Mannheim. Zwei Jahre bevor Rouven Laur am 31. Mai 2024 tödlich verletzt wurde, saß er mit dem damaligen Polizeipräsidenten Siegfried Kollmar und seiner Stellvertreterin Ulrike Schäfer zusammen. Das Treffen war ein Kennenlerngespräch, Rouven Laur war den Kollegen aufgefallen – er galt als Kandidat für den höheren Dienst. „Bei diesen Gesprächen mit dem Polizeipräsidenten und der Vizepräsidentin sind viele nervös, angespannt“, sagt Ulrike Schäfer am Donnerstag vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) in Stuttgart, wo seit Mitte Februar das Messerattentat vom Mannheimer Marktplatz juristisch aufgearbeitet wird. „Bei Rouven war das nicht so“, sagt Schäfer.
Er habe den Raum erfüllt, als er ihn betrat. Schäfer bricht die Stimme. Sie ist an diesem Tag als Zeugin in dem Prozess geladen, um die Folgen des Messerattentats für die Polizeibeamtinnen und -beamten in Mannheim zu skizzieren. Der Vorsitzende des Senats, Herbert Anderer, bittet sie, weit auszuholen. Und so erzählt Schäfer, wie sie 1991 zur Polizei kam und sich hocharbeitete, 30 Jahre später Leiterin der Kriminalpolizei und Vizepräsidentin des Polizeipräsidiums Mannheim wurde.
Etwa in diese Zeit fiel ihre Begegnung mit Rouven Laur. Seine Verbundenheit mit der Polizei, sein Verantwortungsgefühl, seine innere Motivation seien förmlich spürbar gewesen, sagt sie. Auch bei kritischen Nachfragen sei er authentisch geblieben. „Ich weiß nicht, ob es mir zusteht, zu sagen, dass ich ihn kannte, aber er hat sich aufgrund seiner Art hervorgetan, er war ein besonderer Mensch.“
Am 1. Juni 2024 musste Schäfer wieder an dieses Gespräch denken. Sie suchte Rouven Laurs Lebenslauf, sein Motivationsschreiben heraus – in dem Wissen: Rouven Laur liegt im Sterben.
„In den Gesichtern der Kollegen war sichtbar, dass dies ein anderer Fall ist“
Drei Monate zuvor war der Polizeipräsident Siegfried Kollmar überraschend gestorben. Schäfer übernahm kommissarisch seinen Posten, im Frühjahr 2024 hatte sie also zwei Jobs inne, ihren alten, als Leiterin der Kriminalpolizei und ihren neuen, als Polizeipräsidentin. Sie pendelte zwischen Heidelberg und Mannheim. Und am 31. Mai, einem Brückentag, da hatte sie keine Termine. Sie wollte an diesem Tag vieles aufarbeiten, was in den Monaten der Doppelbelastung liegen geblieben war. Doch es sollte anders kommen.
Wenige Minuten nach dem Angriff auf dem Mannheimer Marktplatz erhielt sie einen Anruf. Ein Messerangriff, ein schwerverletzter Kollege. Gemeinsam mit ihrer Stellvertreterin fuhr sie nach Mannheim. Und noch auf der Fahrt erfuhr sie den Namen des schwerverletzten Kollegen. „Bei 2700 Mitarbeitern kenne ich nicht alle, aber ihn habe ich sofort vor Augen gehabt“, sagt Schäfer.
Als sie am Marktplatz ankam, waren die Verletzten bereits in verschiedene Krankenhäuser transportiert worden, die Kriminaltechniker begannen bereits mit ihrer Arbeit. Kollegen hatten eine Straßenbahn als Sichtschutz abstellen lassen. „Alles war so professionell wie immer, aber in den Gesichtern der Kollegen war sichtbar, dass dies ein anderer Fall ist, einer, bei dem ein Kollege schwer verletzt worden ist.“
Später im Polizeipräsidium beriet sie mit ihrem Führungskreis weitere wichtige Schritte und drängende Fragen. Eine davon kam am Abend auf, gegen 20.30 Uhr, als sie die Nachricht erhielt: Rouven Laur wird in den kommenden Tagen sterben. Sie entschied, alle Kolleginnen und Kollegen noch am selben Abend zu informieren. „Mir war es wichtig, dass sie es von uns erfahren.“
Die 57-Jährige spricht mit ruhiger Stimme, die manchmal bricht. Zum Beispiel, als sie sagt: „Polizistinnen und Polizisten sind auch nur Menschen, ich würde mir wünschen, dass die Polizei nicht nur eine Stimme bekommt, wenn so etwas Schreckliches passiert.“
900 Fälle von Hasskriminalität, die mit dem Messerattentat in Verbindung stehen
Neben der überwältigenden Anteilnahme der Mannheimerinnen und Mannheimer erfuhren die Beamtinnen und Beamten in dieser Zeit nach dem Messerattentat in den sozialen Medien viel Hass und Hetze. Das habe viel mit ihren Kolleginnen und Kollegen gemacht. Die Kritik am Einsatz, Sätze wie „Endlich hat es mal so ein Bullenschwein erwischt, es sollen noch viele mehr folgen“.
Später an diesem Tag in Stuttgart wird der Präsident des Landeskriminalamts (LKA) in Baden-Württemberg, Andreas Stenger, sagen, dass aktuell 900 Fälle von Hasskriminalität im Umfeld des Messerangriffs von Mitarbeitern seiner Behörde bearbeitet werden.
Das Messerattentat wirke bis heute nach, sagt Schäfer. Am 2. Juni 2025, an Rouven Laurs erstem Todestag, begingen Rouvens Familie und seine Polizeifamilie einen gemeinsamen Gedenktag. Ihr ist es wichtig, das Gedenken aufrechtzuerhalten, das müsse gar nicht forciert werden, viele täten dies ganz von allein, überall auf den Dienststellen. Mit Bildern und Tafeln von Rouven Laur. Zurückgeblieben ist bei vielen Kolleginnen und Kollegen Schäfers aber auch das Gefühl, dass so etwas trotz sorgfältiger Vorbereitung passieren kann.
Nach Schäfer betritt Andreas Stenger den Zeugenstand, Stenger war von 2019 bis 2021 Polizeipräsident in Mannheim, bevor er Präsident des baden-württembergischen Landeskriminalamts wurde. Er beginnt seine Aussage mit einem Loblied auf Mannheim, auf seine Stadt, auf die Menschen und auf die gelebte Vielfalt dort. Die Menschen in Mannheim seien stolz auf ihre Polizei. „Der Umgang ist rau, aber herzlich“, sagt Stenger und lächelt.
Dann wird er ernst. In über 40 Jahren bei der Polizei habe er zum dritten Mal erlebt, dass ein Kollege durch einen Täter zu Tode gekommen sei. Doch dieser Fall sei etwas Besonderes. Besonders grausam durch das Video und besonders erschreckend auch die Erkenntnis, „dass wir auch mit noch so einem guten Einsatztraining nicht in allen Fällen verhindern können, dass so etwas passiert“.
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