Mannheim. Wegen „aktueller politischer und globaler Entwicklungen“ ist eine rassismuskritische Beratungsstelle „auch in Mannheim von noch größerer Bedeutung“, sagt Ulrike Wischnewski, Beraterin der neuen hiesigen weact-Beratungsstelle. Diese ist eine von zehn neuen Beratungsstellen in Deutschland. Das Besondere: Die Beratung kommt aus den von Rassismus betroffenen Communties selbst.
Die Träger der Anlaufstellen bestehen aus mehr als 30 unterschiedlichen Communities. So ist in Bielefeld etwa Träger ein Migrantennetzwerk, in Lübeck die Interkulturelle Beratungsstelle - und in Mannheim die Hildegard-Lagrenne-Stiftung, die nicht nur im selben Gebäude wie der Landesverband der Sinti und Roma sitzt, sondern das Ziel teilt, gegen Rassismus gegen Sinti und Roma zu kämpfen.
Beratung weact in Mannheim: "Stehen auf der Seite der Getroffenen"
Beim Beraten stehe man „klar auf der Seite der ratsuchenden Person“, machen Wischnewski und ihre Kollegin Carmen Montes deutlich. Nach der Rassismuserfahrung möchte man mit der betroffenen Person Strategien und Handlungsoptionen entwickeln: „Weil wir Teil des bundesweiten Projektes sind, können wir auf ein bundesweites Team von Beraterinnen und Beratern zurückgreifen, um uns zu unterstützen“, so Montes.
Kontakt und Infos über weact-Beratungsstelle
- Das weact-Projekt läuft noch bis Ende 2025. Es wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Antirassismus gefördert und ist ein Projekt des „Bundesverband Netzwerke von Migrant*innenorganisationen“.
- 12 Träger, vorwiegend in kommunalen Migrantenorganisationen, gestalten vor Ort Aufbau, Erprobung und Professionialisierung mit: In Augsburg, Nürnberg und München, Bensheim, Bielefeld, Bochum, Braunschweig, Köln, Münster, Neumünster, Hannover sowie Mannheim und Region.
- An fünf von den oben genannten zehn Standorten gestalten die Organisationen zusätzlich diskriminierungskritische Öffnungsprozesse mit den Kommunen mit: Es finden Dialoge in lokalen Denkfabriken und Steuerungsgruppen statt (Augsburg, Nürnberg und München/Bayern, Bensheim/Mannheim, Bielefeld, Braunschweig, Münster).
- Spezifika der weact-Beratungsstellen sind: „Mehrsprachige, ortsnahe, parteiische, vertrauensvolle, differenz- und kultursensible sowie machtkritische Beratung/Begleitung unter Berücksichtigung intersektionaler Aspekte“, heißt es von der Organisation.
- An den Anlauf- und Beratungsstellen arbeiten Ehren- und Hauptamtliche miteinander. Die Mitarbeitenden beraten in face-to-face-Gesprächen, digital, telefonisch, insbesondere aufsuchend, vor allem für Menschen im ländlichen Raum oder aus den Gemeinschaftsunterkünften.
Doch was genau ist Rassismuskritik, die auch im Namen der Beratung steckt? Zu diesem Thema forscht unter anderem der Psychologe und Erziehungswissenschaftler Paul Mecheril. Er sagt, man solle einmal bei sich im Alltag anfangen, um sie zu verstehen. Und empfiehlt, sich mal in ein öffentliches Verkehrsmittel zu setzen und die Augen zu schließen: „Achten Sie darauf, wie Sie selbst auf Sprachen unterschiedlich reagieren. Wie in Ihren Reaktionen das informelle Prestige der unterschiedlichen Sprachen eine affektive Resonanz erzeugt. Ich bin ganz sicher: Wenn da hinter ihnen jemand in so einem australischen Akzent spricht, das ist echt sexy. Wow“, so Mecheril ironisch. „Aber wenn es ein arabischer Akzent ist ... hmm.“
Achten Sie darauf, wie Sie selbst auf Sprachen unterschiedlich reagieren. Wie in Ihren Reaktionen das informelle Prestige der unterschiedlichen Sprachen eine affektive Resonanz erzeugt. Ich bin ganz sicher: Wenn da hinter ihnen jemand in so einem australischen Akzent spricht, das ist echt sexy. Wow. Aber wenn es ein arabischer Akzent ist ... hmm.
Mecheril sagt: „Es gibt einen Unterschied. Und dieses unterschiedliche Prestige der Sprachen hat etwas mit einer Hierarchie zu tun, die an rassistische Hierarchien anknüpft und sie reproduziert.“ Mecheril betont am Beispiel „Sprache“: „Sie kann ein Versteck von Rassekonstruktion sein.“
Und aus Rassekonstruktion resultiert oft Hass, Stigma oder Entmenschlichung. Darauf hatte Mecheril zuletzt bei einer Lesung der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur hingewiesen. Denn sei es in der Schule, auf der Arbeit oder in Institutionen oder Behörden - wer Forschung und Medien aufmerksam verfolgt, merkt: Rassismus ist strukturell. Bewusst wie unbewusst.
Beratungsstelle weact in Mannheim will Ausmaß von Rassismus sichtbar machen
Hierzu will weact Gegenstruktur sein. Man wolle, dass das „Ausmaß von Rassismus sichtbarer gemacht wird“. Und dass er „gemeldet, strukturelles Benachteiligen beim Namen genannt und damit besprechbarer wird“, so die Dachorganisation. Mittels Social Media sowie Pod- und Videocasts werden bald Stimmen der Getroffenen hörbar. „Ein wertvoller Wissenstransfer findet zudem bei der Beratung statt und lässt gegebenenfalls wiederkehrende Schemata erkennen“, so weact.
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„Rassismus ist ein schwieriges Thema“, so derweil Mecheril, dessen Eltern aus Indien stammen. „Rassismus ist ein heißes Thema. Für alle! Es ist unglaublich schwierig, über Rassismus zu sprechen, weil gleich Abwehrmomente da sind.“ Auch für die, die von rassistischen Systemen profitieren, sei es schwierig über Rassismus zu sprechen.
Warum? „Weil sie konfrontiert werden mit so etwas wie unverschuldeter Privilegierung. Als zum Beispiel unsere Kinder angefangen haben, über Studienorte nachzudenken, ist eine Dimension die, dass wir mit ihnen darüber gesprochen haben: ,Sind das Orte, die gefährlich sind, oder sind das Orte, die nicht so gefährlich sind‘“, sagt er. „Wenn Sie Kinder haben, die nicht rassistisch belangbar sind, spielt diese Frage vielleicht keine Rolle. Das ist ein Privileg. Und das ist ein Privileg, für das Sie wirklich nichts können.“
Erste Meldungen kamen bei weact-Beratung Mannheim schon an
Der Forscher weiter: „Es ist aber auch gar nicht so einfach, über Rassismus zu sprechen, für die, die Rassismuserfahrungen machen. Weil sie im Moment des Sprechens über Rassismus damit konfrontiert werden, dass es strukturelle Nachteile gibt. Und das ist ganz schön bitter. Es ist auch peinlich. Und beschämend.“
Erste Meldungen von Betroffenen indes sind schon in der Mannheimer Beratung angekommen. „Wir beraten ausschließlich Getroffene von Rassismus“, sagt Montes. „Natürlich haben wir dabei immer Intersektionalität im Blick“, sagt sie. Intersektionalität heißt, dass etwa jemand eine Mehrfachdiskriminierung erleidet. Wenn er zum Beispiel eine Behinderung hat und einen Migrationshintergrund. Dann verweise man auch auf spezialisierte Mannheimer Beratungsstellen. Zudem stehe weact Mannheim in Kontakt zum Antidiskriminierungsbüro Mannheim und man unterstütze zusammen.
Rassismuskritische Arbeit soll die Welt besser machen. Bildungswissenschaftler Mecheril sagt: „Die erste Maxime etwa rassismuskritischer Bildung ist: Räume schaffen, in denen über Rassismus gesprochen werden kann.“ Und zwar bestenfalls nicht über den der anderen, sondern auch über den eigenen. Und einen Platz schaffen, wo die Getroffenen darüber berichten können.
„Rassismus wider Willen“?: Wenn Antirassisten rassistisch denken
Dabei hat auch Deutschland einen weiten Weg vor sich. Gerade weil Rassismus vermeintlich ein Chamäleon zu sein scheint, oft niemand die Struktur erkennt oder erkennen will: Soziologin Anja Weiß hatte etwa in ihrer Forschungsarbeit „Rassismus wider Willen“ aufgedeckt, dass sich Rassismus sogar in der antirassistischen Arbeit breitmacht. Sie führte Gruppendiskussionen und Rollenspiele mit antirassistisch engagierten Realgruppen durch. Bei der Auswertung zeigte sich, wie diese offene Rassismen vermeiden - und dass trotz ihrer Bemühungen rassistische Effekte auftraten.
Doch viele Wissenschaftler um Mecheril sind sich einig: „Weil die Weigerung, Rassismus (etwa bei der Polizei, der Wohnungs- und Stellenvergabe, in Bildungsinstitutionen) zu thematisieren, rassistische Routinen stabilisiert, beginnt Rassismuskritik mit dem Sprechen über Rassismus.“ Und es gibt viele Projekte, auch in der Region, die Austausch fördern. Ein Beispiel: Angehende und junge Polizistinnen und Polizisten befassen sich in ihrer Ausbildung in Baden-Württemberg seit einiger Zeit mit Themen wie Antiziganismus oder Geschichte und Gegenwart der Sinti und Roma. Und auch in Mannheim sieht man: Das Benennen von rassistischen Vorfällen in der weact-Beratung ist ein erster Schritt von Rassismuskritik, der gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ans Licht bringt - und Betroffene auffängt und verteidigt.
Kontakt in Mannheim: beratung-weact@hildegard-lagrenne-stiftung.de oder auch Tel: 0157 5474 76 -36 oder -37. Adresse: B7, 16.
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[2] https://lagrenne-stiftung.de/hls-mediatorinnen-trainingsprogramm-startet-das-herbstprogramm/
[3] https://www.bv-nemo.de
[4] https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/startseite/startseite-node.html
[5] https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/wir-beraten-sie/wir-beraten-sie-node.html
[6] https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/erziehungswissenschaft/personen/mecheril/
[7] https://www.sinti-roma.com/beitraege/polizei-begegnet-sinti-und-roma/