Mannheim. Blick 100 Jahre zurück: Die Wunderwaffe Penizillin ist noch nicht entdeckt. Hingegen steht die erste Insulinspritze, die einem an Diabetes erkrankten Jungen das Leben rettet, für eine therapeutische Revolution – und daran hat ein Mannheimer Labormediziner insofern Anteil, als er schon früh Stoffwechselbeziehungen zwischen der Bauchspeicheldrüse und dem „süßen Durchfluss“ auf der Spur ist. Es ist der 8. Juli 1922, als das endlich fertiggestellte Ersatzgebäude für das beengte Krankenhaus in R 5 eingeweiht wird.
Der eindrucksvolle Bau am Neckarufer präsentiert sich zwar im Stil des Historismus – gleichwohl hat ihn Baudirektor Richard Perrey technisch wie hygienisch hochmodern konzipiert. Am Haupttor zieht das von dem Mannheimer Kunstschmied Josef Neuser geschaffene und 1900 auf der Pariser Weltausstellung gezeigte Tor die Blicke auf sich.
„100 Jahre Medizin am Neckar“ lautet das Motto des Festakts am Freitag im Rosengarten. Allerdings konkurriert Anfang des 20. Jahrhunderts die „Insel am weißen Sand“ (heute Theodor-Kutzer-Ufer) mit gut einem Dutzend anderen Standorten, insbesondere dem Exerzierplatz. 1908 votiert der Stadtrat für den (Lustwandel-)Neckarpark. Als die Bauarbeiten Anfang 1913 beginnen, entstehen parallel weitere, das Stadtbild prägende Perrey-Bauten: beispielsweise das Herschelbad in U 3. Obwohl große Teile des Krankenhausrohbaus Ende 1913 hochgezogen sind, wird es neun Jahre bis zur Einweihung dauern – weil der Erste Weltkrieg ausbricht.
Nicht von ungefähr werden bei der Einweihung die Verdienste des nach Halle berufenen Nierenspezialisten Franz Volhard gewürdigt: Er hat als Ärztlicher Direktor im R 5-Krankenhaus für den Neubau entscheidende Weichen gestellt. Seiner Beharrlichkeit ist ein eigenständiges Laboratorium für die Wissenschaft zu verdanken. In dem mit modernsten Apparaturen ausgestatteten Laboratorium kommt nicht nur Ernst Josef Lesser zu Pionier-Erkenntnissen rund um Blutzucker und Diabetes. Sein Nachfolger Siegfried Loewe forscht wegweisend zu Sexualhormonen. Und das Pathologische Institut genießt einen exzellenten Ruf: In seiner Mannheimer Zeit entdeckt der „Leichenschauer“ Theodor Fahr beispielsweise, dass die Verkalkung kleiner Gefäße bestimmter Hirnregionen Störungen bei der Motorik, aber auch beim Sprechen auslösen kann – als Morbus Fahr geht das Phänomen in die Medizinliteratur ein.
Aus heutiger Sicht mag merkwürdig vorkommen, dass in dem Krankenhausneubau Betten gesondert für Prostituierte wie geschlechtskranke Männer vorgehalten werden. Grund: Noch ist die „Lustseuche“ Syphilis gefürchtet, weil sie unbehandelt im Endstadium den Verstand durch „Hirnerweichung“ raubt, ehe sie den Tod bringt. Bis das 1928 zufällig entdeckte und erst 1942 als Antibiotikum auf den Markt gebrachte Penizillin wirksam bakterielle Erreger attackiert, fordern auch am „Städtischen“ Infektionskrankheiten heraus – insbesondere die Tuberkulose. Es ist die Zeit der Medizin-Männer. Frauen ist die Rolle der Pflege am Krankenbett zugedacht. Ärztinnen gelten nicht nur während der Weimarer Republik als exotisch. Auch später, als „Frau Doktor“ schon selbstverständlich ist, geht diese bei Spitzenpositionen lange leer aus. Noch Anfang des neuen Jahrtausends gibt es am Mannheimer Klinikum ausschließlich männliche Chefs im weißen Kittel. Inzwischen haben sich zwei habilitierte Medizinerinnen als Klinikleiterinnen eingereiht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind nicht nur einige Gebäudeteile ramponiert – auch das Ansehen. Schon 1933 sind jüdische Ärzte und Wissenschaftler, wie der renommierte Laboratoriumsleiter Loewe, entlassen und außerdem Nazi-Gesetze, beispielsweise zur „Verhütung des erbkranken Nachwuchses“, gnadenlos umgesetzt worden.
Eigentlich strebt Oberbürgermeister Heimerich nach dem Krieg angesichts massiver Finanzprobleme 1950 eine klinische Zusammenarbeit mit Heidelberg an. Bekanntlich wird daraus nichts. Dafür kommt es später zu einer wissenschaftlichen Kooperation – als geburtenstarke Jahrgänge in Hörsäle drängen. Die 1964 als jüngster Spross der Uni Heidelberg gegründete Medizin-Fakultät Mannheim soll in der klinischen Ausbildung entlasten. Es entsteht ein Unikat: Krankenversorgung in städtischer Trägerschaft, Lehre und Forschung beim Land. Klar, dass die Krankenanstalten baulich verändert werden müssen.
Weil in den 1990ern Millionen-Defizite den städtischen Etat belasten, treibt Sozialbürgermeister Wolfgang Pföhler die Umwandlung in eine gemeinnützige GmbH voran und übernimmt 1997 die Geschäftsführung. Schon gut ein Jahr später schreibt die zu 100 Prozent städtische GmbH schwarze Zahlen. Und 2001 gelingt als Verhandlungscoup die offizielle Adelung zum „Universitätsklinikum“. Damit ist der Weg für die spätere Vollfakultät samt Modellstudiengang (MaReCuM) frei. Welch ein Erfolgskurs, wäre da nicht 2014 die Hygiene-Affäre, die Millionen Euro und unbezahlbares Vertrauen kostet.
Im Jubiläumsjahr richtet sich der Blick trotz der Finanzlöcher wieder nach vorn: 2025 soll der Spatenstich für den ersten Bauabschnitt der zukunftsweisenden „Neuen Mitte“ erfolgen. Und vieles spricht dafür, dass bei dieser Einweihung die zwischen Mannheim und Heidelberg angepeilte Fusion der Uni-Kliniken Realität sein wird.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Das Mannheimer Klinikum hat Potenzial für die Zukunft!