Justiz

Prozess um Amokfahrt in Mannheim: Dritter Prozesstag kreist um erstes Todesopfer

Im Prozess um die Amokfahrt beschreiben Zeugen am Freitag, wie das erste Todesopfer vom Amokfahrzeug erfasst wurde – und die Momente danach. Es sind bewegende Berichte.

Von 
Agnes Polewka
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Nach der Amokfahrt gedachten Menschen des getöteten Albert K. an dem Ort, an dem er starb. © Michael Ruffler

Mannheim. Am 3. März starb Albert K. auf den Planken, auf Höhe des Modehauses Engelhorn, an der Straßenbahn-Haltestelle „Strohmarkt“. Er gehört zu den beiden Todesopfern der Amokfahrt vom Rosenmontag. Er wurde 54 Jahre alt. „Immer freundlich, immer gut gelaunt, immer hilfsbereit. Gewalttätig und brutal aus seinem und unserem Leben gerissen“, steht in der Traueranzeige, die sein Bruder nach seinem Tod veröffentlichte. Und ganz am Ende: „Du fehlst“. Am dritten Tag im Prozess gegen den mutmaßlichen Amokfahrer beschreiben Zeugen das Lebensende des 54-Jährigen.

Der Angeklagte Alexander S. soll am 3. März mit seinem Wagen zwei Menschen getötet und 14 weitere verletzt haben, fünf von ihnen schwer. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem Mord, versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung vor.

Am Freitag sind im Gerichtssaal bewegende Berichte von Menschen zu hören, die um Fassung ringen, während sie den 3. März vor Gericht noch einmal durchleben.

Amokfahrt in Mannheim: Ersthelfer schirmten Opfer vor Schaulustigen ab

Eine 30-jährige Betriebswirtin berichtet, wie sie am Rosenmontag auf den Planken stand, zunächst mit dem Rücken zur Straße. Doch dann habe sie „ganz laut“ ein Auto herannahen hören und sich umgedreht. „Albert befand sich relativ nah an den Straßenbahngleisen“, sagt sie. „Er wurde mitgenommen und ist nach oben geflogen.“ Die Frau fängt an, zu weinen.

Danach berichtet sie, wie sie zum Handy griff und den Notruf wählte. Sie habe den Beamten durchgegeben, was sie beobachtet habe. Krampfhaft habe sie überlegt, was für ein Fahrzeugmodell da gerade an ihr vorbeigefahren war. Obwohl sie früher das gleiche Auto gefahren sei, wollte es ihr partout nicht einfallen. Dann sei sie zu Albert gestürzt und habe mit anderen Erste Hilfe geleistet. „Er hat nicht mehr geatmet, hatte aber noch einen Puls.“

Wieder weint die Frau. Mit jedem Satz sinkt sie mehr in sich zusammen. Während sie und die anderen Ersthelfer Albert K. reanimierten, hätten sie versucht, ihn abzudecken, weil um sie herum immer mehr Schaulustige aufgetaucht seien und angefangen hätten, zu fotografieren.

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Dann sei ein Arzt aus einem der angrenzenden Häuser herangestürmt gekommen, in Begleitung einer Arzthelferin. Während der Arzt die medizinische Versorgung übernahm, hätte sie weiter mitgeholfen, den schwer verletzten Albert K. abzuschirmen.

In der Ferne, am Wasserturm, habe sie irgendwann die Polizei und einen Rettungswagen ausgemacht. „Wir haben uns gewundert, warum sie nicht zu uns kamen“, sagt die Zeugin. Am Plankenkopf waren da bereits Menschen verletzt worden.

Schließlich seien die Beamten auch bei ihnen gewesen, und ein Arzt sei aus einem Auto gesprungen. Er sei aber zunächst auf die Straße gerannt. Die Zeugin beschreibt chaotische Szenen und erinnert sich daran, wie eine andere Ärztin zu ihnen gestoßen sei. Sie habe das schwer verletzte Bein von Albert K. versorgt, während die anderen Ärzte „an seinem Kopf weiterarbeiteten“.

„Sie haben den Vornamen des Mannes genannt, kannten Sie ihn?“, fragt der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz. „Nein“, sagt die Zeugin. Der Richter fragt, ob sie noch andere Verletzte auf Höhe der Haltestelle Strohmarkt beobachten konnte. Sie erinnert sich an eine Jugendliche und ihren Vater. „Während wir die Wiederbelebung gemacht haben, kam ein Vater zu den Beamten und sagte, seine Tochter sei am Kopf verletzt worden“, sagt die Zeugin.

Dieser Vater nimmt am Freitag ebenfalls im Zeugenstand Platz. Laut Anklage wurde seine Tochter am Rosenmontag von Albert K. getroffen, der durch den Aufprall mit dem Amokfahrzeug durch die Luft und auf die Jugendliche geschleudert wurde, die eine Beule am Kopf erlitten haben soll.

Albert K. wurde auf einen Vater und seine Tochter geschleudert

Der Horror begann auch für den Vater mit dem lauten Motorgeräusch, von dem fast alle Zeugen vor Gericht bislang berichtet haben. „Ich sehe in dem Moment einen schwarzen Schatten, dann hat es direkt schon in den Ohren geknallt“, sagt der Zeuge. Seine Tochter und er seien gegen die Hausfassade des Modeshauses Engelhorn geschmettert worden. An die Sekunden danach habe er keine Erinnerung. Diese setzte erst in dem Moment wieder ein, in dem er sich aufgerappelt habe und mit den Augen die Gegend nach seiner Tochter abgesucht habe. Er atmet tief durch. Als er gesehen habe, dass es seiner Tochter gut gehe, habe er den Mann auf dem Boden bemerkt, der neben ihm lag.

„Gott sei Dank ist uns nicht mehr passiert“, sagt er am Freitag. Wenn er auf Albert K. zu sprechen kommt, bricht die Stimme des 49-Jährigen. Seine Tochter und er hätten keine bleibenden körperlichen Schäden zurückbehalten, er selbst habe eine Prellung an der Schulter erlitten. „Aber psychische Beeinträchtigungen?“, fragt der Vorsitzende Richter. „Definitiv“, sagt der Zeuge leise.

Seine Tochter sitzt vor dem Gerichtssaal, sie wippt nervös mit dem Fuß. Weil sie nicht volljährig ist, entscheidet das Gericht: Ihre Aussage findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, lediglich der Vater darf neben den Verfahrensbeteiligten im Sitzungssaal bleiben.

Rund 20 Minuten später verlassen beide den Saal. Gemeinsam.

Und dann kommt eine weitere Frau in den Zeugenstand. Sie berichtet, wie sie auf dem Paradeplatz „Menschen wie Puppen“ durch die Luft fliegen sah, wie ihre Kollegin verletzt wurde. Sie spricht über ihre Todesangst, die Flashbacks, die sie bis heute heimsuchen – und das, was der Amokfahrer ihr an diesem Tag genommen hat. „Jeder, der mich kennt, wird Ihnen bestätigen, dass ich bis zum 3. März ein sehr fröhlicher Mensch war. Aber dieser Mann hier, hat mir meine inneren Farben genommen“, sagt sie. Und dann richtet sie das Wort direkt an den Angeklagten Alexander S.: „Jeder Mensch, jedes Tier, jede Ratte hat ihren Wert, aber Sie, Sie sind wirklich nichts wert.“

Redaktion

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