Kriminalität

Messerattentat Mannheim - Schwager des Angeklagten sagt aus

Im Prozess um das Messerattentat auf dem Mannheimer Marktplatz sprechen der Schwager des Angeklagten und dessen Bruder vor Gericht über Sulaiman A. – und den Tag des Messerattentats.

Von 
Agnes Polewka
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Der Angeklagte Sulaiman A. zu Prozessbeginn. (Gerichtszeichnung) © Martin Burkhardt

Mannheim. Als er am 31. Mai 2024 in das Haus seines Bruders kam, saß seine Schwägerin im Schlafzimmer. Sie schimpfte über Sulaiman, ihren Bruder. „Dieser Dummkopf“, schrie sie. Fassungslos, über das, was Sulaiman getan hatte. In weniger als einer halben Minute hatte ihr Bruder auf dem Mannheimer Marktplatz fünf Menschen verletzt und ein Leben ausgelöscht.

Nachdem die Frau im Internet das Video von der Tat gesehen hatte, war sie nach draußen gestürzt. Zu ihrem Mann, der vor dem Haus gerade das Garagentor abschliff. Und dann war ihre Panik auch auf ihn übergeschwappt, er rief seinen eigenen Bruder an, bat ihn, vorbeizukommen.

„Ich habe ihn noch nie so erlebt“, sagt dieser Bruder Anfang Juli vor dem Staatsschutzsenat in Stuttgart-Stammheim im Prozess um das Mannheimer Messerattentat. Er und Sulaiman A.s Schwager sprechen im Gerichtssaal darüber, wie es der Familie des mutmaßlichen Messerattentäters nach der Tat ergangen ist.

Der Angeklagte hat zwei Brüder und zwei Schwestern, eine dritte Schwester starb vor über zehn Jahren in Afghanistan. Die Geschwister, die in Deutschland leben, haben angekündigt, im Prozess von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen zu wollen. Und zu schweigen. Nicht darüber zu sprechen, ob und wie sich ihr Bruder veränderte, wann und warum.

Prozess um Mannheimer Messerattentat: Geschwister wollen von Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen

Schon bei der Polizei beriefen sich die Brüder darauf. Und doch brach es aus Sulaiman A.s jüngerem Bruder heraus. Er soll den Beamten gesagt haben, dass er das alles nicht nachvollziehen könne. Kein „normaler Mensch“ tue so etwas, sein Bruder habe doch kleine Kinder und eine Familie. Er sagte, jemand müsse Sulaiman A. angestiftet haben.

Den Ermittlern fiel nach Informationen dieser Redaktion auf, dass beide Brüder westliche Kleidung trugen und gepflegt wirkten, sehr freundlich waren. „Das sind liebe Menschen“, sagt der Schwager der Schwester von Sulaiman A. im Zeugenstand. Und doch möchte er am liebsten mit keinem von ihnen je wieder etwas zu haben. Die Tat, Sulaimans Tat, die sei eine Schande, „für die Familie, für alle Menschen, die hier friedlich leben“, sagt der Mann, der als Apotheker arbeitet und dessen Familie vor über 40 Jahren aus Afghanistan nach Deutschland einwanderte.

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Am 31. Mai saßen er, sein Bruder und die Schwägerin zusammen. Auch die Mutter der beiden Männer war bei ihnen. Die Brüder sorgten sich um sie, befürchteten, die ältere Frau könne zusammenbrechen, einen Herzinfarkt erleiden – wegen Sulaiman und dem, was er getan hatte. Die Familien kannten sich schließlich, Sulaiman A.s Frau und dessen Schwester verband eine tiefe Freundschaft.

Die Aussage des Apothekers vor dem Staatsschutzsenat dauert nicht lang, vielleicht eine halbe Stunde. Er drückt sich gewählt aus, sein Blick ist wach. Er sagt, er habe den Angeklagten nicht oft gesehen, bei der Hochzeit seines Bruders nach islamischem Ritus, beim Kennenlerntreffen der Familien davor, und einige Male danach.

Sein Bruder kannte Sulaiman A. besser, er ist der Bruder seiner Frau. Fast drei Stunden lang erzählt er von gemeinsamen Begegnungen, bei denen die Männer und die Frauen meist unter sich blieben. Die Gespräche zwischen Sulaiman A. und ihm, dem Sportwissenschaftler, kreisten oft um Fitness-Themen. Auch zeigten sie einander besondere Koranverse. Der Vorsitzende Richter Herbert Anderer versucht in seiner Befragung zu ergründen, wie religiös Sulaiman A.s Schwager war und ist, welchen Einfluss er auf den Angeklagten gehabt haben könnte.

Der Bruder meiner Lebensgefährtin ist ein Mörder.
Schwager des Angeklagten

Ein Zeuge hatte kurz nach der Tat mehrere tief religiöse Männer benannt, mit denen Sulaiman A. Kontakt hatte. Er äußerte die Vermutung, dass diese Kontakte zu seiner Radikalisierung beigetragen haben könnten. Doch viele Fragen und Antworten später ist nicht ganz klar, wie der Schwager seinen Glauben kultiviert, wie sehr religiöse Fragen ihn und Sulaiman A. verbanden – oder trennten.

Der Schwager sagt, Anfang 2024 fiel ihm eine Veränderung an Sulaiman A. auf. Kurz nachdem dessen kleiner Sohn geboren worden war, der herzkrank war. Sulaiman A. habe ihn an einen ehemaligen Kollegen erinnert, dessen Kind ebenfalls krank geworden war. Als es starb, habe das den Kollegen in eine schwere Depression gestürzt. Sulaiman A. war schon vor der Geburt introvertiert, sagt der Schwager. Doch nach der Geburt sprach er so gut wie gar nicht mehr. Auch begann er, sein Äußeres zu vernachlässigen.

Äußerliche Veränderungen an Sulaiman A. wahrgenommen

Der Schwager hat definierte Oberarme, das gewellte schulterlange Kopfhaar hat er zum Dutt nach hinten frisiert. Zähne sind ihm wichtig, sagt er. Und so habe er auf Sulaiman A. eingeredet, er solle einen seiner kaputten Zähne „machen lassen“. In dieser Zeit wurde dessen Kopf- und Barthaar immer länger. Bei der Polizei sagte der Schwager, Sulaiman A. sah irgendwann „wie ein Penner“ aus. Als der Richter ihn damit konfrontiert, sagt er, das stimme, er versucht, sich ein Grinsen zu verkneifen, hält die Hände wie ein Schutzschild vor sich und sagt: „Ich will keinen beleidigen.“

Irgendwann kam es zwischen den Männern zum Streit, er entbrannte über eine Statusmeldung des Schwagers über den „Islamischen Staat“, den er darin verurteilte, sagt er. Am Ende blockierte Sulaiman A. den Mann. Schon vorher gab es eine Meinungsverschiedenheit, vielleicht auch nur einen „gut gemeinten Rat“.

Sulaiman A. hieß es nicht gut, dass der Schwager als Fitnesstrainer während seiner Arbeit andere berühre, auch Frauen. Sulaiman A.s Schwester habe das später in Gespräch mit ihrem Mann als „blöd“ abgetan.

Was sie sonst über Sulaiman A. gesagt habe, über seine Veränderungen, über die Tat, will der Vorsitzende des Senats wissen. Doch der Schwager schweigt, sagt, er und seine Frau hätten nicht oder kaum darüber gesprochen. Als der Senatsvorsitzende Herbert Anderer sagt, das könne er ihm nicht glauben, schiebt der Schwager wenige Sätze nach: „Die armen Kinder“ und „Wir reden nicht darüber“ oder „Sie erzählt nicht, wie es Sulaimans Frau geht“.

Dann sagt er, die Tat beschäftige ihn jeden Tag. Sein Cousin sei selbst Polizist. Am 31. Mai 2024 sei er nicht weit vom Marktplatz entfernt im Einsatz gewesen. „Er hätte auch ihn umbringen können, den Jungen, den ich als Baby im Arm gehalten habe.“

Sulaiman A. habe ein Leben ausgelöscht, das anderer Menschen zerstört. Und auch sein eigenes und das seiner Familie. „Ein Leben, das viel Potenzial hatte, wenn ich das so sagen darf“, sagt der Schwager.

Sulaiman A.s Schwester und der Mann sind nach muslimischem Ritus verheiratet, nicht aber standesamtlich, da Sulaiman A.s Schwester vor dem Gesetz noch mit einem anderen Mann verheiratet ist. „Der Bruder meiner Lebensgefährtin ist ein Mörder“, sagt er. Damit müsse er nun zurechtkommen.

Einordnung, Hintergründe und Aktuelles zum Prozess um das Mannheimer Messerattentat gibt es auch in den Spezialfolgen des MM-Podcast Verbrechen im Quadrat

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