Mannheim. Herr Oberbürgermeister, warum wollen Sie für keine weitere Amtszeit kandidieren?
Peter Kurz: Es geht ja nicht um ein oder zwei Jahre und um eine Vertragsverlängerung, sondern die Bewerbung um ein politisches Amt für eine Amtszeit von acht Jahren. Das braucht eine Kraft und vor allem eine Begeisterung genau dafür – und die ist nicht ausreichend vorhanden. Man sagt ja: Nur wer selbst begeistert ist, kann auch andere begeistern.
Heißt das, Sie sind amtsmüde?
Kurz: Keineswegs, im Hier und Jetzt bin ich ganz sicher nicht amtsmüde. Aber es geht ja um den Blick in die Zukunft. Ich kenne mich einfach gut genug, um zu wissen, dass mir bei einer Wiederwahl eine Amtszeit bis 2031 deutlich zu lang werden würde.
Wann haben Sie Ihre Entscheidung getroffen? Zu Ihrem 60. Geburtstag am 6. November?
Kurz: Kurz davor, ja. Das war allerdings eine Entscheidung, die über längere Zeit in mir gereift ist und von der ich mir jetzt sicher bin, dass es die richtige für mich ist, und damit auch für die Stadt.
Früher Richter
- Peter Kurz, geboren am 6. November 1962 in Mannheim, ist seit 2007 Oberbürgermeister seiner Heimatstadt.
- Seit 2018 steht er auch an der Spitze des baden-württembergischen Städtetags.
- Vor seiner Wahl zum Stadtoberhaupt war Kurz, der schon als Schüler in die SPD eintrat, Bürgermeister für Bildung, Kultur und Sport, davor Fraktionschef der Sozialdemokraten.
- Abitur machte er am Tulla-Gymnasium, studierte in Mannheim und Heidelberg Rechtswissenschaften und wurde 1994 Verwaltungsrichter. Ein Jahr später promovierte Kurz.
- Der 60-Jährige ist mit Daniela Franz verheiratet. Sie haben zwei erwachsene Kinder. sma
Fällt Sie Ihnen gleichwohl schwer?
Kurz: Absolut. Es ist ja nicht nur das Amt, das aufzugeben mir schwerfällt, sondern auch ein großes Stück eigene Biografie, das endet. Ich war 40 Jahre in der Lokalpolitik, davon 24 als Dezernent oder als Oberbürgermeister. Daher hat es mich auch einige Kraft gekostet, diese Entscheidung zu fällen. Umso froher bin ich, dass mir das jetzt gelungen ist.
Hat das auch mit der zuletzt stark gestiegenen Belastung zu tun?
Kurz: Die Krisen, insbesondere durch Corona und die Folgen des Ukraine-Kriegs, sind sicher das eine. Aber das andere hatte mir schon mein Vorgänger Gerhard Widder vor 15 Jahren prophezeit: Das, was man an Routine gewinnt in den Jahren, setzt man in noch mehr Arbeitsintensität um. So geht es jedenfalls vielen, mir auch.
Einfach mal von 21 Uhr abends bis 9 Uhr morgens das Handy unangetastet zu lassen, käme in Ihrer Position nie in Frage, richtig?
Kurz: Es geht uns ja allen so, dass sich die Arbeitsbelastung wie das Kommunikationstempo enorm verdichtet haben, vor allem mit dem Höllengerät Smartphone (lacht). Früher konnte man einen Vorgang auch mal 24 Stunden liegenlassen, heute ist das nahezu unmöglich.
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Wie ist Ihre Taktung tagsüber?
Kurz: Als Oberbürgermeister nimmt man im Schnitt, schätze ich mal, an acht Sitzungen und anderen Veranstaltungen pro Tag teil. Meistens moderierend in Führungsfunktion. Nebenbei muss man die ganze Zeit mit dem Smartphone und anderen digitalen Mitteln Dinge bearbeiten, weil ansonsten das Alltagspensum gar nicht zu bewältigen wäre.
Was ist mit den Wochenenden?
Kurz: Auch das hat sich verändert. Die waren früher, etwa als Bürgermeister für Kultur und Sport, zwar auch mit Terminen ziemlich belegt. Aber das waren Veranstaltungen, die – in den meisten Fällen jedenfalls – keine Belastung waren. Heute muss ich freie Zeit an Wochenenden zum gründlichen Aktenstudium nutzen, weil ich sonst nicht dazu komme.
Ihre Kinder sind erwachsen, aber ansonsten sind Top-Jobs für Menschen mit Familie zeitlich kaum zu schaffen, was in erster Linie immer noch Frauen trifft. Ist das auf Dauer nicht auch ein großes gesellschaftliches Problem?
Kurz: Das ist für die Demokratie ein bedenklicher Zustand, keine Frage. Wir sollten da Lösungen finden wie in skandinavischen Staaten, wo Zeit für die Familien selbstverständlich ist, auch in Unternehmen. Ich stelle aber auch hier fest, dass die richtige Balance aus Beruf und Leben für viele Menschen wichtiger wird. So habe ich in den vergangenen Jahren mehrfach gehört: „Ihren Job wollte ich nicht haben.“ Das kannte ich vorher nicht.
Wobei speziell Sie ja als niemand gelten, der an ein weniger wichtiges Thema vielleicht auch mal mit einer gewissen Wurschtigkeit rangeht. Im Gegenteil. Fällt da das Loslassen nicht umso schwerer?
Kurz: So ist es. Zur freien Entscheidung muss man sich da durchkämpfen. Das ist wie bei einem Profifußballer Mitte dreißig. Wie hört man richtig auf?
Vielleicht wie Philipp Lahm, der nach dem WM-Gewinn 2014 seine Länderspielkarriere beendet hat?
Kurz: Ja. Den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören zu erwischen, ist jedenfalls im Sport wie in der Politik etwas, das nicht einfach so gelingt.
Sie halten Ihre Familie aus der Öffentlichkeit so gut es geht heraus, dennoch die Frage: Haben Sie Ihre Entscheidung allein getroffen?
Kurz: Nein und ja. Nein, weil meine Frau und ich das zusammen entschieden haben. Aber auch ja, weil für meine Frau ebenfalls der Maßstab war, dass ich es als richtig empfinden muss. Das hätte für eine Wiederkandidatur genauso gegolten.
Es gab auch keine Befürchtung, dass es mit Ihnen zuhause wie im Film „Papa ante portas“ geht?
Kurz: Haha, nein. Aber ich glaube auch nicht, dass ich nur noch daheim Däumchen drehen oder den Garten machen werde.
60 ist ja auch noch kein hohes Alter. Was haben Sie vor?
Kurz: Da gibt es noch keine konkreten Pläne. Ich bin für vieles offen.
Sie sind international gut vernetzt. Wäre da nicht vielleicht eine Position etwa in New York, Brüssel oder Genf reizvoll?
Kurz: In den drei Städten und den dortigen Institutionen sehe ich das eher nicht. Da viele Themen immer internationaler werden, will ich aber ein Engagement in diesem Bereich generell nicht ausschließen. Ich plane auch nicht, direkt in eine nächste Funktion zu wechseln.
Gibt es schon erste Überlegungen?
Kurz: Natürlich denkt man über Modelle und Möglichkeiten nach. Aber ich habe in der Mitteilung an die Mitarbeiter meine Entscheidung ja auch mit den großen Herausforderungen in den kommenden Monaten begründet. Auf die will ich meine Kraft konzentrieren. Wahlkampf würde da nicht reinpassen, Jobsuche auch nicht.
In einer Stadt wie Mannheim kann man als Oberbürgermeister wohl niemals einen leeren Schreibtisch hinterlassen. Aber aktuell gibt es besonders viele Großbaustellen: Nationaltheater, Klinikum, zwei Nummern kleiner auch die Stadionfrage. Was können Sie da jeweils noch erreichen?
Kurz: Beim Klinikum haben ja auch alle externen Gutachter längst bestätigt, wie sinnvoll die angestrebte Verbindung mit Heidelberg wäre. Ich hoffe sehr, dass wir dafür endlich einen konkreten Fahrplan mit dem Land entwickeln können. Beim Nationaltheater haben wir von Bund und Land Fördermittel in Höhe von 120 Millionen Euro akquirieren können. Damit sind wir in der Lage, das Projekt zu stemmen. Das ist bereits auf den Weg gebracht.
Aber wird vor allem angesichts der extrem gestiegenen Baukosten das Ganze nicht sehr viel teurer?
Kurz: Damit muss man leider rechnen. Aber deswegen kann man ja das Projekt nicht abmelden. Wir sind zur Steuerung personell gut aufgestellt. Und beim Stadion werden wir die möglichen Alternativen herausarbeiten und dem Gemeinderat eine Entscheidungsgrundlage liefern.
Eine Ihrer letzten großen Amtshandlungen wird die Eröffnung der Buga am 14. April sein. Passt Ihnen das auf der Zielgeraden?
Kurz: Zeitlich ist das natürlich Zufall. Aber da die Buga eine tolle Plattform für die Stadt als Ganzes ist, die Nachhaltigkeit ins Zentrum stellt und für die Stadtentwicklung der letzten Jahre steht, passt das schon gut.
Aber was ist, wenn zur Eröffnung vieles noch unfertig ist?
Kurz: Ich bin sehr zuversichtlich, dass alles rechtzeitig fertig wird. Allerdings haben wir mit allem zu kämpfen gehabt, was man sich kaum vorstellen konnte: die verspätete Übergabe des Geländes durch den Bund, die Probleme der Pandemie und nun die Folgen des Ukraine-Kriegs mit Auswirkungen auf die Lieferketten . . .
Sie begründen Ihren Rückzug auch damit, es brauche mal frischen Wind und neue Gesichter. Wer schwebt Ihnen da vor?
Kurz: Damit wollte ich nur sagen: ein anderes Gesicht als meines.
Einen Wunsch-Nachfolger haben Sie nicht?
Kurz: Warum sollte ich jemand öffentlich empfehlen? Erstens geht das in meiner Rolle nicht, und zweitens würde ich dem Betreffenden damit keinen Gefallen tun.
Aber SPD-intern könnten Sie durchaus Einfluss auf die Kandidaten-Auswahl nehmen.
Kurz: Als Mitglied, nicht in meiner Rolle, aber das sieht alles nach einer harmonischen Entscheidungsfindung aus.
Als wahrscheinlichster Kandidat der Sozialdemokraten gilt Fraktionschef Thorsten Riehle . . .
Kurz: Stopp! Sie brauchen erst gar nicht zu versuchen, mir zu einzelnen Namen etwas zu entlocken.
Aber auch wenn Sie sich nun ganz auf Inhalte konzentrieren wollen, werden die Kandidatenkür der Parteien und der Wahlkampf die Lokalpolitik absolut dominieren. Wie wollen Sie verhindern, dass das alle Themen überlagert?
Kurz: Die Entscheidungen, die anstehen, verlangen alle eine ernsthafte Behandlung. Sollte die nun jemand zur Profilierung nutzen wollen, kann ich nur den allgemeinen Rat geben: Die Wahrnehmung von politischen Aktionen im Gemeinderat durch die Öffentlichkeit wird überschätzt, und Schaufensterreden schaden nur. Überzeugend ist, was erkennbar um die Sache geht. Ich mache mir da auch keine Sorgen: Diese Stadt hat schon viele Wahlkämpfe ausgehalten.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Entscheidung von Peter Kurz gebührt hoher Respekt