Frau Altmann-Dieses, vor ein paar Tagen hat das Semester begonnen - Ihr zweites als Rektorin der Hochschule Mannheim. Wie haben Sie sich eingelebt?
Angelika Altmann-Dieses: Sehr gut. Ich wurde herzlich aufgenommen und habe die ersten Wochen damit zugebracht, dass ich mal an jede Tür geklopft habe. Es war mir wichtig, mit möglichst vielen Menschen zu sprechen. Dabei habe ich erfahren, dass wir als Hochschule Mannheim noch Luft nach oben haben, wenn es darum geht, bekannter zu werden. Als Hochschule Mannheim müssen wir uns wieder mehr als die technische Hochschule in der Metropolregion positionieren, die wir sind. Ich denke, dass wir im Rektorat jetzt eine gute Mischung haben, aus Menschen, die die Hochschule in- und auswendig kennen, und uns beiden - mich und den neuen Kanzler Philipp von Ritter zu Groenesteyn -, die aber aus dem Hochschulumfeld in Baden-Württemberg kommen und deshalb landestypische Probleme kennen.
Die Hochschule will sich wieder mehr als die technische Hochschule in der Region profilieren. Gerade in diesen Studiengängen gibt es aber einen großen Fachkräftemangel. Auch in Mannheim?
Altmann-Dieses: Den erleben wir deutschlandweit - und deshalb auch bei uns. Vor zwei Wochen haben bei uns mehr als 640 Erstsemester begonnen. Wir haben eine Gesamtauslastung von 98 Prozent, im Bachelor bei 99 Prozent. Damit liegen wir etwas über dem Niveau des letzten Jahres. Wir sehen aber, wie sich das Ganze verschoben hat. In der Elektrotechnik und im Maschinenbau liegen wir im Bachelor knapp unter 60 Prozent. Nachhaltige technische Prozesse ist gerade mal zu knapp der Hälfte ausgelastet. Biotechnologie war bislang unser Zugpferd: Da lagen wir im letzten Sommer bei deutlich über 100 Prozent - in diesem Semester nur noch bei knapp über 70 Prozent. Das stimmt uns sehr nachdenklich.
Da fragt man sich, wo die ganzen Studis sind.
Altmann-Dieses: Salopp gesagt, läuft alles, was mit Informatik zu tun hat, sehr gut. Informationstechnik-Elektronik ist mit knapp über 100 Prozent ausgelastet, Medizintechnik und Wirtschaftsingenieur sowieso. Die Technische Informatik ist fast voll. Wirtschaftsingenieurwesen ist mehr als ein Drittel überzeichnet (mehr Immatrikulationen als ursprünglich geplante Plätze, Anm.). Und wir haben die ständigen Konstanten: Kommunikationsdesign und Soziale Arbeit sind ausgelastet.
Seit Oktober 2023 Rektorin
- Angelika Altmann-Dieses wurde 1971 geboren und leitet seit Oktober 2023 als Rektorin die Hochschule Mannheim.
- Altmann-Dieses studierte an der Universität Heidelberg und an der im englischen Oxford Mathematik.
- Zwischen 2001 und 2008 arbeitete Altmann-Dieses bei der BASF, ehe sie als Professorin für Mathematik an die Hochschule Karlsruhe wechselte.
- Dort war Altmann-Dieses von 2018 bis zu ihrem Wechsel nach Mannheim auch Prorektorin für Studium, Lehre und Internationales.
- Im Mitte März gestarteten Sommersemester studieren etwa 5200 Menschen an der Hochschule.
Was kann die Hochschule machen, um mehr Studierende in die schwachen Fächer zu bekommen?
Altmann-Dieses: Wir starten zum Wintersemester den Studiengang KI-Ingenieurwissenschaften. Der Studiengang vereint Ingenieurwissenschaften und KI. Wir müssen Inhalte neu denken und die Curricula auf dem neusten Stand halten. Wir müssen an unserer Marke arbeiten, wollen aber auch neue Zielgruppen erschließen.
Welche?
Altmann-Dieses: Wir müssen uns auch auf internationale Studierende konzentrieren. Daher freut es mich, dass der DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst/Anm.) die Hochschule Mannheim künftig mit knapp 1 Million Euro fördert, um internationale Talente zu gewinnen und später in den lokalen Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir müssen Elektrotechnik, Maschinenbau oder Verfahrenstechnik für ausländische Regelstudierende auch mit englischsprachigen Einstiegsoptionen attraktiver gestalten. Zur Attraktivität gehört auch eine stärkere Kooperation mit Firmen. Die Region hat wirtschaftlich so viel zu bieten, gerade für ausländische Studierende. Das haben wir noch nicht voll ausgeschöpft. Wir wollen den praktischen Teil - den wir mit Praxissemester und Bachelorarbeiten in Unternehmen schon haben - ausbauen.
Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig. Es hilft sicher auch, internationale Studierende zu locken und mit Firmen stärker zu kooperieren. Dass Studiengänge teilweise nur zur Hälfte ausgelastet sind, kann doch aber nicht nur daran liegen, dass das bislang zu wenig geschehen ist. Das muss doch tiefergehende, strukturelle Gründe haben.
Altmann-Dieses: Wir sehen in Mannheim genau das, was wir im Land sehen: Elektrotechnik und Maschinenbau sind die großen Baustellen. Die Zahlen für Baden-Württemberg sind laut einer Studie aus dem Jahr 2022, an der auch ich mitgewirkt habe, spannend. Sie zeigen, dass wir eine stärkere Abwanderung von Studierenden aus Baden-Württemberg haben als Zuwanderung aus anderen Ländern. Wir verlieren insgesamt 35 200 Jugendliche, die hier ihre Hochschulzugangsberechtigung erworben haben, aber in einem anderen Bundesland studieren. In Ingenieurstudiengängen liegt das Negativsaldo bei 3100. Das sind potentielle Fachkräfte von morgen, die uns fehlen.
Sind Angebot und Lehre hier so viel schlechter als anderswo?
Altmann-Dieses: Die Zahlen überraschen, weil Baden-Württemberg viel Geld investiert hat. Wir haben hier exzellente Hochschulen. Die vom Land finanzierten Maßnahmen zur Anhebung des Studienerfolgs und der Verringerung des Studienabbruchs zeigen im Bundesvergleich deutliche Erfolge. Das Land versucht, eine Antwort darauf zu finden. Beispielsweise soll eine in Kürze startende bundesweite Dachkampagne die Attraktivität von Baden-Württemberg als Studienstandort für die Ingenieurwissenschaften weiter stärken. Die Probleme sind vielschichtig. Auch bezahlbarer Wohnraum ist schwer zu finden, wenn Sie an Stuttgart denken. Mannheim steht da zwar vergleichsweise noch gut da. Aber auch hier ist das ein Thema. Wir benötigen dringend mehr Wohnheimplätze. Und für ausländische Studierende gilt es, noch einen weiteren Punkt zu überdenken.
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Welchen?
Altmann-Dieses: Die Studiengebühren, die Baden-Württemberg 2017/18 als einziges Land in Deutschland für die eingeführt hat, die von außerhalb der EU kommen, sind ein großer Wettbewerbsnachteil für uns. 1500 Euro pro Semester sind viel Geld. Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass seit Einführung der Gebühren insbesondere in Ingenieurwissenschaften die Zahlen eingebrochen sind. In Baden-Württemberg ist die Zahl der ausländischen Erstsemester in der Elektro- und Informationstechnik zwischen 2012 und 2019 um sieben Prozent zurückgegangen. Auf Bundesebene ist sie im selben Zeitraum aber um 43 Prozent gestiegen. In Maschinenbau und Verfahrenstechnik haben wir im Land einen Rückgang von 23 Prozent, auf Bundesebene einen Anstieg um 29 Prozent.
Wieso reagiert die Politik nicht darauf?
Altmann-Dieses: Ich denke, die Zahlen sprechen für sich, und es ist etwas in Bewegung gekommen. Ich gehe davon aus, dass die Studiengebühren bald fallen werden. Wenn das passiert, müssen wir alles daransetzen, Möglichkeiten für ausländische Studierende zu schaffen, um hier Fuß zu fassen. Wir müssen uns noch mehr um Integration bemühen.
Wie gelingt das?
Altmann-Dieses: Das fängt damit an, wie schnell Studierende ein Visum und eine Arbeitsgenehmigung bekommen. An Hochschulen müssen wir mehr englischsprachige Studienangebote in den ersten Semestern und darüber hinaus etablieren. Wir müssen ausländische Studierende auf dem Wohnungsmarkt unterstützen und können Tandems mit deutschen Kommilitonen bilden, die sie im Studium und in der Freizeit unterstützen.
Wie wollen Sie auch wieder mehr inländische Studierende gewinnen? Das ist doch die größere Zielgruppe.
Altmann-Dieses: Wir müssen zum Beispiel an Schulen mehr Werbung für das breite Technik-Angebot machen, das wir zweifelsohne haben. Wir wissen, dass der Anteil der Jugendlichen, die auf ein Gymnasium gehen, größer wird. In Gymnasien findet man aber kaum Technik-Fächer. Auch Lehrkräfte haben fast alle an Universitäten studiert und kennen das Modell und die Stärken der HAWs (Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, Anm.) nicht. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir Kooperationen mit Schulen ausbauen. Wir müssen Kinder und Jugendliche viel früher für Technik begeistern. Wenn wir damit erst anfangen, wenn sie unmittelbar vor der Frage stehen, was sie studieren, hilft auch Marketing nur noch bedingt, um Fachkräfte für die Region auszubilden.
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Gibt es denn Zahlen, die belegen, wie stark die Wahl des Studienstandorts darüber entscheidet, ob Absolventinnen und Absolventen nach dem Studium auch vor Ort bleiben?
Altmann-Dieses: Für Mannheim gibt es die momentan nicht. Deshalb müssen wir auch die Alumni-Pflege stärken angehen, um diese Daten zu erheben.
Es wäre gerade mit Blick auf das Thema Fachkräfteausbildung für die Region interessant zu wissen, wie wichtig die Wahl des Studienorts für den Lebenslauf ist.
Altmann-Dieses: Absolut. Ich sehe das große Interesse, das uns Unternehmen als der technischen Hochschule in der Region entgegenbringen. Das deutet darauf hin, dass es eine hohe Bindung zwischen Hochschulstandort und künftigem Arbeitgeber gibt.
Liegt der Grund für das fehlende Interesse an Maschinenbau nicht auch daran, dass durch politische Diskussionen um die technische Transformation Jugendliche unsicher sind, ob sie eine Perspektive haben? Im Sozialwesen scheint die Hochschule Mannheim ja stark nachgefragt zu sein.
Altmann-Dieses: Wir sehen auch, dass alles, was mit Informatik zu tun hat, regelrecht fliegt und teilweise deutlich überbucht ist - nicht nur in Mannheim. Das ist eine Folge des Tenors, dass man in Informatik gute Perspektiven hat. Wir müssen stärker betonen, dass sich das Maschinenbau-Studium verändert hat und noch zeitgemäß ist. Deshalb werden wir KI-Ingenieurwissenschaften anbieten. Künstliche Intelligenz und Informatik müssen in das Maschinenbaustudium integriert werden. Maschinenbau ist nicht mehr das, was Eltern vor vielleicht 20, 30 Jahren studiert haben. Diese Botschaft müssen wir transportieren. Natürlich beeinflussen Diskussionen wie um den Verbrenner- und E-Motor, was uns im Südwesten stark betrifft, das Bild vom Maschinenbau. Das bedeutet aber nicht, dass Maschinenbau überflüssig ist. Wir müssen unsere Studienangebote permanent weiterentwickeln und das, was wir machen, breiter streuen. Der Bedarf ist da. Junge Menschen sind wegen der vielen Diskussionen derzeit natürlich verunsichert. Das wird perspektivisch auch andere Fächer betreffen.
Welche?
Altmann-Dieses: Ich bin gespannt, was sich im Bereich der Informatik tut, wenn es eine öffentliche Diskussion darüber gibt, dass Künstliche Intelligenz den Beruf des Programmierers verändern wird. Auch darauf werden wir inhaltlich reagieren müssen. Uns wird nicht langweilig (lacht). Wir dürfen Jugendliche aber auch nicht überfordern. Es gibt inzwischen so viele Studiengänge - wie soll man sich als junger Mensch da zurechtfinden? Deshalb müssen wir Jugendliche, gerade nach Corona, an die Hand nehmen, und zum Beispiel mit Campustagen noch viel stärker über Inhalte informieren.
Apropos Corona: Ihre Kolleginnen und Kollegen der DHBW registrieren in naturwissenschaftlichen Fächern in der Breite einen Kompetenzrückgang der Studierenden. Spüren Sie den auch?
Altmann-Dieses: Gerade als Mathematikerin kann ich das bestätigen. Aus den Schulen kommen jetzt die Corona-Jahrgänge, in denen die Mathematik-Kenntnisse massiv gelitten haben. Wir haben immer noch Studierende, die top sind - wir haben aber auch mehr als früher diejenigen, die viel mehr Unterstützung brauchen. Die Gruppen sind, was die Leistung betrifft, heterogener geworden. Wir müssen darauf mit mehr Unterstützungsprogrammen und innovativen Lehr- und Lernformaten reagieren, was wir mit unseren kleinen Gruppen an HAWs auch besser können als Universitäten. Es bringt nichts, nur Menschen in die Studiengänge reinzuholen - wir müssen sie auch zum Studienerfolg führen.
Die Pandemie-Nachwirkungen werden Jahre anhalten. Sorgen Sie sich also um den Wirtschafts- und Technikstandort?
Altmann-Dieses: Zumindest dürfen wir uns auf keinen Fall entspannt zurücklehnen. Auch die Diskussionen um Firmen, die abwandern, tragen zur Verunsicherung bei. Ich appelliere deshalb auch an die Unternehmen in der Region, trotz einer derzeit nicht ganz so guten wirtschaftlichen Perspektive, uns bei der Ausbildung von Fachkräften weiter zu unterstützen. Es ist falsch, wenn man jetzt weniger oder gar keine Werkstudenten mehr einstellt. Leider haben wir schon Signale in diese Richtung bekommen. Ich verstehe Firmen zwar, wenn sie zum Beispiel selbst kündigen müssen, dass sie keine Studierenden mehr einstellen. Auf der anderen Seite ist die Pipeline in vier, fünf, sechs Jahren leer, wenn sie nicht heute schon die Grundlagen dafür legen.
Was macht Ihnen als Rektorin der Hochschule Mannheim Hoffnung?
Altmann-Dieses: Wir haben hier eine echte Aufbruchstimmung an der Hochschule Mannheim. Mir macht Hoffnung, dass unser Studienangebot mit einem hohen Anteil an professoraler Lehre und top-ausgestatteten Laboren zukunftsfähig ist. Das sieht man daran, dass wir unter den fünf forschungsstärksten HAWs in Baden-Württemberg sind. Außerdem sind wir im Zentrum einer wirtschaftlich immer noch starken Metropolregion. Ich sehe uns als Hochschule gut aufgestellt, wenn wir an kleinen Stellschrauben drehen, über die wir gesprochen haben.
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