Mannheim. Nach mehr als einstündigem Gespräch mit einigen Kurzstreckenfahrten kommt der persönliche Höhepunkt. Vorsichtshalber am Mannheimer Busbahnhof in der Heinrich-von-Stephan-Straße, wo an diesem Nachmittag wenig Verkehr ist.
Philipp Wiegand steigt wunschgemäß vom Sattel und nimmt auf der Rückbank Platz. „Bitteschön!“ Die Feststellbremse am linken Lenkergriff ist gelöst, die Pedale lassen sich leicht treten. Zu leicht, der Tacho zeigt magere sieben Stundenkilometer an. Vielleicht ein paar Gänge hochschalten, ebenfalls links am Lenker? „Nein, noch nicht“, ruft Wiegand von hinten. „Weniger treten und den Gashebel drehen.“ Das klingt super!
Im zweiten Anlauf klappt es, den Hebel rechts am Lenker im richtigen Rhythmus zu bewegen. Schon bekommt das „Bike-Taxi“ - der klassische Name lautet Rikscha - wie von Geisterhand einen Schub. Jetzt sind wir bei Tempo 15. Maximal zulässig für das Pedelec ist 25, dann muss die Unterstützung über den Akku enden. Aber weil eine scharfe Kurve kommt, ist weniger Geschwindigkeit für den Anfänger wohl nicht dumm.
Heute Rikschafahrer, früher Pferdekutscher
„Auf den Rückspiegel achten“, mahnt Wiegand. „Da vorne vor dem Hotel können Sie wenden.“ Der Wendekreis ist angenehm klein, überhaupt fällt das Fahren viel leichter als erwartet. Das mag allerdings auch daran liegen, dass Wiegand nur 65 Kilo wiegt. „Wenn Sie zwei 250-Kilo-Fahrgäste haben, sieht das schon ganz anders aus.“ Dann rate er vorab von längeren Strecken oder Steigungen ab. „Sonst tue ich weder denen noch mir einen Gefallen.“

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Erneuter Fahrerwechsel. Wiegand sitzt wieder vorn, hinten sind es vier Kilo mehr. Bevor Zuschriften einen illegalen Selbstversuch im Straßenverkehr kritisieren: So ein Bike-Taxi darf laut Wiegand jeder fahren. TÜV-Gutachten, Haftpflichtnachweis und Gewerbeanmeldung stecken in einer Klarsichthülle hinter der Rückbank. Anders als seine Fahrer habe er aber auch einen Personenbeförderungsschein und sogar einen Kutschenführerschein.
Das sei früher in Berlin und in Neuschwanstein sein Beruf gewesen, ehe man diese Form der Fahrgastbeförderung verboten bis stark eingeschränkt habe. „Aus Tierschutzgründen ist das schon richtig so.“
So viel kostet die Fahrt mit den E-Rikschas
2015 zog Wiegand nach Mannheim ins Wohlgelegen. Nach einer Art Lehre in Frankfurt hat er hier nun dauerhaft zwei Bike-Taxis. Meistens stehen sie am Hauptbahnhof oder am Wasserturm. Ein weiteres fährt in Heidelberg. Das sei zu 99 Prozent mit touristischen Fahrten ausgelastet, so Wiegand. Die seien in Mannheim noch sehr ausbaufähig. Bislang wollten rund 80 Prozent der Kunden einfach nur schnell von A nach B.
Zum Luisenpark-Haupteingang kostet es vom Wasserturm neun Euro, vom Hauptbahnhof zwölf und von dort zur Alten Feuerwache zehn Euro. Eine 30-minütige Standrundfahrt wird für 29 Euro angeboten, eine 90-minütige für 89. Am liebsten fährt er über Oststadt, Neckarbrücken und „Little Istanbul“ zur Jesuitenkirche. „Dann können meine Fahrgäste die besichtigen, und ich kann mich kurz erholen.“ Selbstverständlich seien Touren frei aushandelbar. Zu allen Sehenswürdigkeiten auf der Strecke habe er viel zu erzählen, das verdeutlichen Stichproben.
Die E-Rikschas fahren an sechs Tagen die Woche
Auch Auftragsfahrten nur zu einem Ziel übernehmen der 67-Jährige und seine Fahrer, die Handynummer steht hinten auf den E-Rikschas. Was kostet es von Feudenheim zum Hauptbahnhof? „Davon würde ich abraten“, sagt der Unternehmer. Für die Strecke müsse er 35 Euro nehmen, da seien herkömmliche Taxis deutlich schneller und günstiger. „Aber wenn Sie vom Bahnhof zum ,Mannheimer Morgen’ in die Dudenstraße wollen, lohnt sich das für zwölf Euro schon eher.“ Zumal seine Pedelecs auf Fahrradwegen zu Stoßzeiten oft flotter vorankämen. Vor allem in der Innenstadt, wo sie ja auch die meisten Einbahnstraßen in beiden Richtungen nutzen dürften. Vom Hauptbahnhof zum Paradeplatz etwa veranschlagt Wiegand sieben Minuten und sieben Euro.
Er sagt, seine Kunden wüssten die Festpreise ohne Taxameter zu schätzen, ebenso die absolut umweltfreundliche Fortbewegung. Sie stammten aus allen Altersklassen. Gefahren werde täglich von 10 bis 20 Uhr, Montag sei Ruhetag. Der Schnitt liege bei 14 Fahrten täglich.
Lohnt sich das? „Ich finanziere mich komplett über meine Werbepartner“, erklärt Wiegand. Derzeit prangt die Heidelberger Körperwelten-Ausstellung auf den Bike-Taxis. „Und meine Fahrer bekommen die Velos gratis zur Verfügung gestellt.“ Als Kleinunternehmer könnten sie die Einnahmen für sich behalten.
Heißer Tag? Rikschafahrt kann angenehm sein
Insgesamt sind es sieben Fahrer in Teilzeit, überwiegend Studenten. Einer sitzt zur Kaffeepause vor einer Bäckerei in der Berliner Straße mit am Tisch. Der Mann, der anonym bleiben will, fährt nebenberuflich. Auf die Frage, ob er über den Mindestlohn komme, sagt er: „Mal so, mal so.“ Im Schnitt seien es schon mehr als die zwölf Euro. Aber die Arbeit mache ihm auch Spaß: „Die Abwechslung, nette Unterhaltungen, viel Bewegung an der frischen Luft. Und man wird sehr fit.“
Dann geht es mit Wiegand im Sattel weiter. Nach dem Selbstversuch fällt noch mehr auf, wie flott er das Gefährt durch engste Stellen bugsiert. Auch wirkt der Fahrtwind an diesem heißen Tag angenehm. Im nächsten Jahr will der Unternehmer, ausreichend Werbepartner vorausgesetzt, expandieren. Dann sollen es drei Bike-Taxis in Mannheim werden. Vielleicht wäre das ja was, wenn es mit dem „MM“ eines Tages nicht mehr funktionieren sollte. Die Anfänger-Fahrkünste hat Wiegand „ganz hervorragend“ genannt. Wenn das geschwindelt war, war es immerhin charmant geflunkert.
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