Mannheim. Ihr Blick ist starr. Hatun C. dreht ihren Kopf leicht der Dolmetscherin zu, die die Sätze von Oberstaatsanwältin Katja König für sie ins Türkische übersetzt.
Die 73-Jährige muss sich wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung vor dem Mannheimer Landgericht verantworten – weil sie am 29. November 2022 zwei Mal das Sauerstoffgerät ihrer Zimmernachbarin im Theresienkrankenhaus (TKH) abgestellt haben soll. Die Frau musste reanimiert werden, wenige Wochen später starb sie – offenbar aber nicht wegen der abgestellten Apparatur.
Durch Geräusche gestört gefühlt?
König beschreibt am Freitag, was sich nach Ansicht der Staatsanwaltschaft an diesem Novembertag in Zimmer 545 auf der Covid-Isolierstation des Krankenhauses zugetragen haben soll. Sie spricht von zwei älteren Frauen, die sich das Zimmer teilten.
Der einen, einer 79-Jährigen, sie lag am Fenster, sei es sehr schlecht gegangen. Das Atmen sei ihr schwergefallen, deshalb habe sie über eine Gesichtsmaske beatmet werden müssen. Die andere Frau, Hatun C., lag an der Tür. Später wird eine Krankenschwester der Klinik sagen, dass es auch ihr nicht gut ging. Dass sie erschöpft, müde, ruhebedürftig gewesen sei.
Die Oberstaatsanwältin beschreibt, die 79-Jährige habe die Maske an diesem Tag selbst mehrere Male abgesetzt. Gefolgt von einem lauten Alarmton, der über die voll belegte Station hallte. Hatun C. störten die Geräusche laut Anklage, mehrere Male soll sie Krankenschwestern gebeten haben, das Gerät abzuschalten. Diese sollen ihr erklärt haben, dass dies nicht möglich sei, weil ihre Zimmernachbarin auf das Gerät angewiesen sei und ohne es sterben könnte.
Tod durch Multiorganversagen
Dennoch soll Hatun C. den Kippschalter des Sauerstoffgeräts umgelegt haben. Zwei Mal. Zwischen 21 Uhr und 21.25 Uhr bekam ihre 79-jährige Zimmernachbarin laut Staatsanwaltschaft eine erhebliche Atemstörung, eine Art „Schnappatmung“.
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Zwei Krankenschwestern – so heißt es in der Anklageschrift – wollten nach der Patientin sehen, sie umlagern. Dabei hätten sie festgestellt, dass das Gerät abgestellt worden war, die 79-Jährige sei nicht mehr ansprechbar gewesen. Sie lösten sofort den Herzalarm aus. Die 79-Jährige musste wiederbelebt, beatmet und auf die Intensivstation verlegt werden.
In einfachen Verhältnissen aufgewachsen
Am 17. Dezember 2022 starb sie im Theresienkrankenhaus an Multiorganversagen. „Das Abschalten des Sauerstoffgeräts war für den Eintritt des Todes nicht ursächlich“, sagt die Oberstaatsanwältin. Im Laufe des Verfahrens sollen Sachverständige erklären, warum und wie sie zu diesem Ergebnis kamen.
Hatun C. äußert sich am ersten Prozesstag nicht zu den Vorwürfen. Ihr Verteidiger, der Ludwigshafener Rechtsanwalt Alexander Klein, verliest eine Erklärung mit Angaben zu ihrer Person. Darin beschreibt er die einfachen Verhältnisse, in denen die Angeklagte aufgewachsen sei.
Ihr Leben als Tochter türkischer Bauern, die unglückliche Ehe mit einem Mann, mit dem sie verheiratet worden sei. Der Mann kam als Gastarbeiter nach Deutschland, Hatun C sei nachgezogen, habe sich Putzstellen gesucht. Mehr und mehr sei ihr Mann in ein „unstetes Leben“ abgedriftet. Es habe Probleme gegeben. Mit den Kindern, vor allen den Söhnen, die in Haft kamen. Und es habe Gewalt in der Beziehung gegeben, uneheliche Kinder des Mannes. Außerdem finanzielle Schwierigkeiten.
"Innere Leere und große Traurigkeit"
Klein spricht von einer „inneren Leere und einer großen Traurigkeit“, die das Leben der Frau bestimmten, die nun vor Gericht steht, weil sie versucht haben soll, eine andere Frau zu töten. Eine, die wie sie kaum Deutsch sprach. Und die wie Hatun C. Frau eines türkischen Gastarbeiters war, ihm in die neue Heimat gefolgt war.
Auch sie kam – wie C. – nie richtig in Deutschland an, wurde nie Teil der Gesellschaft hier. Das sagt zumindest die Tochter der 79-Jährigen, die am Nachmittag vom Vorsitzenden Richter, Gerd Rackwitz, zum 29. November befragt wird.
Wenige Stunden bevor ihre Mutter reanimiert werden musste, war die Tochter bei ihr im Krankenhaus. Die Krankenschwestern hätten dringend ihre Hilfe benötigt, um der Mutter ins Gewissen reden, die Maske nicht mehr abzuziehen.
Schlimmer Verlauf der Corona-Infektion
Bei dem Besuch im Krankenhaus habe sie auch Hatun C. kennengelernt, die mit einem ihrer Söhne telefoniert, am Telefon geschimpft habe, aufgebracht gewesen sei. Beide Frauen seien schließlich ins Gespräch gekommen und die 73-Jährige habe von ihrer eigenen Corona-Erkrankung berichtet. Vom schlimmen Verlauf, und dass es ihr nun etwas besser gehe. Sie habe ihr „Gute Besserung“ und eine „gute Nacht“ gewünscht, dann sei sie gegangen.
Tat aus niedrigen Beweggründen?
Hatun C. soll nach Informationen dieser Redaktion vor Prozessbeginn teilweise eingeräumt haben, das Sauerstoffgerät ihrer Zimmernachbarin abgestellt zu haben. Ihr Verteidiger, Alexander Klein, kündigt am Freitag eine Erklärung im Laufe des Verfahrens an. Bereits am ersten Prozesstag sagt er: „Sie wollte die Geschädigte nicht schädigen und bedauert, wenn diese durch sie Schaden genommen hat.“
So kreist das Verfahren bereits zu Beginn um die Frage, ob C. – sollte sie das Gerät tatsächlich zwei Mal abgeschaltet haben – die Konsequenzen ihres Tuns hätte überblicken können. Ob sie wirklich verstand, was die Pflegekräfte ihr sagten. Und ob sie wirklich heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen handelte, wie die Staatsanwaltschaft es ihr in der Anklage vorwirft.
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