Erinnerungskultur

Mannheimer Schulen gestalten Gedenken an Holocaust

Acht Mannheimer Schulen haben in diesem Jahr im Jüdischen Gemeindezentrum die Veranstaltung der Stadt anlässlich des bundesweiten Gedenktags an die Opfer des Nationalsozialismus in beeindruckender Weise gestaltet

Von 
Konstantin Groß
Lesedauer: 
Eindrucksvolle Präsentation der Wilhelm-Wundt-Realschule: Mit Hilfe von KI lässt sie den jüdischen Schüler Rudolf über sein Schicksal berichten. © Thomas Tröster

Mannheim. Welch ein besonderer Tag! Ab dem Morgen Reinigung der Stolpersteine in ganz Mannheim, am Nachmittag die große Demo für die Demokratie, am Abend die offizielle Gedenkveranstaltung der Stadt zum bundesweiten Holocaust-Gedenktag. „Dieser Tag mit seinen drei ganz unterschiedlichen Aktionen hat ein Thema, das der Ausruf zusammenfasst: Nie wieder ist jetzt!“, betont Heidrun Deborah Kämper: „In diesem Jahr gilt es“, so mahnt die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, „wie vielleicht noch nie seit Ende der nationalsozialistischen Verbrecherregimes, den Antisemitismus der Nazis, der in der Shoa mündete, und den Antisemitismus der politischen Rechten, jeglichen Antisemitismus unserer Tage, zusammenzudenken.“

Umso mehr ist Kämper überwältigt, als sie in den Samuel-Adler-Saal des Jüdischen Gemeindezentums blickt. An jenem Abend sind alle 300 Stühle besetzt, viele Gäste stehen. Darunter so viele Jugendliche wie noch nie zu diesem Anlass. Und natürlich jener Teil der Stadtspitze, dem dieser Abend wichtig ist: Oberbürgermeister, Dezernenten und Abgeordnete aus den Reihen von SPD und Grünen, Fraktionsspitzen von SPD, Grünen, Linken und FDP, der frühere Rathauschef Peter Kurz.

Unter den Gästen auch Paul Joseph, aus den Niederlanden angereist. Seine Großeltern wurden nach Theresienstadt deportiert. Der Großvater starb dort, die Großmutter wurde in Treblinka ermordet. Josephs Eltern gelang die Flucht in die Niederlande, wo er 1938 zur Welt kam. Als auch diese von den Nazis besetzt wurden, floh die Familie auf einer wahren Odyssee in die Schweiz, wo sie den Krieg überlebt; die Marie-Curie-Realschule hat über sein Leben einen Film erarbeitet.

Dramatische Schicksale

In diesem Jahr ist diese Gedenkveranstaltung der Stadt den Kindern und Jugendlichen unter den NS-Opfern gewidmet. Eindringlich macht Oberbürgermeister Christian Specht ihr Leid deutlich: Unter den sechs Millionen Opfern der Shoa sind 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche.

Und hinter dieser unfassbaren Zahl stehen menschliche Schicksale: Sami Adelsheimer, Otto Wertheimer, Max Leiner und Fritz Löbmann etwa, die in Auschwitz ermordet und für die vor kurzem Stolpersteine verlegt wurden - sie durften nur fünf, sieben, zwölf und 15 Jahre werden.

Mehr zum Thema

Erinnerungskultur

Sozialdemokraten reinigen die Stolpersteine in Mannheim

Veröffentlicht
Von
Konstantin Groß
Mehr erfahren

Unter den 2000 Juden, die 1940 aus Mannheim nach Gurs deportiert wurden, sind 201 Jugendliche und Kinder. Der Jüngste Joel Schimmerling ist keine zwei Monate alt. 1942 wird er in Auschwitz ermordet. Als der OB dies referiert, ist die Betroffenheit im Saale allenthalben greifbar. Manche legen ihr Gesicht in ihre Hände.

Bei allen Opfergruppen sind auch Kinder die Leidtragenden. Unter den Mannheimern mit Behinderung, die im Zuge der sogenannten Euthanasie ermordet werden, ist das jüngste, Betti Zindel, noch keine zwei Jahre alt; von den Kindern der Zwangsarbeiterinnen, die in Mannheimer Betrieben schuften mussten, starben 164, bevor sie zehn Jahre alt waren, darunter 90 Säuglinge.

Vielfältige Präsentationen

Kann man derart unbegreifliches Leid denn auf eine Bühne bringen? Ja, das kann man. Und am besten, wenn dies durch Jugendliche selbst geschieht, wie der von Elina Brustinova und Suhail Butt vom Stadtjugendring moderierte und durch Fridolin Bosse am Klavier musikalisch umrahmte Abend zeigen wird.

Das Johanna-Geissmar-Gymnasium stellt szenisch dar, wie Samuel Adler 1938 als Zehnjähriger Notenbücher aus der zerstörten Synagoge rettet; das Lessing-Gymnasium gestaltet einen eindrücklichen Song für Marianne Cohn, die jüdische Kinder in die Deportation begleitet, bis sie selbst 1944 ermordet wird; die Friedrich-List-Schule gestaltet ein Video aus Zeichnungen über das Schicksal der Geschwister Liebhold; das Karl-Friedrich-Gymnasium widmet sich drei Schülern, die ermordet wurden und auf einer Tafel im Foyer des KFG verewigt sind. Manche, die heute täglich an der Tafel vorbeigehen, so hört man in dem Vortrag, fragen sich inzwischen: „Werde auch ich bald verschwinden?“

Der Mannheimer Morgen auf WhatsApp



Auf unserem WhatsApp-Kanal informieren wir über die wichtigsten Nachrichten des Tages, empfehlen besonders bemerkenswerte Artikel aus Mannheim und der Region und geben coole Tipps rund um die Quadratestadt

Jetzt unter dem Link abonnieren, um nichts mehr zu verpassen

Die Mannheimer Akademie für soziale Berufe widmet sich jungen Zwangsarbeiterinnen, das Ludwig-Frank-Gymnasium anrührenden Zeugnissen überlebender Sinti und Roma; Ballettschuhe und eine Modelleisenbahn im Foyer zeugen von grausam zerstörten Kinderträumen.

Jüdische Schülerin wird gemobbt

Ein besonderes Projekt präsentiert die Wilhelm-Wundt-Realschule: Nach Recherchen über sein Leben lässt sie mit Hilfe von KI den jüdischen KFG-Schüler Rudolf Appel erzählen, führt mit ihm sogar ein imaginäres Interview („Shalom, Rudolf“), in dem er über sein Schicksal berichtet und zugleich mahnt: „Es ist nicht witzig, wenn jemand heute von Deportation redet. Kämpft dagegen und schaut nicht weg!“

Wie aktuell das ist, zeigt die Schülerin Esther. Als Jüdin wird sie gemobbt - Anlässe sind oft Filme wie „Schindlers Liste“ oder der Nahostkonflikt - , so dass die Mutter einen Klassenwechsel beantragt. Bei der Wahl zur Schülersprecherin erhält sie zwar die meisten Stimmen, doch auf manchen Stimmzetteln finden sich antisemitische Beleidigungen. Wie auf Social Media. Dort gibt es einen Duschkopf als Emoji; er steht für die Vergasung von Juden in den Duschen: „Er erhält viele Aufrufe.“

Am Ende ist Heidrun Deborah Kämper beeindruckt. Nicht nur von der Qualität der Darstellungen, sondern vor allem der Empathie: „Hätte es damals mehr davon gegeben, müssten wir heute nicht gedenken.“

Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke