Mannheim. Die Mittagspause am Rosenmontag begann für den Ersten Kriminalhauptkommissar aus Mannheim wie viele andere zuvor. Gemeinsam mit seiner Chefin, der Mannheimer Polizeipräsidentin Ulrike Schäfer, verließ er das Polizeipräsidium über den Kripo-Ausgang in L4. Wenige Minuten später waren beide auf den Planken unterwegs. Er wollte in der Mittagspause einige Besorgungen machen. Auf Höhe des Eiscafés Cortina hörte der Beamte jedoch auf einmal einen lauten Knall. Er dachte zunächst an ein Auspuffgeräusch, an einen Poser, der in die Fußgängerzone eingebogen war und nun maximal Tempo machte.
Doch dann sah er das Fahrzeug, das die Planken entlangraste – zunächst durch die Fensterscheiben einer stehenden Straßenbahn. Dann beobachtete er, wie der Wagen die Bahn überholte. „Und da dachte ich, da stimmt etwas nicht“, sagt der 42-jährige Polizeibeamte am Donnerstag vor der Schwurgerichtskammer am Mannheimer Landgericht.
Es ist der zweite Prozesstag im Verfahren gegen den mutmaßlichen Amokfahrer vom Rosenmontag. Der Angeklagte Alexander S. soll am 3. März mit seinem Wagen zwei Menschen getötet und 14 weitere verletzt haben, fünf von ihnen schwer. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem Mord, versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung vor.
Polizeibeamter verfolgte mutmaßlichen Täter zu Fuß durch die Innenstadt
Der Polizeibeamte berichtet vor Gericht, wie es in den Minuten danach weiterging. Im Innern des Fahrzeugs, das da die Planken entlangraste, habe er einen Mann erkannt, der das Lenkrad fest umklammert hielt, den Oberkörper nach vorne geneigt. Und dann sei er selbst losgerannt.
„Ich habe der Präsidentin noch zugerufen, sie möge den Notruf verständigen“, sagt er. In der Mittagspause habe er keine Waffe bei sich getragen. Und er habe gewusst, dass er zu Fuß nicht mit dem Auto mithalten konnte. „Aber ich bin davon ausgegangen, dass er sich am Paradeplatz festfährt und ihn jemand festnehmen muss“, sagt der Polizist.
Dann habe er wieder einen Knall gehört. Auf Höhe des Paradeplatzes habe er einen zerstörten Rollator gesehen, auf dem Boden seien überall Lebensmittel verteilt gewesen. Er könne sich an Tomaten erinnern, die über die Straße kullerten, sagt er. Neben einem Brezelstand habe eine verletzte Person gelegen. Er habe gesehen, wie zwei Menschen sich über sie beugten und versorgten. Er sei weitergelaufen. Vorbei an zwei amputierten Unterschenkeln, zu einem Mann mit blutender Kopfplatzwunde. Er habe ihn auf eine Bierbank neben einer der Buden des Fasnachtsmarkts gesetzt. „Er erschien mir nur leicht verletzt und ich bin dann weiter“, sagt der Polizist. Um ihn herum tobte das Chaos und er habe das Fahrzeug nirgendwo mehr sehen können.
Er habe Verletzte passiert, die von Ersthelfern versorgt wurden. Einen Mann, die Frau, die ihre Unterschenkel verloren hatte. Auf Höhe des „H&M“ habe sich ich ihm ein ähnliches Bild geboten: weitere Verletzte, Ersthelfende. Die Menschen, die sofort zu Hilfe eilten, das habe ihn beeindruckt, sagt der Polizist.
Während er auf dem Paradeplatz noch immer die Gegend mit seinem Blick abgesucht habe, sei er zu dem Schluss gekommen: „Das Auto ist weg.“ Er habe die 110 gewählt, um den Kollegen eine „fundierte Lageeinschätzung“ zu geben, zu den vielen Verletzten, dem Tatfahrzeug, dem Kennzeichen des Wagens, zum Aussehen des Täters, „für die Fahndung“. Um ihn herum seien so viele verstörte Menschen gewesen. „Da war eine Straßenbahnfahrerin, die ist hin- und hergelaufen“, sagt er. Die Frau habe den immergleichen Satz gesagt: „Der hat die Leute überfahren.“
Für ihn als Polizeibeamten, der schon lange im Dienst ist, sei das alles eine eindrückliche Situation gewesen, sagt der Polizist.
Mitarbeiter des Ordnungsamts stellten sich dem Amokfahrer in den Weg
Am ersten Prozesstag hatte der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz angekündigt, die Amokfahrt chronologisch anhand des Streckenverlaufs rekonstruieren und aufarbeiten zu wollen. Am Donnerstag konzentriert sich das Schwurgericht auf die Zeugen, die die Tat auf den Planken beobachtet haben. Darunter ist eine weitere Aussage, die schwer zu vergessen ist.
Ein Mitarbeiter des Ordnungsamts berichtet, wie er am Rosenmontag gemeinsam mit vier Kollegen zu Fuß auf den Planken unterwegs war, als er ein heulendes Motorgeräusch gehört habe. „Als wir Richtung Wasserturm geguckt haben, kam uns auch schon ein schwarzes Auto entgegen“, sagt der Zeuge. Er und einige seiner Kollegen hätten versucht, den Mann zu stoppen. Die Mitarbeiter des Ordnungsamts hätten sich nebeneinander auf die Straße gestellt. „Aber er ist uns ausgewichen und in Schlangenlinien an uns vorbeigefahren.“
Als Nächstes habe er auf Höhe der Haltestelle Strohmarkt einen Menschen durch die Luft fliegen sehen. „Da waren Menschen, die haben versucht, den Mann zu reanimieren“, sagt der Mitarbeiter des Ordnungsamts. Andere hätten angefangen, zu filmen und zu fotografieren. „Wir haben versucht, die Leute von der Stelle fernzuhalten, Passanten haben ihre Jacken ausgezogen, um den Mann abzuschirmen“, sagt der Mann. Mitarbeiter des Modehauses Engelhorn hätten ihnen dazu außerdem eine weiße Platte zur Verfügung gestellt.
Erstes Opfer sagt als Zeuge vor Gericht aus
An diesem Prozesstag betritt auch das erste Opfer der Amokfahrt den Saal. Der junge Mann spricht gebrochen Deutsch und hat nur wenige Erinnerungen an den Tag der Amokfahrt. Er war der erste Mensch, den das Fahrzeug erwischte. „Ich habe das Auto erst gesehen, als es bei uns war“, sagt er.
Der Zeuge wurde laut Anklage leicht am Knöchel verletzt, seinen Freund soll Alexander S. frontal gerammt haben. Der Mann wurde laut Anklage durch die Luft geschleudert, zog sich unter anderem einen Knochenbruch sowie Kopfplatzwunden zu.
Der Zeuge berichtet, wie er seinen Freund ins Krankenhaus begleitete. Wenn er spricht, sieht er den Vorsitzenden Richter direkt an. Manchmal senkt er auch den Blick, doch kein einziges Mal wendet er den Kopf nach rechts, wo der Angeklagte sitzt.
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