RNT2020

Massive Kritik an Mannheims neuen Straßenbahnen - das sagt der Projektleiter

Seit wenigen Monaten rollen die ersten Züge der Rhein-Neckar-Tram 2020 auf den Gleisen in Mannheim und der Region - und ernten massive Kritik. RNV-Projektleiter Frank Ehemann bezieht bei einer Rundfahrt Stellung

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Florian Karlein
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114 neue RNT-Straßenbahnen will die RNV Ende 2026 fahren lassen. Projektleiter Frank Ehemann verteidigt die Fahrzeuge gegen Kritik. © Florian Karlein

Mannheim. Rausgeschmissenes Geld. Das ist nur einer der jüngsten Vorwürfe, die seit langem an den neuen Straßenbahnen laut werden. Etliche Zuschriften an diese Redaktion zeigen, dass die Kritik nicht abreißt an der Rhein-Neckar-Tram (RNT2020) der Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft (RNV), die seit einigen Monaten auf den Gleisen in Mannheim und der Region rollen. Deswegen ist der „MM“ mit Frank Ehemann in einer der neuen Bahnen gefahren. In der Linie 3 vom Hauptbahnhof zur Rheingoldhalle in Neckarau, zur Endhaltestelle in Sandhofen und wieder zurück. In etwa zwei Stunden hat der Projektleiter für die Einführung der RNT2020 zu den Kritikpunkten Stellung bezogen.

1. Vorwurf: Die Gänge in der Rhein-Neckar-Tram sind zu eng

Ein Vorwurf, der besonders oft laut wird. Zwar sind die neuen Bahnen, so Ehemann, mit standardisierten 2,40 Meter genau so breit wie die Vorgängermodelle, die derzeit immer noch auf den Gleisen rollen. Dass der Durchgang zwischen den Sitzen enger ist, weiß er, bezeichnet das aber als „gottgegeben“. Was der Projektleiter scherzhaft versucht, einfach zu erklären, hat einen komplexen Hintergrund.

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Die RNT2020 ist technisch nämlich anders konstruiert: mit sogenannten Drehgestellen unter jedem Wagen. „Ohne sie könnten die Bahnen die engen Kurven im gesamten Verkehrsgebiet nicht fahren“, sagt Ehemann und zeigt auf den Tattersall, wo hinter der Linie 3 gerade ein älteres Modell auf den Ring einbiegt. „Hier etwa.“ Die modernen Drehgelenke bräuchten mehr Platz, was sich in der Breite der Durchgänge in den Fahrzeugen niederschlage.

© MM-Grafik

Anders aufgebaut sind die Vorgängerbahnen, sogenannte Multigelenkfahrzeuge, bei denen die Räder eben nicht unter jedem Wagen sind. Und gerade in den Abteilen ohne Räder – Ehemann bezeichnet sie als „Röhren“ – ist mehr Platz für die Durchgänge. Doch in den Waggons mit Rädern sei die Durchgangsbreite in den beiden Modellen laut Ehemann ähnlich. „Das ist die Frage, die dann immer kommt“, antwortet Ehemann, als der „MM“ wissen will, wieso die RNT2020 dann jetzt Drehgestelle bekommen hat. Seine Erklärung: Die neuen Bahnen sind schwerer als die bisherigen Modelle. Unter anderem wegen neuer Sicherheitsnormen – Ehemann: „Stabiler bedeutet schwerer“ -, aber auch wegen leistungsstärkerer Klimaanlagen etwa. Multigelenkfahrzeuge schöpften das zulässige Höchstgewicht zu schnell aus. Der Wechsel auf Drehgestelle sei „unausweichlich“.

Frank Ehemann

  • Frank Ehemann ist 54 Jahre alt und lebt im Mannheimer Stadtteil Niederfeld.
  • Seit 2018 ist er bei der RNV und Leiter des Bereiches Fahrzeuge – und damit für die Einführung der neuen Rhein-Neckar-Tram (RNT) 2020 zuständig. Die Entscheidung für die RNT fiel aber schon vorher.
  • Zuvor war der gebürtige Karlsruher als Leiter des Bereichs Instandhaltung bei der Deutschen Bahn beschäftigt.
  • Seine berufliche Karriere begann Ehemann bei den Verkehrsbetrieben Karlsruhe, wo er schon während seines Maschinenbau-Studiums jobbte.

2. Vorwurf: Die höheren Bahnen sehen nicht gut aus

Geschmackssache, sagt Ehemann. Aber Fakt sei, dass die Waggons im Inneren nicht höher seien. Vielmehr sorgten Verkleidungen von technischer Ausstattung auf dem Dach dafür, dass die Bahnen höher und schmaler wirken. Er sieht darin sogar einen psychologischen Vorteil für das Sicherheitsgefühl: „Für das Stadtbild finde ich das persönlich besser, als wenn die alten Wuchtbrummen über die Planken fahren“, sagt Ehemann. Gerade in Fußgängerzonen wirkten die neuen Modelle wegen ihrer Form nicht so bedrohlich wie die alten.

3. Vorwurf: Die Sitze in der Rhein-Neckar-Tram sind zu schmal

Die Linie 3 passiert an diesem frischen Nachmittag gerade die Haltestelle „Meeräckerplatz“, als es erstmals um die Sitze geht. Die beiden Vierergruppen hinter dem Fahrer sind zu diesem Zeitpunkt komplett belegt. Berührungen mit Knie und Fuß kommen vor, aber niemand kommt sich zu sehr in die Quere.

Die Polstersitze machen nicht alle Fahrgäste glücklich. Sie seien zu schmal. © Florian Karlein

Für Frank Ehemann ein Beweis dafür, dass die Sitze nicht zu schmal sind. Außerdem: „Es gibt keinen Unterschied zu den Vorgängerbahnen“, sagt er. In den „Röhren“ der bisherigen Bahnen ist einem Doppelsitz ein Einzelsitz gegenüber – das sei in den neuen Fahrzeugen wegen der Drehgestelle nicht möglich.

4. Vorwurf: Es gibt weniger Sitzplätze in den Bahnen

Das stimmt. „Etwas weniger“, bestätigt Ehemann. Das liege daran, dass die Bahn auf beiden Seiten Türen hat. Und die benötigt die RNT2020, um auch in Heidelberg fahren zu können, wo es keine Wendeschleifen gibt, sondern die Fahrtrichtung gewechselt werden muss. Deswegen verfügen die neuen Bahnen auch über Fahrerkabinen an beiden Enden, erklärt Ehemann. Dass es auch etwas mehr Sitze gibt, auf denen Passagiere rückwärts fahren, sei ebenfalls dem Zwei-Richtungen-Konzept geschuldet.

5. Vorwurf: Die Holzsitze – nicht bequem und zu rutschig

Auf dem Weg zur Endhaltestelle Sandhofen muss die Linie 3 plötzlich bremsen. Fahrgäste auf den Holzsitzen rutschen unweigerlich zumindest etwas nach vorn. Auch das stört einige Mitfahrende. „Das sind Sitze eines etablierten Herstellers“, sagt Ehemann. Abhilfe könnten möglicherweise Stoffteile auf dem Holz sorgen. Aber er fügt an, darin keine Lösung zu sehen. „Wer sich Holzsitze wünscht, muss damit leben, dass sie rutschiger sind als Stoffsitze.“

Die Holzsitze sorgen immer wieder für Kritik. Frank Ehemann hält sie nicht für unbequem. © Florian Karlein

Ehemann berichtet, dass im Planungsverfahren das Bedürfnis nach Holzsitzen geäußert worden sei. Unter anderem, weil sie im Gegensatz zu Stoffbezügen leicht abgewischt werden können. Dass es sie vor allem im vorderen und hinteren Bereich der Bahnen gibt, habe ebenfalls einen Grund: „Da sitzen oft diejenigen, die gern die Füße hochlegen“, sagt Ehemann. Er persönlich findet sie nicht unbequem, sagt er. Etwa ein Drittel der Sitzplätze in den 30-Meter- und den 60-Meter-Bahnen ist aus Holz, in den 40-Meter-Bahnen ist es etwa die Hälfte.

6. Vorwurf: Die Haltestangen sind zu hoch, die Haltegriffe zu wenig

„Wir können es weder für die sehr kleinen noch für die sehr großen Menschen perfekt machen“, sagt Ehemann. Die Höhe der Haltegriffe sei immer ein Kompromiss. Deswegen gebe es die hohen Haltegriffe immer in Kombination mit Griffen auf den Sitzlehnen. Die seien eine genaue Vorgabe der RNV an den Hersteller Skoda gewesen. Über Sitzplätzen gibt es laut Ehemann keine Haltegriffe, damit sich Fahrgäste beim Aufstehen nicht den Kopf anstoßen.

7. Vorwurf: Die Treppen im vorderen und hinteren Bereich stören

Das kann Frank Ehemann verstehen. Aber auch die Treppenstufen seien wegen der neuen Drehgestelle unter den Fahrzeugen unvermeidbar. Nur an den Enden der Züge gibt es die Treppen. Im Dialogverfahren mit Interessengruppen wurden sie in der Mitte der Züge durch Rampen ersetzt.

Frank Ehemann ist groß – für ihn ist es kein Problem, die hohen Haltegriffe zu greifen. © Florian Karlein

8. Vorwurf: Die Bahnen quietschen zu laut

Zurück am Hauptbahnhof. Die Linie 3 fährt wieder auf den Ring – und quietscht in der Linkskurve auf dem Willy-Brandt-Platz unüberhörbar. Das liege daran, erklärt Ehemann, dass die Räder auf der Innenseite in Kurven einen kleineren Radius fahren müssen als auf der Außenseite. „Salopp: Das Rad schrubbt über die Gleise.“ Früher sei das in jeder Kurve so gewesen, jetzt sprühen die Bahnen ein Trennmittel auf die Gleise in Kurven, bei denen das Quietschen vorkommt.

Das passiert automatisch für jede Kurve, die ins System einprogrammiert wird – künftig also auch bei der auf dem Bahnhofsvorplatz. Neu ist das allerdings nicht, wie Ehemann erklärt, als eines der alten Modelle einfährt. Das Brummgeräusch ist ebenfalls unüberhörbar. Ehemann: „Weil sie langsamer fährt. Wäre sie schneller, wäre das Geräusch auch höher.“ Also ein Quietschen.

Fazit: Verändert die RNV in den neuen Bahnen noch etwas?

Danach sieht es derzeit nicht aus. Zwar gab es Überlegungen, den Ticketentwerter etwas weiter nach unten zu versetzen, um darüber mehr Grifffläche an der Stange zu schaffen. Eine „nennenswerte Verbesserung“ erlaube die Konstruktion jedoch nicht, sagt RNV-Pressesprecher Moritz Feier. Darüber hinaus lasse sich an den kritisierten Punkten oft nichts mehr machen. Und wenn, sei die Frage offen, wer es bezahlt. „Der Hersteller muss dafür aufkommen, wenn etwas geändert werden muss, weil es nicht zulässig ist“, sagt Ehemann.

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Geht es aber um Ästhetik, bleiben die Kosten an der RNV hängen – etwa bei den Holzsitzen. Und für die 114 Bahnen, die bis 2026 rollen, gibt die RNV bereits 431 Millionen Euro aus. Projektleiter Ehemann verteidigt beim Aussteigen noch einmal die neuen Straßenbahnen. „Man kann nicht jedes Detail vorhersehen und planen. Auch wenn es gerade viel Kritik an den Bahnen gibt, ist das Feedback insgesamt positiv.“

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