Mannheim. Die Klimabewegung „Letzte Generation“ erhebt nach einem Protest am vergangenen Wochenende schwere Vorwürfe gegen eine Polizistin. Nun äußert sich die Polizei zu den Anschuldigungen.
Vorwürfe gegen Polizistin nach Aktion der „Letzten Generation“ am Wochenende
Neun Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ blockierten am Samstagmittag jeweils zwei Fahrspuren in beide Richtungen auf der Konrad-Adenauer-Brücke. Sieben von ihnen klebten sich mit Händen auf den Asphalt. Die Polizistin soll einer Demonstrantin Öl über Kopf und Nacken geschüttet haben.
Ein Video des „MM“ zeigt den Vorfall. Dem Mann daneben goss sie kurz danach Öl über die linke Hand - obwohl der Mann sich nicht auf den Asphalt geklebt hatte, um für eine Rettungsgasse Platz machen zu können. Doch die Vorwürfe gehen weit über das möglicherweise absichtliche Überschütten mit Öl hinaus.

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Ein Aktivist sagt, sie riss ihm „die Finger vom Asphalt“. Zwei weitere schildern, die Beamtin habe ihnen Kältespray weggenommen, mit dem die eingeklebte Hand hinterher gekühlt werden sollte, um Schmerzen zu verhindern. Dabei soll sie gesagt haben: „Die sollen Schmerzen haben, die sind ja auch selber schuld.“
Die Leibesvisitationen nach ihrer Festnahme, die beinahe bei geöffneter Tür durchgeführt worden seien, beschreibt eine Aktivistin als „demütigend, wortkarg und hämisch“. „Entwürdigend“, kommentiert eine andere Aktivistin. Und wiederum eine andere Aktivistin kritisiert, dass sie grundlos ohne Hose und nur im Slip in der Zelle hätte sitzen müssen.
Was sagt die Polizei zu den Vorwürfen gegen die Polizistin?
Am Freitag äußerte sich Siegfried Kollmar, Polizeipräsident des Polizeipräsidiums Mannheim, zu den Vorwürfen. Kollmar betont, dass es sich bei der Protestaktion der Klimaaktivisten um eine nicht angemeldete Versammlung gehandelt habe. Bei den Protestaktionen käme es „regelmäßig und geplant zu vorsätzlichen Verstößen gegen Gesetze“, so der Polizeipräsident.
Die Stellungnahme der Letzten Generation im Wortlaut
Zur Situation auf der Straße bei der Sitzblockade:
Um gegen den Verfassungsbruch der Regierung in der Klimakatastrophe zu protestieren und darauf aufmerksam zu machen, dass sich in Bayern aktuell mehrere Dutzend Unterstützer:innen der Letzten Generation im Langzeitgewahrsam befinden, protestierten am 02.09.2023 Unterstützer:innen der Letzten Generation mit einer Sitzblockade in Mannheim. Mehrere Personen klebten dabei ihre Hände mit Sekundenkleber auf der Konrad-Adenauer-Brücke an den Asphalt.
Alle folgenden Aussagen beziehen sich auf die Polizeibeamtin, die im Video zu sehen ist, wie sie Öl über den Kopf einer Demonstrantin schüttet (im Folgenden: „die Beamtin“). Nach dem Eintreffen am Versammlungsort auf der Konrad-Adenauer-Brücke sammelte die Beamtin zunächst Klebstofftuben ein.
Mario Hess berichtet: „Beim Einsammeln des Klebers hat die Beamtin auch ein Kältespray eingezogen. Auf meinen Einlass, dass dies benötigt wird, um die geklebte Hand zu kühlen, damit keine Verletzungen an der Hand entstehen, meinte sie nur: ‚Das ist mir egal, ihr seid selbst schuld, ihr habt euch ja auch angeklebt!‘“
Benjamin Schuler erklärt: „Ein Polizeibeamter hat uns Kältespray gegeben mit den Worten: ‚Falls ihr Schmerzen habt, könnt ihr es benutzen.' Die Beamtin ist dazwischen gegangen mit den Worten: ‚Was soll das jetzt?‘ Der Polizeibeamte erwiderte: ‚Das bleibt stehen, die haben Schmerzen.‘ Sie erwiderte: ‚Die sollen Schmerzen haben, die sind ja auch selber schuld.‘“
Um das Lösen der Hände vom Asphalt möglichst verletzungsfrei durchzuführen, verwendet die Polizei Pflanzenöl, das auf die Hände aufgetragen wird, um abschließend die Hände nach einer Einwirkzeit Stück für Stück vorsichtig zu lösen. Die Polizeibeamtin überschüttet mit diesem Pflanzenöl mehrere der Sitzblockierer:innen. Anschließend reicht ein Feuerwehrmann den Betroffenen Papiertücher zum abwischen. Die Szene ist im Video [2] dokumentiert.
Sabine G. berichtet: „In Vorbereitung zum Lösen kippte sie besonders großzügig Öl auf meinen Arm, sodass ich die ganze Zeit in einer großen Lache aus Öl und Desinfektionsmittel saß.“
Stefan Diefenbach-Trommer berichtet: „Mir wurde von ihr Desinfektionsmittel über Hand und Hose gegossen, ohne jede Vorwarnung. Anschließend riss sie mir die Finger vom Asphalt.“
Sabine G. berichtet weiter: „Sie wollte meinen Rucksack durchsuchen, ich erklärte, dass ich ihn nicht absetzen könne, weil meine Hand ja angeklebt sei. Daraufhin riss sie ohne Vorwarnung dreimal so heftig daran, dass ich vor Schmerz aufschrie. Ich habe ihr dann nochmal erklärt, dass ich den Rucksack nicht ausziehen könne. Darauf meinte sie: ‚Ja, selber schuld, das hätten Sie sich überlegen sollen, bevor Sie sich angeklebt haben.‘ Anschließend riss sie an den Reißverschlüssen, sodass meine Sachen herausfielen.”
Zur Situation im Polizeigewahrsam:
Alle Sitzblockierenden wurden ins Polizeipräsidium Mannheim verbracht. Im Hinterhof befindet sich dort der Flachbau mit den Gewahrsamzellen. Braune Kacheln, in vielen Zellen riecht es nach Urin, die Luft abgestanden, einige Zellen haben ein Toilettenloch im Boden.
Susanne Flender berichtet: „Bei mir wollte die Beamtin mit der Leibesvisitation bei noch offener Tür anfangen, eine zweite Kollegin war dabei, die sich sichtlich unwohl fühlte. Daraufhin wurde die Tür geschlossen. Lächelnde Aufforderung: ‚Ausziehen.‘ Brüste hochgezogen. Dann: ‚Hose!‘ Ich habe um mein Oberteil gebeten, dann ging es weiter. Diskussion um Unterhose mit den Damenbinden drin, auch durchsucht. Als ich diese wieder anziehen wollte, Pobacken auseinandergezogen. Alles sehr demütigend, wortkarg und hämisch. Auf meinen Einwand, dass das alles nicht nötig sei, hat nur die andere Kollegin reagiert.“
Jana Trommer, Diplompsychologin/ Kindertherapeutin berichtet: „Ich sollte auf der Polizeiwache im Flur mein Kleid ausziehen. Dann hat sie mich allein in der Zelle nackt durchsucht und ich musste mich ohne Unterhose breitbeinig an die Liege stellen. Eine weitere Aktivistin sollte sich dann in meiner Gegenwart ausziehen, alles zusammen ziemlich entwürdigend.“
Sabine G. berichtet: „Auf der Polizeiwache nahm die Beamtin mich und eine andere mit den Worten in Empfang: ‚Na, welche der Prinzessinnen wollen wir denn zuerst behandeln?‘ Meine beiden Arme waren voller Öl und ich bat darum, mich abwischen zu dürfen, wurde auf die Zelle vertröstet, das war dann aber nicht mehr möglich. Ich musste mich für die Leibesvisitation in der Zelle neben einer anderen Aktivistin (eine junge Polizistin war ebenfalls anwesend) Stück für Stück ausziehen, wollte dann die Unterhose nicht ausziehen, sagte, das sei entwürdigend und ich würde mich schämen. Da riss sie mir die Unterhose selbst runter, ich empfand dies als sehr demütigend.
Und weil ich nicht wollte, dass sie an meiner Hose die Bändel zerschneidet, musste ich ohne Hose, also im Slip in der Zelle sitzen. So sahen mich auch männliche Beamte halbnackt in der Zelle. Da kam dann beispielsweise auch ein Beamter vom KDD (Kriminaldauerdienst) rein, um eine andere Insassin abzuholen. Erst nach Schichtwechsel hat der Beamte am Abend festgestellt, dass dafür, dass ich meine Hose nicht zurückbekäme, ja offenbar kein Grund vorliege, und hat mir meine Hose zurückgegeben.“
Raúl Semmler, Letzte Generation Rhein-Neckar, erklärt: “Bisher hatten wir einen guten Kontakt mit der Polizei in Mannheim. Wir würden uns über ein Gespräch mit allen am Einsatz Beteiligten freuen.”
Die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten des Polizeipräsidiums Mannheim handelten bislang stets verhältnismäßig, konsequent und korrekt, so Kollmar weiter. „Wenn eine Beamtin in einem Einzelfall gegen diese Richtlinie verstößt, dann bleibt dies nicht ohne Überprüfung. Die Vorwürfe werden straf- und disziplinarrechtlich geprüft“, hieß es in der Stellungnahme des Polizeipräsidenten.
Die Staatsanwaltschaft Mannheim habe Vorermittlungen eingeleitet. Dabei würden auch die Angaben der „Letzten Generation“ einbezogen werden.
Wie geht die Polizei bei Protesten der „Letzten Generation“vor?
Auch bei künftigen Protesten der Klimaaktivisten, die sich außerhalb des rechtlichen Rahmens bewegen, würde die Polizei konsequent einschreiten und Rechtsbrüche zur Anzeige bringen. „Die Leichtigkeit des Straßenverkehrs ist ein wichtiges Rechtsgut, welches Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer vor Schaden bewahrt. Dieses gilt es zu schützen“, so Kollmar.
Beleidigungen gegen die Polizistin in den Sozialen Medien bringt die Polizei konsequent zur Anzeige, hieß es in der Mitteilung.
Vorwürfe gegen die Polizistin: Was bleibt unbeantwortet?
Der Polizeipräsident äußerte sich in der Stellungnahme nicht dazu, welche strafrechtlichen und disziplinarischen Folgen der Vorfall für die Polizistin haben könnte, falls ihr ein Fehlverhalten nachgewiesen wird. Auch inhaltlich geht Kollmar nicht auf die Vorwürfe der „Letzten Generation“ ein: Sind die Aussagen der Polizistin tatsächlich so getroffen worden? Liefen die Leibesvisitationen wie beschrieben ab? Offen blieb auch, ob die Beamtin sich zu den Vorwürfen geäußert hat.
Festnahme nach Prügel-Attacke gegen Aktivisten der "Letzten Generation" in Mannheim
Im Fall der Attacke auf in Mannheim protestierende Klimaaktivistinnen und -aktivisten hat die Polizei einen Mann festgenommen. Das teilte der Polizeipräsident am Freitag ebenfalls mit. Der Mann wird verdächtigt, Mitglieder der Gruppe „Letzte Generation“, die am Mittwoch in Mannheim auf der B36 den Verkehr blockierten, geschlagen und getreten zu haben. Was zu der Festnahme bekannt ist, lesen Sie hier.
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