Mannheim. Auf zwölf Seiten steht elf Mal das Wort „unzureichend“. Dieses harte Urteil hat ein Sachverständiger über die Planungen für den Rettungsdienst in Mannheim gefällt. Das Papier liegt dieser Redaktion vor. Sprechen will aber niemand darüber. Vom Bereichsausschuss, der für den Rettungsdienst verantwortlich ist, gab es auf Anfrage bis zum Redaktionsschluss keine Stellungnahme. Von der Stadt auch nicht.
Das Papier stammt von der Firma Forplan, seit 36 Jahren spezialisiert auf Rettungsdienst und Feuerwehr in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mehr als 800 Gutachten haben die Experten verfasst, auch für das Rote Kreuz Mannheim waren sie schon tätig. Diesmal fungierte die Stadt als Auftraggeber, in ihrer Funktion als Rechtsaufsicht des Rettungsdienstes.
Harte Kritik an den Alleingängen
Mannheim ist seit 1. April 2020 ein eigener Rettungsdienstbereich, nicht mehr gemeinsam mit Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis. Seither ist ein Plan darüber, wo und wann welche Rettungswagen sowie Notärzte zur Verfügung stehen, überfällig. Einen Entwurf dafür gibt es seit August 2020, mit zwei Nachträgen. Erarbeitet wurde er von Vertretern der Rettungsorganisationen und der Krankenkassen. Die Stadt hat diesen Entwurf aber noch nicht genehmigt. Sie wollte vorher eine Prüfung auf Plausibilität – daher der Forplan-Auftrag.
An die Firma ging aber noch ein zweiter Prüfauftrag. Zum 1. Juli hat der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) in einem ehemaligen Getränkehandel in Sandhofen eine eigene Rettungswache eingerichtet. Dazu wurde einer der bisher vier in Käfertal stationierten Rettungswagen dort abgezogen und in Sandhofen stationiert. Der ASB argumentierte, er könne so Notfälle im Mannheimer Norden besser abdecken. Die Stadt und Stadträte fast aller Fraktionen kritisierten das als Alleingang. Sie hielten statt einer Verlegung eher ein zusätzliches Fahrzeug im Norden und auch einen weiteren Wagen im Süden der Stadt für erforderlich. Die Kosten müssten die Krankenkassen decken. Doch dafür fehlt bisher die Grundlage – denn das wäre der neue Bereichsplan.
Der Gutachter versichert in dem Papier, dass es nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik sowie unabhängig und weisungsfrei erstellt worden ist. Der den Experten vorgelegte Plan dagegen, so das Urteil, sei nicht Stand der Technik.
Rettungsdienst-Begriffe
- Hilfsfrist: Laut Rettungsdienstgesetz Baden-Württemberg soll „die Zeit vom Eingang der Notfallmeldung in der Rettungsleitstelle bis zum Eintreffen der Hilfe am Notfallort an Straßen (. . . ) nicht mehr als zehn, höchstens 15 Minuten betragen“. Ziel ist, das in 95 Prozent der Fälle zu schaffen.
- Anderswo ist das kürzer: In Nordrhein-Westfalen sind es fünf bis acht Minuten, in Hessen zehn Minuten in 90 Prozent der Fälle, in Bremen zehn Minuten, in Sachsen und im Saarland zwölf Minuten.
- Bereichsausschuss: Der Rettungsdienst ist in Baden-Württemberg den Rettungsorganisationen übertragen. Entscheidungen fallen mit den Krankenkassen im Bereichsausschuss. Die Stadt hat nur Gastrecht.
- Rettungswachen: Die Johanniter in Friedrichsfeld haben zwei 24-Stunden-Rettungswagen und ein Fahrzeug mit sieben Stunden, das DRK zwei Rettungswagen 24-Stunden am Parkring stationiert, hinzu kommen zwei Fahrzeuge mit 16 und acht Stunden, die Malteser besetzen einen 24-Stunden-Wagen, der ASB einen in Sandhofen und zudem in Käfertal zwei 24-Stunden-Fahrzeuge und einen Wagen für 15 Stunden (jeweils Zeiten werktags, Wochenende etwas weniger). pwr
Leitstelle: Personal, die Dienstzeiten und die Frage, wie sicher die Rettungsleitstelle gegen Ausfälle gewappnet ist, seien „nicht plausibel und nicht nachvollziehbar“ sowie unzureichend.
Rettungswachen: Die Standorte seien „nicht plausibel und nicht nachvollziehbar“. Insbesondere wäre nicht dargelegt, ob die Standortverteilung der gesetzlichen Vorgabe entspreche, wonach der Rettungsdienst „fachgerecht, leistungsfähig und wirtschaftlich“ durchgeführt werden muss.
Fahrzeitenanalyse: Die vom Bereichsausschuss angenommenen Zeiten, wie lange ein Rettungswagen bis zum Ausrücken sowie dann bis zum Notfallort braucht, seien „nicht plausibel und nicht nachvollziehbar“. Den Vergleich mit Landeswerten hält der Gutachter in einer Großstadt für „fachlich ungeeignet“; Maßnahmen zur Verbesserung der Werte fehlten.
Hilfsfrist: Auch hier schreibt Forplan, die Daten, ob und wie oft die Hilfsfrist in 2019 und 2020 eingehalten worden sei, wären „nicht nachvollziehbar und nicht zu plausibilisieren“. Die vorgelegten Zahlen zur Einhaltung der Hilfsfrist seien „als Nachweis nicht geeignet und somit zu bemängeln“. Eine „qualifizierte Herleitung“ von Maßnahmen und Daten fehle „regelhaft“.
Sandhofen: „Nicht nachvollziehbar und nicht plausibel“ nennt die Gutachterfirma die Verlagerung eines Rettungswagens von Käfertal nach Sandhofen. „Die isolierte Beplanung einzelner Stadtteile“ genüge nicht einer fachgerechten Standortplanung und sei „als mangelhaft zu bewerten“. Das Argument des Bereichsausschusses, mit der Verlagerung könne der Mannheimer Norden besser versorgt und umgekehrt die Neckarstadt leichter von der Rettungswache Lagerstraße abgedeckt werden, sei eine Prognose, die „erhebliche Mängel“ aufweise, sie sei „nicht geeignet, die Verlagerung nach Sandhofen zu begründen“.
Keine Stellungnahme zu bekommen
Der Bereichsausschuss hat Informationen dieser Redaktion zufolge ein Gegengutachten in Auftrag gegeben. Eine Anfrage mit der Bitte um Stellungnahme blieb unbeantwortet. Zuletzt verwies der Bereichsausschuss darauf, dass Mannheim im Bericht der Stelle zur Qualitätssicherung im Rettungsdienst wesentlich besser abschneide und da bei der Hilfsfrist den zweitbesten Wert in ganz Baden-Württemberg erreiche.
Von der Stadt, obwohl Auftraggeber, gab es auf Anfrage bis zum Abend auch keinen Kommentar. Im Sicherheitsausschuss des Gemeinderats steht das Thema Rettungsdienst am Dienstag zwar auf der Tagesordnung, aber nicht das Gutachten. Dem Vernehmen nach will die Stadt den seit Monaten hinter den Kulissen heftig tobenden Streit mit Rettungsorganisationen und Krankenkassen nicht anheizen, sondern sucht eine diskrete Lösung hinter verschlossenen Türen, wenn der Bereichsausschuss wieder einmal tagt.
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