sei sie noch nicht in jenem öffentlichen Fokus gestanden, der sie in ihren letzten Lebensjahren begleitete. Kurz darauf, im Vorfeld einer Ausstellung, sei er bei einem Gespräch zwischen Friedländer und Esra, einem jugendlichen palästinensischen Mädchen, dabei gewesen. „Margot hat uns an die Hand genommen und ihre berühmten Worte gesagt: ,Es gibt kein jüdisches Blut, kein arabisches Blut, kein christliches Blut. Wir alle haben das gleiche Blut. Wir alle sind gleich. Wir alle sind Menschen.‘“ Dieser Moment habe ihn tief geprägt. „Die Symbolik, dass eine Jüdin, ein palästinensisches Mädchen und ich da zusammenstanden, hat mich sehr bewegt.“
Bei aller Trauer freut sich Toscano indes darüber, dass die Ausstellung am Wasserturm um eine Woche bis 18. Mai verlängert wird – das habe ihm die Stadtverwaltung mitgeteilt. Kulturbürgermeister Thorsten Riehle (SPD) bestätigt das am Sonntagvormittag: Die Resonanz sei groß, viele Menschen hätten sich eine Verlängerung gewünscht, um die Schau noch besuchen zu können.
Gemeinsam mit einigen Sozialdemokraten sowie mit der SPD-Stadträtin und Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Heidrun Deborah Kämper, habe auch er am Wochenende Blumen niedergelegt, berichtet Riehle. „Damit ehren wir diese unglaubliche Frau, deren Stimme fehlen wird.“
Zurück am Wasserturm: Am Sonntagvormittag liegt dort, eingerahmt von Blumen, Kerzen und einem roten Kranz, auch ein Blatt Papier. „Seid Menschen!“, steht darauf. Es ist Margot Friedländers Vermächtnis – leise, klar und kraftvoll. Es hallt nach. Auch in Mannheim.
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