Häusliche Gewalt

Femizid im Mannheimer Waldweg: Ermittlungen abgeschlossen

Jeden dritten Tag tötet in Deutschland ein Mann seine Geliebte oder Ex-Lebensgefährtin. Häufig kündigen die Täter ihr Vorhaben an. Doch die Signale werden übersehen. Auch bei einem Fall in Mannheim

Von 
Stefanie Ball
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Gewaltstraftaten unter Kindern und Jugendlichen stiegen in Wertheim an. © Jonas Walzberg/dpa

Mannheim. Der Fall hatte im Juni für Entsetzen gesorgt, jetzt sind die Ermittlungen abgeschlossen. „Der Ex-Lebensgefährte hat zunächst die Frau getötet und dann sich selbst“, teilt die Staatsanwaltschaft Mannheim mit. Eine etwaige Beteiligung weiterer Personen könne ausgeschlossen werden. Damit ist klar, was eigentlich schon in jener Nacht offensichtlich war: dass sich im Neckarauer Waldweg ein Femizid ereignet hat, die Tötung einer Frau durch ihren ehemaligen Lebenspartner.

Rat für Betroffene

 

  • Polizei: 110, hier kümmert sich eine extra dafür eingerichtete Koordinierungsstelle für häusliche Gewalt um Betroffene.
  • Beratung und Hilfe bietet auch das Fraueninformationszentrum (FIZ), Tel.: 0621/37 97 90, sowie die Beratungsstelle Frauen und Mädchennotruf, Tel. 0621 / 1 00 33.
  • Zuflucht bietet das Mannheimer Frauenhaus, Tel. 0621 / 74 42 42 und das Frauen- und Kinderschutzhaus Heckertstift, Tel. 0621 / 41 10 68.
  • Die Gewaltambulanz des Instituts für Rechts- und Verkehrsmedizin Heidelberg dient dem Schutz der Opfer vor weiteren Übergriffen und der Rechtssicherheit in Strafverfahren, in denen objektiv gesicherte Beweise wichtig sind. Terminabsprache ist für die Untersuchung erforderlich unter Tel. 0152/54 64 83 93. Die Ärzte unterliegen der Schweigepflicht.
  • Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, erreichbar unter 08000 / 116 016, ist ein bundesweites, kostenloses Beratungsangebot. lia

Fast jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. Seit 2015 wertet das Bundeskriminalamt Gewalt in Partnerschaften kriminalistisch aus. Opfer sind fast immer Frauen. 2021 starben 113 Frauen und 14 Männer durch Gewalt in der Partnerschaft. Solche Intimizide - oder Femizide, wenn eine Frau wegen ihres Geschlechts getötet wird - finden sowohl in bestehenden als auch in Ex-Partnerschaften statt.

Doch warum kommt es zu diesem Gewaltexzess, warum erwürgen, erstechen, erschlagen Männer ihre Frauen oder Ex-Frauen? „Intimizide sind in der Regel keine spontanen Affekttaten, sondern ihnen geht eine Planungsphase voraus“, sagt Stefanie Horn, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Deutschen Hochschule der Polizei. Anders als in Medien oft dargestellt, handelt es sich also nicht um eine Kurzschlusshandlung oder ein Familiendrama. Vielmehr sind Intimizide der tragische Schlusspunkt eines längeren Konflikts.

Fatalerweise stellt sich häufig erst in der Rückschau heraus, dass es Warnsignale gab, die auf die Tat hindeuteten. „Es kann sein, dass der Gefährder seine Tatfantasien oder -ideen gegenüber Dritten deutlich macht“, sagt Horn. Das können verbale Drohungen gegenüber der späteren Betroffenen sein oder konkrete Pläne, die der Täter vorab mit anderen teilt. Leaking nennt sich das.

Erkenntnisse aus Amokforschung

„Aus der Amok- und Terrorismusforschung ist Leaking als ein spezifischer Frühindikator für anstehende Taten bekannt und wird dort präventiv genutzt“, erklärt Horn. In Bezug auf Intimizide fehlt dafür bislang noch die Datenbasis. In einem gemeinsamen vom Bundesfrauenministerium geförderten Forschungsprojekt wertet die Deutsche Hochschule der Polizei mit der Psychologischen Hochschule Berlin und dem Polizeipräsidium Ravensburg die Akten von Intimiziden aus, um Signale herauszufiltern, die Ansatzpunkte für eine verbesserte Prävention bieten können.

Eine Möglichkeit zur Risikobewertung, die der Polizei schon jetzt zur Verfügung steht, sind Prognoseinstrumente. Die Polizei Baden-Württemberg hat sich vor zwei Jahren im Rahmen eines neuen Gefährdungsmanagements für ein solches Tool entschieden. Odara nennt sich das, von Englisch Ontario Domestic Assault Risk Assessment. Dabei handelt es sich um einen Fragebogen mit 13 Punkten, um abzuklären, ob es bereits Vorfälle von häuslicher Gewalt gab, inwieweit Kinder im Haushalt leben oder es eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit gibt. Ziel ist, Hinweise auf eine statistisch wahrscheinliche Gewalteskalation zu erhalten.

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Auch bei der 36-jährigen Frau aus Neckarau kam Odara zum Einsatz. „Der Fall wurde einmal in der niedrigsten und einmal in der nächsthöheren Kategorie eingestuft“, erklärt Markus Becker von der Koordinierungsstelle häusliche Gewalt des Polizeipräsidiums Mannheim. Der spätere Täter war zuvor bereits gewalttätig geworden, 2020 und 2021 gab es Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung; die Verfahren wurden eingestellt, es wurde allerdings ein mehrtägiges Annäherungsverbot gegen den Mann verhängt und eine Gefährderansprache durchgeführt. Ihm wurde klargemacht, dass er unter Beobachtung steht. „Wird ein Fall bei Odara in die höchste Kategorie, die dritte, eingestuft, muss eine Fallkonferenz durchgeführt werden“, sagt Becker. Da sitzen dann sämtliche Behörden mit am Tisch, zum Beispiel das Jugendamt oder die Waffenbehörde, um sich auszutauschen und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen.

Der Fall aus Neckarau hat die höchste Odara-Kategorie nie erreicht. Die grundsätzliche Problematik: Häusliche Gewalt findet hinter verschlossenen Türen statt, viele Opfer schweigen über die Taten, weil sie sich schämen. Gibt es erst gar keine Gewaltvorgeschichte, unterschätzen Analysetools regelmäßig das Risiko für einen Intimizid.

Risikoanalyse mit Schwächen

„Man wird kein Risikoanalyseinstrument entwickeln können, das eine 100-prozentige Trefferquote hat“, betont Stefanie Horn. Darüber hinaus seien Trennungskonflikte hochdynamisch, selbst für professionelle Dritte sei es schwer, die Situation richtig einzuschätzen. Auch Betroffene, Angehörige, Freunde seien sich der tatsächlichen Risiken oft nicht bewusst. So passiert es, dass die Frau den Ex-Freund noch einmal aufsucht oder ihn ins Haus lässt.

Auch die Mannheimerin hatte sich von ihrem Lebensgefährten Ende 2022 endgültig getrennt. Trotzdem ist sie weiterhin mit ihm in Kontakt Der Grund: die gemeinsamen zwei Kinder. Sie sind zum Zeitpunkt der Tat zwei und drei Jahre alt. Die Frau braucht ihren Ex-Partner, damit dieser sie bei der Erziehungsarbeit unterstützt. So darf er nach wie vor in ihr Haus in Neckarau.

So wie an jenem Abend im Juni, als Opfer und Täter noch mit einem Nachbarn zusammensitzen. Wenige Stunden später sticht der Mann auf seine Ex-Freundin ein. Sie kann einen Notruf absetzen. Doch ehe die Polizei eintrifft, ist sie verblutet.

Freie Autorin

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