Klima-Proteste

Leibesvisitation und Ölattacke: Viele Vorwürfe gegen Mannheimer Polizistin

Eine Polizistin, ein Ölkanister, ein Video und ganz viele Vorwürfe. Am Mittwoch hat sich die "Letzte Generation" zu Vorfällen auf der Konrad-Adenauer-Brücke geäußert. Was die Aktivisten kritisieren - und was die Polizei sagt

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Florian Karlein
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Um diese Aktivistin geht es: Ihr schüttete am Samstag auf der Konrad-Adenauer-Brücke eine Polizistin Öl über Kopf und Nacken. © Michael Ruffler

Mehr als 1,1 Millionen Mal wurde das Video der „Letzten Generation“ bis Mittwochabend auf X (vormals Twitter) bereits aufgerufen. Darin zu sehen: Eine Polizistin, die einer Demonstrantin Pflanzenöl aus einem großen Kanister zunächst auf die am Asphalt klebende rechte Hand schüttet - und dann im Vorbeigehen auch auf den Hinterkopf und den Nacken. Am Mittwochmittag hat die Klimabewegung eine ausführliche Stellungnahme veröffentlicht - mitsamt Bild der Polizistin. Rund um Vorfälle vom Samstagmittag auf der Konrad-Adenauer-Brücke zwischen Mannheim und Ludwigshafen sind aber viele Fragen offen. Doch die schwerwiegendsten Vorwürfe sollen sich nach der Festnahme auf dem Polizeipräsidium abgespielt haben.

Was war am Samstag auf der Brücke los?

Neun Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ blockierten gegen 13.45 Uhr die jeweils zwei Fahrspuren in beide Richtungen auf der Konrad-Adenauer-Brücke. Sieben von ihnen klebten sich mit Händen auf den Asphalt. Das hatte Auswirkungen auf den Fahrzeug- und den Bahnverkehr zwischen Mannheim und Ludwigshafen. Zwei weitere Aktivisten seilten sich von der Nordseite der Brücke ab, um ein Plakat auszurollen. Der Schiffsverkehr am Ludwigshafener Ufer musste gesperrt und umgeleitet werden. Gut zwei Stunden dauerte die Blockade. Gleichzeitig gab es weitere Proteste in der Fressgasse und in Heidelberg.

Josephine Balk beklagt, an der Hand verletzt worden zu sein. © Michael Ruffler

Was wirft die „Letzte Generation“ der Polizistin vor?

„Hoppala. Da ist der Polizistin der Ölkanister ausgerutscht.“ So beschreibt die Umweltbewegung das Video, in dem die Polizistin einer Demonstrantin Öl über Kopf und Nacken schüttet. Dem Mann daneben goss sie kurz danach Öl über die linke Hand - obwohl der Mann sich nicht auf den Asphalt geklebt hatte, um für eine Rettungsgasse Platz machen zu können. Eine weitere Aktivistin beschreibt in der Stellungnahme, sie habe in einer „Lache aus Öl und Desinfektionsmittel“ gesessen. Doch die Vorwürfe gehen weit über das möglicherweise absichtliche Überschütten mit Öl hinaus.

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Was wird der Polizistin noch angelastet?

Ein Aktivist sagt, sie riss ihm „die Finger vom Asphalt“. Zwei weitere schildern, die Beamtin habe ihnen Kältespray weggenommen, mit dem die eingeklebte Hand hinterher gekühlt werden sollte, um Schmerzen zu verhindern. Dabei soll sie gesagt haben: „Die sollen Schmerzen haben, die sind ja auch selber schuld.“ Die Leibesvisitationen nach ihrer Festnahme, , die beinahe bei geöffneter Tür durchgeführt worden seien, beschreibt eine Aktivistin als „demütigend, wortkarg und hämisch“. „Entwürdigend“, kommentiert eine andere Aktivistin. Und wiederum eine andere Aktivistin kritisiert, dass sie grundlos ohne Hose und nur im Slip in der Zelle hätte sitzen müssen.

Kommt die betroffene Aktivistin in der Stellungnahme zu Wort?

Nein. Laut Raúl Semmler, Speerspitze der Regional-Gruppe der „Letzten Generation“, habe das keinen bestimmten Grund. Auffällig ist auch, dass manche Aktivistinnen und Aktivisten in der Veröffentlichung mit vollem Namen, andere nur mit Vornamen genannt werden. Das dürfe, so Semmler, jeder und jede selbst entscheiden. „Wir stehen zu unseren Aktionen.“ Die Frage nach dem Namen der betroffenen Aktivistin blieb bislang unbeantwortet.

Die Stellungnahme der Letzten Generation im Wortlaut

Mannheim, 06.09.2023, 12:30 Uhr – Ein Video geht viral, in dem eine Polizistin in Mannheim einer Unterstützerin der Letzten Generation bei einer Sitzblockade Pflanzenöl aus einem Kanister über den Kopf schüttet. Nun veröffentlicht die Letzte Generation ein längeres Video dazu . In dieser Pressemitteilung dokumentieren wir Erfahrungsberichte mit dieser Polizeibeamtin auch im anschließenden Polizeigewahrsam.

Zur Situation auf der Straße bei der Sitzblockade:

Um gegen den Verfassungsbruch der Regierung in der Klimakatastrophe zu protestieren und darauf aufmerksam zu machen, dass sich in Bayern aktuell mehrere Dutzend Unterstützer:innen der Letzten Generation im Langzeitgewahrsam befinden, protestierten am 02.09.2023 Unterstützer:innen der Letzten Generation mit einer Sitzblockade in Mannheim. Mehrere Personen klebten dabei ihre Hände mit Sekundenkleber auf der Konrad-Adenauer-Brücke an den Asphalt.

Alle folgenden Aussagen beziehen sich auf die Polizeibeamtin, die im Video zu sehen ist, wie sie Öl über den Kopf einer Demonstrantin schüttet (im Folgenden: „die Beamtin“). Nach dem Eintreffen am Versammlungsort auf der Konrad-Adenauer-Brücke sammelte die Beamtin zunächst Klebstofftuben ein.

Mario Hess berichtet: „Beim Einsammeln des Klebers hat die Beamtin auch ein Kältespray eingezogen. Auf meinen Einlass, dass dies benötigt wird, um die geklebte Hand zu kühlen, damit keine Verletzungen an der Hand entstehen, meinte sie nur: ‚Das ist mir egal, ihr seid selbst schuld, ihr habt euch ja auch angeklebt!‘“

Benjamin Schuler erklärt: „Ein Polizeibeamter hat uns Kältespray gegeben mit den Worten: ‚Falls ihr Schmerzen habt, könnt ihr es benutzen.' Die Beamtin ist dazwischen gegangen mit den Worten: ‚Was soll das jetzt?‘ Der Polizeibeamte erwiderte: ‚Das bleibt stehen, die haben Schmerzen.‘ Sie erwiderte: ‚Die sollen Schmerzen haben, die sind ja auch selber schuld.‘“

Um das Lösen der Hände vom Asphalt möglichst verletzungsfrei durchzuführen, verwendet die Polizei Pflanzenöl, das auf die Hände aufgetragen wird, um abschließend die Hände nach einer Einwirkzeit Stück für Stück vorsichtig zu lösen. Die Polizeibeamtin überschüttet mit diesem Pflanzenöl mehrere der Sitzblockierer:innen. Anschließend reicht ein Feuerwehrmann den Betroffenen Papiertücher zum abwischen. Die Szene ist im Video [2] dokumentiert.

Sabine G. berichtet: „In Vorbereitung zum Lösen kippte sie besonders großzügig Öl auf meinen Arm, sodass ich die ganze Zeit in einer großen Lache aus Öl und Desinfektionsmittel saß.“

Stefan Diefenbach-Trommer berichtet: „Mir wurde von ihr Desinfektionsmittel über Hand und Hose gegossen, ohne jede Vorwarnung. Anschließend riss sie mir die Finger vom Asphalt.“

Sabine G. berichtet weiter: „Sie wollte meinen Rucksack durchsuchen, ich erklärte, dass ich ihn nicht absetzen könne, weil meine Hand ja angeklebt sei. Daraufhin riss sie ohne Vorwarnung dreimal so heftig daran, dass ich vor Schmerz aufschrie. Ich habe ihr dann nochmal erklärt, dass ich den Rucksack nicht ausziehen könne. Darauf meinte sie: ‚Ja, selber schuld, das hätten Sie sich überlegen sollen, bevor Sie sich angeklebt haben.‘ Anschließend riss sie an den Reißverschlüssen, sodass meine Sachen herausfielen.”

Zur Situation im Polizeigewahrsam:

Alle Sitzblockierenden wurden ins Polizeipräsidium Mannheim verbracht. Im Hinterhof befindet sich dort der Flachbau mit den Gewahrsamzellen. Braune Kacheln, in vielen Zellen riecht es nach Urin, die Luft abgestanden, einige Zellen haben ein Toilettenloch im Boden.

Susanne Flender berichtet: „Bei mir wollte die Beamtin mit der Leibesvisitation bei noch offener Tür anfangen, eine zweite Kollegin war dabei, die sich sichtlich unwohl fühlte. Daraufhin wurde die Tür geschlossen. Lächelnde Aufforderung: ‚Ausziehen.‘ Brüste hochgezogen. Dann: ‚Hose!‘ Ich habe um mein Oberteil gebeten, dann ging es weiter. Diskussion um Unterhose mit den Damenbinden drin, auch durchsucht. Als ich diese wieder anziehen wollte, Pobacken auseinandergezogen. Alles sehr demütigend, wortkarg und hämisch. Auf meinen Einwand, dass das alles nicht nötig sei, hat nur die andere Kollegin reagiert.“

Jana Trommer, Diplompsychologin/ Kindertherapeutin berichtet: „Ich sollte auf der Polizeiwache im Flur mein Kleid ausziehen. Dann hat sie mich allein in der Zelle nackt durchsucht und ich musste mich ohne Unterhose breitbeinig an die Liege stellen. Eine weitere Aktivistin sollte sich dann in meiner Gegenwart ausziehen, alles zusammen ziemlich entwürdigend.“

Sabine G. berichtet: „Auf der Polizeiwache nahm die Beamtin mich und eine andere mit den Worten in Empfang: ‚Na, welche der Prinzessinnen wollen wir denn zuerst behandeln?‘ Meine beiden Arme waren voller Öl und ich bat darum, mich abwischen zu dürfen, wurde auf die Zelle vertröstet, das war dann aber nicht mehr möglich. Ich musste mich für die Leibesvisitation in der Zelle neben einer anderen Aktivistin (eine junge Polizistin war ebenfalls anwesend) Stück für Stück ausziehen, wollte dann die Unterhose nicht ausziehen, sagte, das sei entwürdigend und ich würde mich schämen. Da riss sie mir die Unterhose selbst runter, ich empfand dies als sehr demütigend.

Und weil ich nicht wollte, dass sie an meiner Hose die Bändel zerschneidet, musste ich ohne Hose, also im Slip in der Zelle sitzen. So sahen mich auch männliche Beamte halbnackt in der Zelle. Da kam dann beispielsweise auch ein Beamter vom KDD (Kriminaldauerdienst) rein, um eine andere Insassin abzuholen. Erst nach Schichtwechsel hat der Beamte am Abend festgestellt, dass dafür, dass ich meine Hose nicht zurückbekäme, ja offenbar kein Grund vorliege, und hat mir meine Hose zurückgegeben.“

Raúl Semmler, Letzte Generation Rhein-Neckar, erklärt: “Bisher hatten wir einen guten Kontakt mit der Polizei in Mannheim. Wir würden uns über ein Gespräch mit allen am Einsatz Beteiligten freuen.”

Wurden die Aktivistinnen und Aktivisten verletzt?

Nach eigenen Angaben ja. Semmler schildert auf Nachfrage, er habe unter anderem Wunden auf der Außenseite der Hand, und der Mittelfinger sei überdehnt. Die Verletzungen habe er gerichtsfest dokumentieren lassen. Als seine festgeklebte Hand am Samstag vom Asphalt gelöst wurde, schrie er deutlich hörbar. Auch Josephine Balk, die neben ihm saß, schrie, als ihre Hand gelöst wurde. Beide kritisieren das Vorgehen eines Feuerwehrmanns, der die Hände „einfach weggerissen“ und Semmler sowie Balk dabei beleidigt habe.

Hat die „Letzte Generation“ Anzeige erstattet?

Nein, sagen die Klimabewegung und die Polizei übereinstimmend.

Wie hat die Polizei von dem Sachverhalt erfahren?

Durch die mediale Verbreitung. Am Dienstagnachmittag kündigte das Polizeipräsidium Mannheim an, zu prüfen, ob sich aus dem Verhalten der Polizistin strafrechtliche und disziplinarrechtliche Konsequenzen ergeben. Von der Stellungnahme am Mittwoch hat das Präsidium über Presseanfragen erfahren.

Was sagt die Polizei zu den Vorwürfen?

Noch nicht viel. „Wir werden die Angaben sorgfältig prüfen. Sie fließen natürlich in den bereits eingeleiteten strafrechtlichen und beamtenrechtlichen Bewertungsprozess ein“, heißt es auf Nachfrage dieser Redaktion. Das müsse mit Sorgfalt erfolgen und nehme daher Zeit in Anspruch. „Disziplinarrechtliche Maßnahmen müssen rechtssicher und unter Einhaltung gewisser Regularien getroffen werden“, begründet das Polizeipräsidium, wieso es auf einen Großteil der Fragen dieser Redaktion nicht antwortet.

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Welche Fragen sind das?

Offen blieb am Mittwoch etwa, welche strafrechtlichen und disziplinarischen Folgen der Vorfall für die Polizistin haben könnte, falls ihr ein Fehlverhalten nachgewiesen wird. Auch inhaltlich wollte das Präsidium nicht auf die Vorwürfe der „Letzten Generation“ eingehen: Sind die Aussagen der Polizistin tatsächlich so getroffen worden? Liefen die Leibesvisitationen wie beschrieben ab? Offen blieb auch, ob die Beamtin bereits in der Vergangenheit bei Blockaden der „Letzten Generation“ im Einsatz war und ob sie sich zu den Vorwürfen geäußert hat.

Gibt es bereits Kontakt zwischen „Letzter Generation“ und Polizei?

Bislang wohl noch nicht. „Bisher hatten wir einen guten Kontakt mit der Polizei in Mannheim. Wir würden uns über ein Gespräch mit allen am Einsatz Beteiligten freuen“, wird Raúl Semmler am Ende der Pressemitteilung zitiert. Auf die Frage dieser Redaktion, ob sie auf das Angebot eingehen werde, antwortete die Polizei nicht.

Redaktion Leiter des Redaktionsteams Mannheim

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