Mannheim. Wenn man den Prozesstag vom Donnerstag mit einem Satz überschreiben müsste, dann wäre es dieser: „Es gibt viele Menschen, für die die Welt nach dem 31. Mai 2024 eine andere geworden ist.“ Gesagt hat ihn der Vorsitzende des Staatsschutzsenats am Oberlandesgericht (OLG) in Stuttgart, Herbert Anderer, zwischen zwei Zeugen und ihren Tränen.
Da ist zunächst ein 56-Jähriger, Erster Polizeihauptkommissar – das höchste Amt, das ein Beamter im gehobenen Dienst innehaben kann. Vor Gericht berichtet er, wie er im März von der geplanten Veranstaltung auf dem Marktplatz erfuhr und die Zahl der Beamtinnen und Beamten peu à peu hochschraubte, je mehr er zu dem rechtspopulistischen Verein „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE) recherchierte. Er nahm Kontakt zur Versammlungsbehörde auf, versuchte noch eine Änderung des Veranstaltungsorts zu erwirken – doch die städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten Islamkritiker Michael Stürzenberger, den Versammlungsleiter, nicht erreichen. Und so blieb alles so, wie es angedacht war.
Der 56-Jährige ließ Gitter kommen, für den Fall, dass es brenzlig werden würde. Auf Luftaufnahmen im Gerichtssaal sieht man den Anhänger auf dem Marktplatz stehen, auf dem diese lagerten. Bis heute stellt sich der Beamte die Frage, was passiert wäre, wenn er die Gitter gleich hätte aufstellen lassen.
Herbert Anderer fragt ihn: „Wie hoch sind die Gitter?“ Er hebt seine Hand und zeigt meterhoch vor sich. „Dann sollten Sie sich den Vorwurf nicht machen“, sagt der Richter.
Kollege von Rouven Lauer mit quälende Gedanken und Selbstvorwürfe
Und doch quälen den Beamten bis heute die Gedanken daran. Was passiert sei, fühle sich immer noch ganz nah an. Dieser Moment, in dem Rouven Laur tödlich verletzt wurde. Und der die jungen Kolleginnen und Kollegen wahrscheinlich für immer verfolgen wird. „Ich weiß nicht, ob ich das in dem jungen Alter ausgehalten hätte“, sagt er. Ein solches Erlebnis und dann die Aussicht, noch 40 Jahre in dem Job zu arbeiten. Teilweise seien die Kolleginnen und Kollegen jünger als seine eigenen Kinder. „Du willst sie am liebsten umarmen und sagen, dass es weitergeht.“ Die Stimme des Mannes bricht.
Und dann kommt ein anderer Mann in den Zeugenstand. Er lächelt, er strahlt etwas Warmes aus. Vor über einem Jahr, da arbeitete er auf dem Innenstadtrevier, inzwischen ist er bei der Wasserschutzpolizei, bei der „Entenpolizei“, sagt er und lächelt. Beworben hatte er sich dort schon vor dem 31. Mai 2024 und haderte lange mit sich, ob er wirklich wechseln sollte. Doch nach dem Messerattentat auf dem Marktplatz fühlte es sich unvermeidbar an.
Der 35-Jährige ist als Zeuge vor Gericht geladen, weil er zu den Polizeibeamten gehörte, die auf dem Areal des Schlosses die Free-Palestine-Demo sicherten. Während diese friedlich ausklang, hörten sie auf einmal Schreie aus den Funkgeräten in ihren Fahrzeugen kommen. Da waren Kollegen, die um Hilfe riefen, von Verletzten sprachen, darunter auch ein Kollege. Sofort machten sie sich auf den Weg Richtung Marktplatz.
Der verletzte Kollege, das war Rouven, sein guter Freund Rouven
Dort leistete der Zeuge Erste Hilfe. Wen er verarztete, weiß er nicht genau. Er beschreibt Stiche in Höhe des Gesäßes und im Schulterbereich. Wahrscheinlich war es der aramäische Christ, der den Attentäter fast stoppte, den er dort versorgte.
Einer seiner Kollegen kümmerte sich um Islamkritiker Michael Stürzenberger. Mit dem Streifenwagen fuhr er dem Krankenwagen hinterher, in dem sein Kollege Stürzenberger begleitete. In der BG Unfallklinik hielt er zum ersten Mal inne, seit das Grauen über ihn, über sie alle, hereingebrochen war. Überall an ihm haftete Blut. Im Krankenhausflur zog er sein Handy aus der Tasche. Ganz oben in seinen Whatsapp-Chats: ein Video. Das Video.
Er spielte es ab. Und sah, was er die ganze Zeit nicht gewusst hatte. Der verletzte Kollege, das war Rouven, sein guter Freund Rouven, der ihn an seinem Geburtstag im Europa Park überrascht hatte. Bis tief in die Nacht hatten sie mit anderen Tischkicker gespielt.
Dann zeichnet der Zeuge das Bild eines Mannes, der hohe Werte hochhielt, immer freundlich war und gut gelaunt. Rouven Laur sei immer empathisch auf Menschen zugegangen, angetrieben von dem Drang, Menschen und die Welt verstehen zu wollen. Selbst in schwierigen Situationen habe er nie seine Freundlichkeit verloren. Anderer stellt eine Frage, die sich unweigerlich aufdrängt. Die, die Rouven Laur kannten, beschreiben ihn als Menschen ohne Fehler, fast makellos. Er fragt, nach den negativen Seiten dieses Mannes. Und der Zeuge sagt: „Vielleicht, sein doofes Grinsen.“
Wie er sich das erklären könne, fragt der Richter. Dass, dieser Mensch so ausgesprochen gut war. Und Rouven Laurs Freund sagt, das habe sicher viel damit zu tun, wie Menschen aufwachsen, welche Werte sie mitbekommen. „Da wurde bei Rouven Laur gute Arbeit geleistet.“
Einordnung, Hintergründe und Aktuelles zum Prozess um das Mannheimer Messerattentat gibt es auch in den Spezialfolgen des MM-Podcast Verbrechen im Quadrat
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