Architektur

Mannheimer Trinitatisturm: Geschützt und doch vom Abriss bedroht

Weil eine Sanierung zu teuer ist, will die Evangelische Kirche das 55 Meter hohe Kulturdenkmal in den Mannheimer Quadraten abreißen. Kritiker wollen das verhindern - und auch eine Ausstellung nimmt den Turm nun in den Blick

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Zwei prägende Bauten im Mannheimer Stadtbild – hier von der Kurt-Schumacher-Brücke aus gesehen: Der seit 2017 eingerüstete Turm der Trinitatiskirche und der Fernmeldeturm. © Thomas Tröster

Mannheim. Inspiriert von der Roten Liste bedrohter Tiere und Pflanzen hat der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) die in Stuttgart laufende Ausstellung „Gefährdete Arten“ konzipiert. Dass zu den acht Fallbeispielen aus Baden-Württemberg das Collini Center gehört, dessen Büroturm platt gemacht werden soll, darüber berichtete der „MM“ bereits. In das kritisch ausgeleuchtete Spannungsfeld „Erhalt versus Abriss“ ragt als weiteres Mannheimer Bauwerk mit ungewisser Zukunft der seit Jahren eingerüstete Glockenturm der evangelischen Trinitatiskirche – im G4-Quadrat freistehend gen Himmel strebend.

Natürlich möchte kein Architekt solch ein Bauwerk abreißen.
Daniel Koch Bauabteilung Evangelische Kirche Mannheim

„Der Bau der Trinitatiskirche markiert gleich einem Paukenschlag den Eintritt des evangelischen Kirchenbaus Mannheim in die Nachkriegsmoderne.“ So beginnt ein Text zur Ausstellung, in dem Melanie Mertens vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg (Dienstsitz Karlsruhe) das in den späten 1950ern von dem Architekten Helmut Striffler entworfene Gotteshaus aus Beton und Farbglaselementen präsentiert. Seit 1994 besitzt der als Tanzhaus von der freien Szene genutzte Sakralbau samt seinem Turm und dem umgebenden Freiplatz den Status „Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung“.

Kunsthistorikerin beschäftgte sich schon 2021 mit Trinitatiskirche

Die promovierte Kunsthistorikerin und Publizistin Mertens, die insbesondere zu Architektur im Südwesten forscht, hat sich mit der Trinitatiskirche und deren „Licht als Baustoff“ schon 2021 intensiv beschäftigt: Einige Monate zuvor hatte die Evangelische Kirche angesichts schrumpfender Einnahmen und eines drückenden Sanierungsstaus den Antrag auf Abriss des seitlich versetzten Glockenturms gestellt.

Als bekannt wurde, dass der mit 55 Metern ungewöhnlich hohe und die Stadtsilhouette prägende Stahlbetonbau samt bekrönendem Kreuz dem Erdboden gleich gemacht werden soll, plädierte der Verein Stadtbild vehement für einen Erhalt.

Ausstellung in Stuttgart

  • Die Ausstellung „Gefährdete Arten – Erhalt versus Abriss“ läuft bis Ende März im Stuttgarter Zeppelin Carré, Friedrichstraße 5. Öffnungszeiten: dienstags bis freitags von 15 bis 18 Uhr, Absprache unter 0711/640 40 39.
  • Finissage: Freitag, 31. März 2023, 19 Uhr, mit Alexander Stumm (Abrissmoratorium) und dem Kuratoren-Team.
  • Die zwischen 1956 und 1959 im Quadrat G4 nach Plänen des Mannheimer Architekten Helmut Striffler erbaute Trinitatiskirche wird seit 2017 als „Eintanzhaus“ (Siegerprojekt eines Wettbewerbs) genutzt.
  • In dem eingerüsteten freistehenden Turm läuten keine Glocken mehr. Wie die Trinitatiskirche steht das 55 Meter gen Himmel ragende Bauwerk unter Denkmalschutz. 

Zum (Höhen-)Vergleich: Der ebenfalls freistehende Turm der Epiphaniaskirche (Mitte der 1960er in Feudenheim erbaut) ist mit 28,5 Metern etwas mehr als halb so hoch. Außerdem entfaltet sich die städtebauliche Wirkung anders. Mertens bezeichnet den G4-Himmelsstürmer als „kompromissloses Ausrufezeichen“, das sich in die Straßenflucht schiebt. Und dies auf Augenhöhe mit dem entfernten Fernmeldeturm am Neckarufer – jedenfalls für Verkehrsteilnehmer, die sich (von links des Rheins) auf der Kurt-Schumacher-Brücke der Quadratestadt nähern und im Fernblick den Trinitatis-Kirchturm und den Fernmeldeturm in optischer Einheit wahrnehmen – gewissermaßen als urbane Leuchttürme, neudeutsch „Landmarks“ genannt.

Gebäude „keineswegs baufällig“

Gegen die Zerstörungsbirne und für eine Zukunft des sakralen Ensembles in den Quadraten kämpft auch Architekt Johannes Striffler, Sohn des 2015 verstorbenen Helmut Striffler und damit Besitzer der Urheberrechte. Im Gespräch betont er, dass der Turm als Gebäude „keineswegs baufällig ist“. Die Einrüstung sei 2017 erfolgt, weil jene Schallkassetten und Waschbetonplatten, mit denen die zwei oberen Glockengeschosse ausgestattet sind, zu bröseln beginnen.

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Bei einem Treffen mit dem neuen Leiter der Bauabteilung der Evangelischen Kirche in Mannheim, Daniel Koch, blickt dieser sorgenvoll zu eben jenen Kassetten und berichtet von möglichen Schadstoffbelastungen. „Natürlich möchte kein Architekt solch ein Bauwerk abreißen“, räumt er unumwunden ein, macht aber auch deutlich: Die evangelische Kirche könne eine Sanierung – bislang ist von rund eineinhalb Millionen Euro die Rede – nicht finanzieren. Auch dann nicht, wenn die in Aussicht gestellten Zuschüsse von etwa 400 000 Euro tatsächlich flössen. Der Antrag auf Abriss sei auch so etwas wie „ein Hilferuf“. Die Rettung, so Koch, der sich intensiv mit der Nachnutzung von Sakralbauten beschäftigt, könnte ein innovatives und gleichwohl bezahlbares Verwendungskonzept bringen, das einen Investor wie die Denkmalbehörde überzeugt. Bislang gebe es zwar einige Ideen, aber keine „Wow“-Strategie. Dabei hat Dekan Ralph Hartmann vor drei Jahren über 40 Kreativschaffende aus ganz Deutschland zu einem Workshop mit dem Motto „Empower the Tower – Ermächtige den Turm“ eingeladen. Sozusagen als Zwischenspiel könnte sich Johannes Striffler vorstellen, dass von den insgesamt sechs Geschossen die erste hohe Etage zumindest im Sommer (da Heizung fehlt) dem „Eintanzhaus“ als Proberaum oder für künstlerische Aktionen überlassen wird.

Für die Nachnutzung des Turms gibt es einige Ideen – aber keine „Wow“-Strategie.
Daniel Koch Bauabteilung Evangelische Kirche Mannheim

Auch wenn der Trinitatisturm für eine radikale Neuausrichtung der Sakralarchitektur steht, so ist er historisch geerdet: Bei der einstigen Sicherung des Kirchenbaugrundes im G4-Quadrat stieß man nämlich auf die Gruft jener beiden Wittelsbacher, die um 1780 dem lutherischen Glauben treu geblieben waren – nämlich Pfalzgraf Johann von Zweibrücken-Birkenfeld-Gelnhausen und sein ältester Sohn Pfalzgraf Karl Johann. Sie wurden ursprünglich in der barocken Trinitatiskirche beigesetzt. Ihre 1956 aufgefundenen Überreste ruhen umgebettet in zwei Zinnsärgen im Untergeschoss-Raum des Glockenturmes. Kunsthistorikerin Mertens spricht von einem „Brückenschlag über Jahrhunderte hinweg“.

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Von
red/jor
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