Mannheim. „Her Hannes longa, machsch wieder Acapulco?“ Die Zuschauer, die sich im Lesesaal der Mannheimer Stadtbibliothek eingefunden haben, müssen schmunzeln, als Autor Peter Metz in kerniger Monemmer Mundart die Charaktere seines Buches zum Leben erweckt.
Hannes Kaliszko? Das ist der Hauptprotagonist in Metz gleichnamigem Buch „Kaliszko – Mannheim, Sommer 1974“. Und Acapulco? Der ferne Traumort des jungen Dachdeckers, den ihm seine Kollegen zuschreiben, wenn er vom Dach aus mal wieder den Blick in die Weite schweifen lässt. Tatsächlich schweift sein Blick weniger in der weiten Welt, sondern über den quarzenden Fabrikschornsteinen und Ami-Kasernen Mannheims und seiner Heimatsiedlung: den Benz-Baracken.
Frohe Zuversicht, frischer Sinn, starke Hoffnung: Die Straßennamen der Benz-Baracken stehen in Kontrast zu der Realität des jungen Mannes, die nicht weiter von Acapulco entfernt sein könnte. Der Roman behandelt die Geschichte des 23-jährigen Hannes Kaliszko, der im Sommer 1974 in Mannheim im Disco-Club 88 von einer zivilen Polizeistreife erschossen wird.
Autor lebt heute in der Schweiz
Peter Metz hat viel Herzblut in sein Buch gesteckt. Heute lebt der gebürtige Mannheimer in der Schweiz. Verglichen mit der Jugend seiner Protagonisten erlebt Metz die 1970er-Jahre in der friedlichen Schwetzingerstadt. Sein Vater habe ihn einmal mitgenommen in die Benz-Baracken, um ihm eine andere Lebensrealität der Stadt zu zeigen. Eine Realität, in der das System versagt.
Als ihm Jahre später in der Schweiz ein Sammelband mit Spottgedichten über Polizeigewalt in die Hände fällt, findet er die Geschichte von Hans-Jürgen Remiszko. Jenem Mann, der 1974, drei Wochen nach dem euphorischen Sieg der Fußball-WM, Opfer von Polizeigewalt wird. Er beschließt, ein Buch über ihn zu schreiben.
Metz scheut sich nicht davor, Kritik an staatlicher Gewalt und sozialer Ungleichheit zu üben. Dabei gelingt es ihm, jeder Figur seines Romans einen eigenen Charakter einzuhauchen. Kein Mensch in dieser Geschichte ist böse. Nicht der Polizist, der sich nach Mannheim versetzen lässt, um seine Karriere voranzutreiben – nach drei Jahren im Dienst aber am Stadttrubel verzweifelt. Nicht die Einwohner der Benz-Baracken, die sich über die „junge Bangerts“ aufregen, die „Zigarette rachend wie die Scheffs dorsch die Straße laafe“. Und schon gar nicht jene jungen Männer wie Hannes Kaliszko, die zwischen Kneipenschlägereien und Verfolgungsjagden versuchen, sich im Großstadtdschungel Mannheims zurechtzufinden.
Hinter jeder Tür wohnt ein Mensch mit einer Geschichte
Das Buch dient nicht dazu, Menschen zu verurteilen, sondern zu zeigen, dass hinter jeder Tür, im Einfamilienhaus im Vorort wie in den Benz-Baracken, ein Mensch mit einer Geschichte wohnt. „Es geht um Menschen, die selten für sich selbst sprechen können“, erzählt Metz im Anschluss an seine Lesung. „Die Leute haben zu erzählen, haben aber keine Bühne dafür.“ Dabei reden sie gut. „Das sind Monemmer, die babbeln halt. Bei all der Tragik der Schicksale kommt diese lustige Seite rein, die dem Buch seine Ironie verleiht.“
Dem stimmen auch die Gäste zu. „Ich muss Ihnen danken für dieses Buch“, beglückwünscht ein begeisterter Zuschauer den Autor. Auch Metz selbst freut sich über die Möglichkeit. „Man merkt das Raunen im Raum, wenn man von der Oberen Riedstraße erzählt“. Sein Buch in der Bibliothek vorzustellen, in der er selbst früher Bücher ausgeliehen habe, sei „etwas ganz Besonderes“. Auch Martin Willig, Sozialarbeiter in Waldhof-Ost, lobt seien Blick auf die Menschen: „Ich nehme alle im Buch sehr authentisch wahr“.
Zu einer authentischen Darstellung der Situation gehöre laut Willig auch, dass oft der politische Wille fehle, die Lage in „Problemvierteln“ nachhaltig zu verändern. Initiativen wie die Begrünung der Anlagen oder die Einführung eines Ruhebereichs wurden bislang als unwichtig abgeblockt.
Projekte von Einwohnern beeindrucken Metz
Stattdessen geraten die Benz-Baracken in den Fokus, wenn die neueste Episode „Hartz und herzlich“ auf den Bildschirmen flimmert. „Das ist ein Menschenzoo. Leute schauen das, weil sie sehen: da gibt es Menschen, die stehen noch weiter unter mir“, stimmt Metz in die Kritik mit ein. Willigs ernüchterndes Urteil: „Wer in der vierten Generation Hartz 4 empfängt, hat keine Erwartungen mehr an die Politik“. Umso beeindruckender sei es, dass die Einwohner viele Projekte nun selbst in die Hand nehmen, ihren Stadtteil begrünen und einen Kiosk als sozialen Treffpunkt eröffnen.
Schnell wird der Finger gehoben, wenn es um Einwohner von „Problemvierteln“ geht, ohne die Einzelschicksale dahinter zu betrachten. Ohne Strukturen zu hinterfragen, von denen Menschen umgeben sind. Kaliszko schafft es, auf direkte und nahbare Art und Weise diese Strukturen aufzudecken und die Rolle von Justiz und Polizei zu hinterfragen. Angesichts des Vorfalls in Oldenburg hat das Buch eine aktuelle Bedeutung erlangt.
Trotz der angespannten politischen Lage möchte Metz die Hoffnung nicht aufgeben. „Gesellschaftlich befinden wir uns in einem Tief, aber das wird auch wieder zurückpendeln“. Dann lebt Acapulco in der Quadratestadt. Oder wie es Kaliszko auf seinem Dach ausdrücken würde: „Mir hawe‘s gar net so schlescht hier, gell?“
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