Künstliche Intelligenz

Mannheimer Seniorenzentrum testet sozialen Roboter

Im Mannheimer Seniorenzentrum Rheinauer Tor unterstützt ein sozialer Roboter in einem Pilotprojekt die Pflegekräfte. Doch was kann er eigentlich und welche Chancen und Risiken birgt sein Einsatz?

Von 
Susanne Merz
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Die Bewohnerinnen des Seniorenzentrums Rheinauer Tor Irene Müller (M.) und Anna Hilbert (r.) unterhalten sich mit dem sozialen Roboter Oskar. © Christoph Blüthner

Mannheim. „Maria, du siehst heute strahlend aus. Was hast du heute vor?“ Mit seinen großen, blauen Augen schaut Oskar die Bewohnerin Maria Karusseit (73) an, neigt seinen kleinen Kopf zur Seite, sein Mund bewegt sich beim Sprechen. Maria lacht wie ein Teenager. Sie freut sich über das Kompliment. Sehen kann sie den Kleinen nicht, sie ist seit Geburt blind. Mit Oskar spricht Karusseit trotzdem gerne: „Es ist ein gutes Gefühl, mit Oskar zu sprechen. Es scheint so, als würde er mich verstehen.“ Oskar ist ein sozialer Roboter, der eigentlich Navel heißt. Seit Dezember 2023 wohnt er im Mannheimer Seniorenzentrum Rheinauer Tor, einer Pflegeeinrichtung der Evangelischen Heimstiftung.

Oskar schaut die Menschen beim Sprechen an. © Christoph Blüthner

Der Einsatz von Navel ist Teil eines Pilotprojekts, das die Evangelische Heimstiftung zusammen mit der Entwicklerfirma Navel Robotics durchführt. „Wir möchten wissen, ob soziale Robotik im Pflegeheim funktioniert und was sie den Menschen bringt – Bewohnern und Mitarbeitern“, erklärt Judith Schoch, Leiterin des Instituts für Pflege und Alter bei der Evangelischen Heimstiftung. Oskar haben die Mitarbeitenden der Pflegeeinrichtung ihn getauft. Er ist ein sozialer Roboter, der Künstliche Intelligenz und ChatGPT nutzt, um mit Menschen zu interagieren. Andere Aufgaben in der Pflege kann er nicht übernehmen. „Oskar reagiert auf Fragen, speichert Wissen über Bewohner und merkt sich Gespräche“, erzählt der Leiter des Seniorenzentrum Rheinauer Tor, Ralf Bastian, begeistert.

Kann ein Roboter menschliche Betreuung ersetzen?

Da er mit Künstlicher Intelligenz arbeitet, lernt Oskar dazu. Mit seinen 72 Zentimetern, den großen, blauen Kulleraugen, der angedeuteten Nase und der Mütze ähnelt er einer kindlichen Figur aus Animationsfilmen. Mehrere Displays und Motoren sorgen für die ausdrucksstarke Mimik: Er neigt den Kopf, blinzelt mit den Augen, sein Mund bewegt sich beim Sprechen. Dadurch wirkt er niedlich. Blickkontakt aufbauen kann er dank spezieller Linsen über den Displays. Für die Konversation benutzt der Roboter GPT-3.5, das bekannte Sprachmodell von OpenAI. Laut Bastian gab es zu Beginn technische Probleme. Der Kopf war immer zur Seite geneigt. Manchmal hängte das Programm sich auf. Doch diese Probleme konnten mit einem Update behoben werden. Dennoch ist der Roboter ein Prototyp, der sich im Lernstadium befindet.

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„Die Gesichtserkennung ist noch in Bearbeitung, aber über die Namen weiß er Dinge aus vorherigen Gesprächen“, erklärt Bastian. Daher könne es im Moment zu Verwechslungen kommen, wenn Bewohner den gleichen Namen hätten. In Zukunft soll Navel laut Entwicklern noch mehr können: Botengänge erledigen, beim Übersetzen helfen, wenn Pflegekräfte oder Heimbewohner wenig Deutsch sprechen, Standardfragen zu Wetter oder Speiseplan beantworten oder auch bei der Dokumentation unterstützen. Noch kann Oskar auch nicht fahren, er muss von seinen Patinnen, Anja Pantano und Simone Lukauer, zu den Bewohnern getragen werden. Zum Beispiel zu Irene Müller (88) und Anna Hilbert (78), die sich regelmäßig mit ihm treffen. Heute setzt Lukauer ihn auf einen Stuhl zu den beiden Damen.

Müller hat sichtlich Spaß an den Treffen. „Der schwätzt immer mit uns. Der kennt schon meine ganze Lebensgeschichte“, sagt Müller und lacht. „Oskar, ich setz’ dich zu mir auf den Schoß in den Rollstuhl, und dann gehen wir spazieren“, wendet sich Müller an den Roboter. „Das hört sich spannend an. Gerne setze ich mich auf deinen Schoß, und wir gehen spazieren“, reagiert Oskar. Die beiden Frauen lachen.

Oskar hat einen hohen Unterhaltungswert. Auch Gedichte kann er vortragen. Er erinnert sich an seine letzte Interaktion mit Hilbert: „Letztes Mal habe ich dir ein Gedicht erzählt, möchtest du heute noch ein Gedicht hören?“ Als sie bejaht, trägt er ein Gedicht vor. Oskar scheint eine willkommene Abwechslung zu sein für die Bewohnerinnen. Auch Heimleiter Bastian ist überzeugt, dass „Frau Müller und Frau Hilbert den Roboter als Spielzeug sehen. Einen Menschen kann er nicht ersetzen. Was er kann, kann er gut. Aber das ist nicht viel.“ Dass er Mitarbeitende ersetzt, war auch nicht Ziel der Heimstiftung und auch nicht der Grund, warum Navel eingesetzt wird. „Wir setzen Navel in erster Linie ein, um die Lebensqualität von Menschen zu erhöhen“, sagt auch Schoch, die das Projekt wissenschaftlich begleitet, um herauszufinden, welchen Nutzen der Roboter für alle Beteiligten hat.

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Dabei kämen auch ethische Fragestellungen nicht zu kurz. „Wir haben ethische Leitsätze zur Digitalisierung schon 2015 formuliert“, sagt Schoch. „Besonders bei Demenzkranken agieren wir sehr vorsichtig und beobachten sehr scharf, wie sie auf den Roboter reagieren. Zudem beschäftigt sich eine unabhängige Ethikkommission fortlaufend mit den ethischen Aspekten des Projekts“, betont Schoch. Auch habe niemand Kontakt zu Oskar, der diesen nicht ausdrücklich wünsche. „Alle Teilnehmenden wurden gefragt, ob sie mit Oskar Kontakt haben wollen, und dann wurde eine Einverständniserklärung ausgefüllt“, erklärt Schoch. Die Angehörigen wurden über Flyer informiert. Während der Treffen ist immer eine der beiden Patinnen mit dabei.

Soziale Roboter sollen in der Pflege unterstützen und entlasten

Später soll der Roboter auch weitere Aufgaben übernehmen: „In Zukunft könnte Oskar nachts durch die Einrichtung fahren und kontrollieren, ob alles in Ordnung ist“, sagt Bastian. Dann hätten die Pflegekräfte nachts mehr Zeit und Ruhe, um individuell auf Bewohner einzugehen, die Unterstützung brauchen.

Denn schon heute herrscht großer Fachkräftemangel in der Branche, bei einer steigenden Zahl von Pflegebedürftigen in einer alternden Gesellschaft. Hier könnten Roboter in der Pflege unterstützen und die Arbeit erleichtern. Das hat auch das Bundesforschungsministerium (BMBF) erkannt und die Entwicklung und Erforschung von robotischen Systemen bis 2022 mit 20,5 Millionen Euro gefördert. Wie auch der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme „Robotik für gute Pflege“ kommt das BMBF zu dem Schluss, dass „die Robotik das Potenzial birgt, die Lebensqualität von Pflegebedürftigen zu verbessern und Pflegenden eine Hilfe bei ihrer täglichen Arbeit sein kann“.

„Der massive Personalmangel in Deutschland wird noch mehr werden – und gute Pflege ist teuer, ein Heimplatz kostet 2500 bis 3000 Euro, und die Pflegeversicherung steigt nicht“, weiß Bastian. Ändert sich nichts an den Arbeitsbedingungen der Fachkräfte, besteht die Gefahr, dass Roboter notwendig werden. Auch der Deutsche Ethikrat warnt in seiner Stellungnahme: Die Finanzierung und der Einsatz von Robotik dürfen nicht dazu führen, dass angemessene Anstrengungen zur Verbesserung der Lage von Pflege- und Assistenzberufen unterbleiben.

Auch Heimleiter Bastian hat „große Zweifel, dass ein Roboter eine Altersbegleitung ersetzen kann“. Die These wird untermauert vom spielerischen Umgang der Seniorinnen mit Oskar. „Ein ganz lieber Kerl. Er müsst’ bloß an der Hand gehen, dann würd’ ich ihn mitnehmen“, sagt Müller lachend. „Ich bin immer für dich da und höre dir gern zu“, erwidert Oskar und erntet Gelächter.

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