Nachtleben

Party vorm Schlafzimmer im Mannheimer Jungbusch - so steht es aktuell um den Konflikt

Die einen wollen feiern, andere ihre Nachtruhe - das ist bisweilen ein großer Konflikt im Ausgehstadtteil Jungbusch. Doch es gibt Hoffnung auf Lösungen - wir haben mit ein paar Akteuren gesprochen

Von 
M. Geiger, T. Schmidhuber
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Der Jungbusch – hier die Beilstraße – zieht vor allem am Wochenende jede Menge Besucher auch über Mannheim hinaus an. Das Bild entstand im Sommer 2021. © Christoph Blüthner

Mannheim. Nach zwei Jahren Pause lädt der Jungbusch an diesem Freitag und Samstag wieder zum Nachtwandel ein, dem traditionellen Kunst- und Kulturfestival. Erwartet werden mehr als 20 000 Menschen. Doch auch an anderen Wochenenden ist der Stadtteil Mannheims erste Adresse für Nachtschwärmer – was in der Vergangenheit immer wieder zu großen Konflikten mit vielen der rund 6500 Bewohner geführt hat, die sich unter anderem über den Lärm beschwerten. Als besonders schlimm empfanden viele die Zeit der Corona-Lockdowns, als die Promenade am Verbindungskanal zum Freiluft-Party-Treffpunkt wurde. Wie steht’s aktuell um den Konflikt?

Der Bewohnerverein

Wie es diesen Sommer war? An der Promenade sei es schon „deutlich ruhiger“ gewesen als im Vorjahr, auch weil die Kneipen wieder offen gewesen seien, sagt Kai Baldenius, der Zweite Vorsitzende des Bewohnervereins zwischen Kaffee und Spekulatius im Besprechungszimmer des Vereins. „Was nicht gelöst ist, ist das Problem in der Jungbuschstraße.“ Die sei an Wochenenden „voll mit jungen, alkoholisierten Menschen“, die die Nachtruhe störten, erklärt Baldenius, ein 59 Jahre alter Unternehmensberater, in seiner sachlichen Art.

Die Vereinbarung

Menschen aus mehr als 80 verschiedenen Kulturen und aus unterschiedlichen sozialen Schichten – der Jungbusch wird oft als „Mannheims Vielfaltsstadtteil“ bezeichnet.

Um einen möglichst fairen Interessensausgleich alller beteiligten hinzubekommen, wurde 2018 eine sogenannte Monitoringgruppe gegründet, in der neben Vertretern der Politik auch Vertreter aller relevanten Gruppen im Stadtteil sitzen, von den Hauseigentümern über die Gastronomen bis zu den Familien und der bulgarischen Community. Die Gruppe tagt alle vier bis sechs Wochen.

2019 verabschiedete sie die Jungbuschvereinbarung, ein elf Punkte umfassendes „Regelwerk“ für ein gedeihliches Miteinander im Stadtteil.

Darin wird auch das Nachtleben thematisiert. Unter anderem heißt es: „Ein lebendiger Stadtteil besteht aus mehr als nur Nachtleben. Eigentümer vermieten Läden auch an Gastronomie und Geschäfte mit Tagesbetrieb und an familienfreundliche Einrichtungen.“ Und weiter: „Gastronomen halten angemessene Lautstärke ein, respektieren die Nachtruhe und sorgen dafür, dass Gäste es auch tun.“ imo

Beim Besuch des ersten Nachtwandels vor vielen Jahren entdeckte er die Schönheit des Stadtteils, kaufte sich eine Wohnung in der sanierten Kauffmannmühle am Verbindungskanal und engagierte sich im Bewohnerverein. Der hat zwar nur um die 50 zahlende Mitglieder, leiste über Zuschüsse der Stadt mit seinen zwei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen Anne Kreß und Fouzia Hammoud aber auch Sozialarbeit und habe deshalb viele Kontakte in den Stadtteil. „Wir sind nicht gegen das Feiern, der Jungbusch ist ein buntes Viertel“, stellt Baldenius klar. „Aber es geht um die Balance. Es gibt viele Besucher, die keine Rücksicht nehmen, und auch Gastronomen, die nur an ihren Profit denken.“

Baldenius und sein Verein wünschen sich, dass die Stadt im Sommer an bestimmten Stellen im Jungbusch – etwa an Teilen der Promenade – wieder ein Verbot für den Konsum und Verkauf von Alkohol verhängt. Und dass der städtische Ordnungsdienst stärker präsent ist und Ordnungswidrigkeiten konsequenter ahndet. Wichtig ist für den Verein auch, dass nicht noch weitere Nachtleben-Kneipen dazukommen. Und dass – anders als es Immobilienverwalter Marcel Hauptenbuchner in einer seiner Immobilien plant – die Innenhöfe der Häuser frei von Gastronomie bleiben.

Der Immobilienverwalter

Der Mann, der für einige zumindest eine Teilschuld am Konflikt hat, steht mitten im Stadtteil vor einer Gaststätte und telefoniert. „Hier gibt es die besten Lammkoteletts, die ich je gegessen habe“, sagt Marcel Hauptenbuchner, nachdem er aufgelegt hat, in dieser smarten Art, die so gar nicht zu dem Image des eiskalten Immobilienhais passen will, das ihm oft nachgesagt wird. Doch wer in einem kleinen Quartier wie dem Jungbusch der Herr über mehr als 25 Gebäude ist, die Hauptenbuchner als Geschäftsführer der Immobilienfirma Hildebrandt und Hees verwaltet, muss damit rechnen, dass das Gegenwind erzeugt.

Welche Rolle der 45-Jährige hier spielt, wird bei einem kleinen Rundgang schnell klar: Er kommt keine 100 Meter weit, ohne angesprochen, begrüßt oder etwas gefragt zu werden. Gefühlt hat er für jedes zweite Haus einen Schlüssel. Und in nahezu jedem davon befindet sich im Erdgeschoss ein Gastronomiebetrieb. „Für mich gibt es keinen Konflikt zwischen Wohnen und Ausgehen“, sagt Hauptenbuchner, „denn im Endeffekt haben doch alle hier dasselbe Ziel: dass der Jungbusch ein bunter, lebendiger und lebenswerter Stadtteil bleibt, was er seit seiner Entstehung immer war.“

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So sieht er auch keinen grundsätzlichen Interessen-Gegensatz zwischen Gastronomen und Anwohnern: „Jeder Gastronom hat das Ziel, zu einem guten Ausgleich mit den Anwohnern zu kommen“, sagt Hauptenbuchner. „Denn nur gemeinsam können die Menschen des Stadtteils diesen wundervollen Ort in die Zukunft führen.“ Natürlich seien im Jungbusch sowohl tagsüber als auch nachts mehr Menschen auf der Straße unterwegs als in anderen Stadtteilen. „Aber das macht doch eine Großstadt aus. Darum lebe ich doch hier und nicht im Odenwald.“

Auch Hauptenbuchner persönlich muss an einem solchen Ausgleich gelegen sein. Denn wer ein paar seiner Immobilien kennt, merkt schnell, dass die Gastronomie ein elementarer Bestandteil seiner Aufwertungsstrategie ist: „Wer einen Laden hat, kümmert sich auch darum, dass der Gehweg anständig aussieht“, erklärt er diese gerne. Man könnte es aber auch anders ausdrücken: In einem Szeneviertel lassen sich höhere Mieten erzielen als über einem Wettbüro.

Der Quartiermanager

Nur wenige kennen den Jungbusch so gut wie Michael Scheuermann, seit 20 Jahren arbeitet er als Quartiermanager im Gemeinschaftszentrum in der Jungbuschstraße 19, wo kurz vor dem Nachtwandel noch jede Menge zu erledigen ist. Trotzdem nimmt er sich Zeit für das seiner Ansicht nach wichtige Thema.

„Eine Ausgehkultur ist im Jungbusch gewünscht“, betont Scheuermann – auch wenn es natürlich einen Interessen-Gegensatz zum Wohnen gebe. Er bewertet die Lage allerdings weniger dramatisch als der Bewohnerverein. Die Belastung sei in diesem Sommer nicht so hoch gewesen wie noch in den Jahren davor, findet der Mann in Jeans und schwarzem Hemd mit Nachtwandel-Button. Einen wichtigen Grund dafür sieht Scheuermann im verstärkten Einsatz von Polizei und städtischem Ordnungsdienst, aber auch in der vermittelnden Arbeit von Nachtbürgermeister Robert Gaa und der sogenannten Nachtschicht. Letztere sind Ehrenamtliche, die freitag- und samstagabends jeweils zu zweit im ehemaligen Hafenviertel unterwegs sind und bei Konflikten vermitteln. Sie sprechen zum Beispiel mit Kneipenbesitzern, wenn Fenster offen sind und die Musik auf der Straße zu laut ist.

Der Quartiermanager sieht es als „großen Fortschritt“, dass sie Gastronomie in Sachen Bewohnerschutz weitgehend mitziehe und sich ihrer Verantwortung bewusst sei. „Sie wissen, dass sie ein Problem bekommen, wenn es dem Gros der Bewohner nicht gut geht.“ Trotzdem arbeiten er und Nachtbürgermeister Gaa noch an Verbesserungen. Für den nächsten Sommer wollen sie die Promenade vereinfacht gesagt in mehrere Zonen einteilen, in denen unterschiedliche Lautstärken erlaubt sind.

Der Nachtbürgermeister

Robert Gaa bewertet den vergangenen Sommer ähnlich wie Scheuermann, und zwar aus denselben Gründen. In den vergangenen Wochen sei im Jungbusch sogar so wenig losgewesen, dass einige Gastronomen schon befürchtet hätten, dass die Besucher wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage ihr Geld zusammenhielten, erzählt der 32-Jährige zwischen zwei Terminen am Telefon.

Seit zwei Jahren ist Gaa jetzt Nachtbürgermeister. Er ist überzeugt: „Ausgehen und Wohnen kann funktionieren, und wir sind auf einem guten Weg.“ Eine wichtige Rolle spielten dabei die Ehrenamtlichen von der Nachtschicht: Das seien junge Menschen, deren Ansprachen bei den Feiernden ankämen.

Die Polizei

Und wie bewertet die Polizei den Konflikt zwischen Wohnen und Ausgehen? Anhand von Zahlen lasse sich das leider nicht beantworten. Denn Anzeigen etwa über Ruhestörungen in den einzelnen Stadtteilen würden von der Polizei nicht systematisch ausgewertet, erklärt Sprecher Norbert Schätzle. Und so findet sich auch in der Lagebeurteilung seiner Kollegen keine eindeutige Antwort: „Das Polizeirevier Mannheim-Innenstadt erreichen, insbesondere in den Sommermonaten, immer wieder Beschwerden von Bewohnerinnen und Bewohnern hinsichtlich Ruhe-/Ordnungsstörungen“, heißt es da. Das Thema werde auch „bei allen Sitzungen und Besprechungen“ durch „Teile der Anwohnerschaft“ eingebracht. Zwar sei die Zahl der Ruhestörungen in diesem Jahr im Vergleich zum vergangenen „leicht gestiegen“. Insgesamt sei seit 2020 allerdings ein Abwärtstrend zu verzeichnen. Und: „Der Sommer 2022 verlief weitestgehend entspannt und friedlich.“

Die Stadtverwaltung

Petar Drakul sieht das alles sehr differenziert. Das ist auch sein Job. Darum sitzt der persönliche Referent von Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) schließlich in der Monitoringgruppe des Stadtteils. Gibt es einen Konflikt zwischen Wohnen und Ausgehen? „Konfliktfrei wäre Feiern nur in einem Gewerbe- oder Industriegebiet möglich“, sagt Drakul. Er sitzt im Rathaus an einem schwarzen Konferenztisch, spricht leise, wägt seine Worte vorsichtig ab. Die Lage im Jungbusch ist komplex, das weiß er besser als fast jeder andere. „Nachtgastronomie ist in einem dicht besiedelten Quartier immer mit Problemen verbunden“, sagt Drakul. „Während der Coronazeit war es allerdings ein Stück weit eskaliert.“ Darum habe man ja im Sommer 2021 die ganzen Maßnahmen eingeführt: Alkohol- und Lautsprecherverbot, höhere Polizeipräsenz, die Nachtschicht-Teams. Durchaus mit Erfolg, so Drakul: „Dieser Sommer war kein Vergleich zum letzten Pandemiesommer.“

Aber lässt sich der Grundkonflikt überhaupt dauerhaft auflösen? „Das sehen wir nicht“, sagt Drakul. „Im Zweifelsfall reichen ja ein oder zwei Personen, die nachts um halb vier grölen.“ Und so etwas lasse sich nie komplett unterbinden.

Wichtig sei es jedoch, weiter im Gespräch zu bleiben, Schritt für Schritt die Entwicklung in die richtige Richtung zu steuern, denn der OB-Referent ist überzeugt: „Der Großteil der Gastronomen hier will auch keine Saufkultur.“ Darum gehe es darum, dass sie Alternativen fänden, um auch tagsüber zu ihren Umsätzen zu kommen anstatt sie nach Mitternacht erzielen zu müssen: beispielsweise durch Frühstücksangebote oder Mittagstische für die Menschen, die in der City arbeiten. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Darum sagt Drakul auch: „Die Diskussion ist sicherlich nicht beendet.“

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