Mannheim. Der Deutsche Hochschulverband hat Thomas Puhl als „Rektor des Jahres“ ausgezeichnet. Der 67-Jährige spricht über den Preis, komplizierte Themen der vergangenen Monate - und seine Zukunft.
Herr Puhl, Sie sind vor wenigen Wochen zum Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenz gewählt worden, dann hat die Stadt der Bebauung des Friedrichsparks zugestimmt, nun ehrt Sie der Deutsche Hochschulverband zum „Rektor des Jahres“. Viel besser hätten die vergangenen Wochen für Sie nicht laufen können oder?
Thomas Puhl: Was die Landesrektorenkonferenz anbelangt, müssten Sie nochmal meine Frau fragen - die sagt nämlich, das sei zu viel Arbeit (lacht). Aber ich freue mich natürlich über den Rückenwind, den ein solches Votum der Kolleginnen und Kollegen und eine solche Auszeichnung mit sich bringen. Das ist in Corona-Zeiten nicht selbstverständlich. Und die Entscheidung über den Friedrichspark ist unglaublich wichtig für die Universität.
Sie sind erst seit 2018 Rektor, waren als Neueinsteiger zuletzt direkt auf Platz 2 - nun sind Sie „Rektor des Jahres“. Was machen Sie denn so viel besser als andere Rektoren?
Puhl: Nichts (lacht).
Nichts?
Puhl: Als Jurist trage ich den Spruch „Audiatur et altera pars - Man muss immer allen Seiten gut zuhören“ in meiner DNA. Man muss sich bemühen, die Interessen unterschiedlicher Parteien zu berücksichtigen und vernünftige Kompromisse auch als Kompromisse zu kommunizieren. So findet man zu Entscheidungen, die man am Ende vielleicht auch gegen Widerstand durchsetzen kann und muss. Ich versuche aber immer, alle Beteiligten mitzunehmen.
Wann haben Sie das letzte Mal zugehört und Kompromisse kommuniziert?
Puhl: Wir diskutieren im Moment über Geld, das wir für ein bestimmtes Studienplatzprogramm bekommen. Wenn es ums Geldverteilen geht, gibt es immer verschiedene Interessenten, die darauf zugreifen wollen (lacht). Ich glaube, dass wir nun endlich kurz vor einer Einigung stehen.
Sie sind seit 30. September 2018 Rektor. Wie fällt Ihre bisherige Bilanz der Amtszeit aus, die mit einer knappen Wahl begonnen hat?
Puhl: Die Uni Mannheim ist auf einem wirklich guten Weg. Wir haben in der Internationalisierung, ein wesentliches Merkmal unserer Strategie, Fortschritte gemacht und führen unter dem Namen Engage-EU einen Verbund mit sechs europäischen Universitäten. Das gibt uns Gelegenheit, mit exzellenten Partnern zusammenzuarbeiten, unseren Studierenden bessere Studienbedingungen zu bieten und an Forschungsmittel zu kommen, die sonst nicht verfügbar wären. Wir setzen Forschungsverbundprojekte auf, etwa Sonderforschungsbereiche und Graduiertenkollegs. Im Moment arbeiten wir mit Blick auf die Exzellenzstrategie, die im nächsten Jahr ansteht, daran, einen neuen großen rein Mannheimer Sonderforschungsbereich aufzubauen und bewilligt zu bekommen.
Wie ist es aktuell um den Ruf der Uni in der Stadtbevölkerung bestellt?
Puhl: Nachdem, was ich wahrnehme, genießt die Uni einen sehr, sehr guten Ruf. Ich war im Hauptausschuss als über die Friedrichspark-Bebauung abgestimmt worden ist. Alle Fraktionen, auch die, die gegen die Bebauung war, haben betont, wie wichtig die Uni für die Stadtgesellschaft ist. Das ist sie auch. Nicht nur als großer Arbeitgeber - unsere Studierenden bringen Geld und soziale Vielfalt in unsere Stadt. Wenn man bedenkt, wie viele Angehörige der Universität, sei es aus dem Lehrkörper oder seien es Studierende, sich in kulturellen, sozialen oder politischen Initiativen engagieren, ist die Universität aus der Stadt nicht wegzudenken. Wir sind keine 08/15-Universität, sondern haben eine europaweite, in vielen Fächern sogar weltweite Ausstrahlung. Das weiß man in der Stadt zu schätzen. Die Stadt profitiert von der Universität und natürlich profitieren wir auch von der Stadt.
Sie fühlen sich in und von der Stadt wertgeschätzt. Nichtsdestotrotz muss man sagen, dass die Bebauung des Friedrichsparks umstritten war und ist. War es denn klug, bei einer so polarisierenden Gemengelage in der Bevölkerung als Universität das Projekt bis zum Ende in der Form zu verfolgen?
Puhl: Ich kann nicht beurteilen, wie polarisiert die Stadtgesellschaft wirklich ist. Es waren ganz wenige Namen, die sich immer wieder und ohne jede Kompromissbereitschaft gegen das Projekt zu Wort gemeldet haben. Die Universität hat ihre Pläne dagegen immer weiter modifiziert, was Lage, Bauweise oder Anzahl der Gebäude angeht. Das ist ökologisch eine sehr vertretbare Bauweise, wobei mir klar ist: Es ist schade um jeden Quadratmeter, der zubetoniert wird. Aber ohne Kompromisse geht es nicht. Die Universität braucht Gestaltungs- und Entwicklungsflächen.
Glauben Sie, dass sich die Gegnerinnen und Gegner mit der Entscheidung arrangieren können? Was bieten Sie an, damit das leichter gelingen kann?
Puhl: Ich lege großen Wert darauf, dass wir als Universität in der Stadtgesellschaft fest verankert bleiben - und zwar bei allen, also auch bei denen, die dem Vorhaben kritisch gegenüberstanden und vielleicht weiter stehen. Dass gebaut werden muss, ist aus meiner Sicht unverzichtbar. An der Gestaltung des Parks, der deutlich aufgewertet wird, kann mitgewirkt werden. Land, Stadt und Universität werden auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen. Ich bin bereit, über unsere Stiftung Gelder zu sammeln, mit denen der Park vernünftig gestaltet werden kann, zum Beispiel, dass nicht irgendwelche 08/15-Bäume, sondern wertvolle Bäume gepflanzt werden oder dass es Wasseranlagen geben wird. Wir wollen mit den Mannheimerinnen und Mannheimern zusammen dafür sorgen, dass aus dem Friedrichspark tatsächlich wieder ein Park wird. Im Moment ist das ein Rand-Grünstreifen, der verlottert ist. Menschen sagen, das sei ein Angstraum. Das muss anders werden. Mit den Gebäuden sind auch wieder mehr Menschen da. Es gibt eine größere soziale Kontrolle.
Wir müssen einen harten Schnitt machen - und über Krieg sprechen. Der russische Angriff auf die Ukraine hat auch Auswirkungen auf die Universität Mannheim. Es hat Irritationen gegeben, welche Maßnahmen die Universität ergreift. Können Sie die Maßnahmen noch einmal zusammenfassen?
Puhl: Zusammen mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, den Landesuniversitäten und anderen Einrichtungen der Landes- und Bundespolitik versuchen wir, eine Trennlinie zwischen institutioneller Zusammenarbeit mit Partnereinrichtungen und einzelnen Menschen, die wir schon hier haben und die hier herkommen wollen, zu schaffen. Unsere Partneruniversitäten sind mehr oder weniger eng mit der politischen Spitze Russlands verbunden und haben zum Teil ausdrücklich dem Krieg und der Aussage, die Ukraine müsse entnazifiziert werden, zugestimmt. Mit denen können wir nicht zusammenarbeiten als wäre nichts passiert. Wir können den Austausch, der darauf beruht, dass die uns Studierende vorschlagen, die wir ohne Prüfung übernehmen, nicht fortsetzen. Wir nehmen also vorerst keine Vorschläge mehr entgegen und setzen institutionelle Forschungskooperationen grundsätzlich aus. Wer aber schon hier ist oder wer individuell nach Mannheim kommen will, ist unser Gast und willkommen. Wir diskriminieren nicht nach Pass, sondern unterscheiden zwischen Einzelnen und Institutionen.
An der Universität arbeiten und studieren Menschen aus der Ukraine, aus Belarus und aus Russland zusammen. Wie wirkt sich das auf den Alltag aus?
Puhl: Es ist mir sehr daran gelegen - das stößt nicht überall auf Wohlwollen -, dass wir innerhalb der Universität und in der Stadtgesellschaft weiter einen Dialog mit allen führen. Nichts wäre schlimmer als ein Konflikt zwischen den Nationen hier vor Ort. Wir hatten vor einigen Tagen eine Podiumsdiskussion, in der die Auswirkungen des Kriegs und mögliche Perspektiven sehr differenziert besprochen wurden. Das werden wir wiederholen. Eine Universität muss im Gespräch bleiben und vermitteln. So versuchen wir einen kleinen Beitrag zum Frieden zu leisten.
Individuell organisierte Studierende aus Russland und Belarus bleiben also willkommen.
Puhl: Wir haben hier russische Studierende, die werden zu Hause zwangsexmatrikuliert, weil sie gegen den Krieg protestieren. Denen werden wir nicht den Stuhl vor die Tür setzen - oder andere Betroffene nicht nach Mannheim holen wollen. Im Gegenteil: Sie werden bei uns genauso als Kriegsgeflüchtete aufgefasst wie Menschen, die aus der Ukraine kommen. So etwas müssen wir eher stützen als behindern.
Seit 2018 Rektor der Uni
- Thomas Puhl, 1955 in Bonn geboren, studierte Rechtswissenschaften in Bonn und Genf und ließ sich 1995 in Heidelberg habilitieren.
- Seit 1995 ist er an der Uni Mannheim, seit 1999 als Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Steuerrecht.
- Seit 2018 ist Puhl Rektor der Universität, nachdem er zuvor sechs Jahre lang als Prorektor für Studium und Lehre agierte.
- Am Montag zeichnete der Deutsche Hochschulverband (DHV) Puhl als „Rektor des Jahres“ aus. Der Auszeichnung war eine Umfrage unter Mitgliedern vorausgegangen, an der mehr als 4000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler teilgenommen haben.
- Puhl erhielt bei der Umfrage die Prädikatsnote 1,51. Ihm bescheinigten 94 Prozent der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, eine „sehr gute“ oder „ideale Besetzung“ im Führungsamt zu sein. Michael Hoch (Universität Bonn; 1,63) und Manfred Beyer (TU Dortmund; 1,81) folgen auf den Plätzen.
Es werden viele Menschen, auch im Studienalter, nach Deutschland kommen. Haben Sie eine Ahnung, wie viele davon an die Universität kommen?
Puhl: Wir rechnen damit, dass bundesweit etwa 100 000 Ukrainerinnen und Ukrainer als Studierende und als Forschende an die Hochschulen kommen werden. Das bedeutet, dass - nach dem Königsteiner Schlüssel - Baden-Württemberg Menschen etwa in der Größenordnung der Universität Mannheim zugeordnet bekommt. Diese Studierenden werden auf einen Schlag zu uns kommen und sie werden für eine ganze Weile bei uns bleiben. Ich gehe nicht davon aus, dass dieser Krieg schnell vorbei sein wird und Zustände in der Ukraine wiederhergestellt sind, in denen man normal studieren kann. Das ist eine längerfristig wirksame Entwicklung, die ganz plötzlich über uns hereingebrochen ist.
Wie ist die Universität Mannheim darauf vorbereitet?
Puhl: Wir wissen schon von 2015 wie wichtig zum Beispiel Sprachkurse sind, die wir wieder organisieren. Wir wissen, dass es auch Probleme bei der Beurteilung sonstiger Qualifikationen gibt, weil zum Beispiel Zeugnisse fehlen oder nicht vergleichbar sind. Damit können wir umgehen. Die Universität hilft bei der Finanzierung von Stipendien. Vergangene Woche haben wir mit unserer Stiftung den Ukraine Notfallfonds initiiert, eine Spendenaktion, um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu unterstützen, die an unserer Uni etwa ihre Promotion zu Ende schreiben wollen. Wir können der Stadt außerdem das Bumiller-Raab-Haus zur Verfügung stellen, das immerhin Platz für 157 Betten bietet.
Das Haus wird Ende August für den Regelbetrieb nicht nur geschlossen, sondern soll sogar abgerissen werden. Wie dringend ist der Sanierungsbedarf und wann soll es abgerissen werden?
Puhl: Bislang war geplant, das Haus ab Januar abzureißen, sodass wir nur von einer Zwischenlösung sprechen. Schon jetzt könnten Zimmer, die nicht mehr belegt sind, von Geflüchteten bezogen werden. Wenn es notwendig würde, den Abriss zu verzögern, muss man darüber reden. Wir sind guten Willens, unseren Teil beizutragen. Dennoch sind wir darauf angewiesen, das Haus zu erneuern, weil wir die Plätze für Studierende benötigen.
Aber es drängt sich die Frage auf: Für Studierende ist das Haus derart sanierungsbedürftig, dass es abgerissen werden muss. Nun können aber Geflüchtete trotzdem rein. Wie sicher ist das Haus denn?
Puhl: Wir schließen das Haus Ende August, weil dann das Semester endet. Wir haben aber eine Betriebserlaubnis, die weiter vorliegt. Solange die besteht, kann man das Haus nutzen.
Auch Corona ist noch immer Thema. „Wenn sich die Lage weiterhin entspannt, sollte das Sommersemester unter dem Motto ,Präsenz mit Maske’ beginnen, sodass wir auf die aufwendigen Kontrollen von Tests und Impfstatus verzichten und die Studierenden wieder auf den Campus kommen können“, haben Sie Ende Februar gesagt. Wie entspannt ist die Lage? Halten Sie politische Entscheidungen, Maßnahmen zu lockern, für richtig?
Puhl: Die Lage ist weniger entspannt, als ich es mir Ende Februar gewünscht hatte. Ich bin erstaunt, dass man ab 2. April alle Sicherheits- und Infektionsschutzmaßnahmen auf einen Schlag aussetzt. Das halte ich für nicht klug. Ich habe deshalb eine Initiative auf den Weg gebracht, dass die Landesuniversitäten an Studierende und Angestellte appellieren, dass sie wenigstens weiter Maske tragen. Die Inzidenzen sind höher denn je - und obwohl Omikron wohl weniger hospitalisierungsträchtig zu sein scheint, liegen viele mit Long-Covid flach. Auch ohne Long-Covid ist das kein Spaß. Masken sind günstig und beeinträchtigen Menschen, die eher geistig als körperlich unterwegs sind, nur eher geringfügig. Deshalb halte ich es für besser, weiterhin Masken zu tragen als einen politischen Schlingerkurs zu fahren, wie es zum Beispiel Österreich im Moment macht. Universitäten brauchen Planungssicherheit.
Was ist mit 3G in Hörsälen?
Puhl: Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten weiterhin Maskenpflicht und verzichteten auf 3G und Abstände. Die Abstände bereiten uns die größten Schwierigkeiten, weil wir dann die Raumkapazitäten nicht ausschöpfen können. Ich bin überzeugt, dass viele Menschen die Masken auch weiter aus der Vernunft heraus tragen.
Kehrt die Uni vollständig in den Präsenz-Lehrbetrieb zurück oder gibt es weiterhin Online-Lehre?
Puhl: Wir sind bereits seit Mitte Februar im Semester und haben es den Lehrenden zunächst freigestellt, ob sie Online- oder Präsenzunterricht machen, aber ihnen empfohlen, keine Veranstaltungen mit mehr als 100 Teilnehmer und Teilnehmerinnen vor Ort durchzuführen. Nach Ostern aber soll nur noch normale Präsenzlehre stattfinden. Wer dann online lehren will, braucht eine Genehmigung. Niemand soll sich in die Nische des Online-Lehrens zurückziehen. Wenn aber ein Dozent erkältet ist, soll er nicht in den Hörsaal kommen. Dann ist es mir aber dennoch lieber, der Unterricht findet online statt als dass er ausfällt.
Ist es nicht riskant, schon nach Ostern voll auf Präsenz zu setzen?
Puhl: Ich bin zuversichtlich, dass die Infektionen in etwa so schnell zurückgehen wie sie auch angestiegen sind. Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle, zum Beispiel das Wetter und dass wieder mehr im Freien stattfinden wird. Die Inzidenzen sind abenteuerlich, es geht aber auch um die Frage, wie schwer die Erkrankungen sind. Da sind die Erfahrungen besser geworden. Meine Hoffnung ist, dass wir nach Ostern wieder den Regelbetrieb in Präsenz haben. Aber wenn es triftige Gründe gibt, darf online gelehrt werden.
Kontrollieren Sie noch Impf- oder Testnachweise?
Puhl: Das ist ab 2. April verboten. Das dürfen wir nur dann, wenn der Landtag beschließt, dass wir ein Hotspot sind. Damit rechne ich im Moment nicht. Gleichwohl vertraue ich der Politik, dass sie vernünftig reagiert, wenn die Zahlen steigen und die Lage bedrohlicher wird.
Abschließende Frage: Sie sind 67. Wollen Sie 2024 noch einmal als Rektor kandidieren?
Puhl: Ich bin mit Ablauf der Amtszeit fast 69 und weiß im Moment gar nicht, ob ich überhaupt nochmal dürfte. Das macht aber auch keinen Sinn. Da muss dann ein Jüngerer ran. Ich führe diese Amtszeit mit Freude zu Ende und bin froh, auf meine alten Tage eine so spannende, interessante und vielfältige Tätigkeit ausüben zu dürfen. Aber am 30. September 2024 fällt für mich der Hammer.
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