Kirche - Viele Katholiken sind empört über die Ergebnisse des neuen Gutachtens über sexualisierten Missbrauch

Mannheimer Katholiken empört über Vertuschung von Missbrauch

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Peter W. Ragge
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Viele Gläubige wollen „Licht in das Dunkel der Missbrauchsfälle bringen“: Wolken ziehen über der katholischen Kirche zusammen. © Friso Gentsch/dpa

Mannheim. Sie sind entsetzt, empört, enttäuscht: Verärgert, ja wütend haben viele Katholiken in Mannheim auf das neue Gutachten über sexualisierten Missbrauch in der katholischen Kirche reagiert. Diese Nachrichten „belasten uns sehr und erschweren das Einstehen für unseren Glauben“, bedauert Hansheinrich Beha, als Vorsitzender des Dekanatsrats der oberste Laienvertreter in Mannheim. „Die Wahrheit muss auf den Tisch – und nicht nur scheibchenweise und erst auf Druck der Beweise!“, fordert Beha.

Meldungen über Verfehlungen gebe es ja schon länger, so Beha. „Das Gutachten jetzt hat allerdings mein Denken grundlegend geändert: Die Vertuschung auch auf höchster Ebene macht mich traurig und wütend zugleich“, schimpft er. Er sei zwar sehr enttäuscht, aber stehe zu seiner Kirche, bekräftigt der Dekanatsratsvorsitzende. Doch er finde schlimm, „dass der hohe moralische Anspruch, den wir aus unserem Glauben ableiten, nicht nur stark beschädigt ist, sondern angezweifelt wird“ bedauert er und fordert: „Die Verantwortlichen sollten jetzt endlich dieses Vertuschen bekennen und nicht scheibchenweise einräumen, was man ihnen nachweisen kann!“

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pwr
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Sofia Dunz von der Katholischen jungen Gemeinde (KjG) Feudenheim hofft, „dass die Basis nicht aufhört, an dem System Kirche zu rütteln und lautstark zu fordern, dass das System Kirche keinen Platz mehr für sexuellen und spirituellen Missbrauch bietet“. Auch sie sieht neben der juristischen die moralische Dimension des Missbrauchs: „Sich selbst als die moralische Instanz zu sehen, aber jegliche Moralität vermissen zu lassen, nur damit das System Kirche weiter funktionieren kann, ist nicht nur an sich schon verwerflich, sondern macht angesichts des zugefügten Leids und der Opfer immer wieder sprachlos“, so Dunz.

Für Diethild Frank vom Dekanatsvorstand der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) ist es „unerträglich, dass der ehemalige Papst, Bischöfe und Priester unfähig scheinen, eigene Verantwortung zu spüren, dafür einzustehen und aufrichtig zu handeln“. Die kfd fordere schon lange, „Licht in das Dunkel der Missbrauchsfälle zu bringen, verkrustete Machtstrukturen abzuschaffen, unabhängige Missbrauchsbeauftragte einzusetzen und die kirchliche Sexualmoral zu verändern“. Viel Zeit bleibe der Kirche nun nicht mehr zum Handeln, „denn ihr laufen die Gläubigen weg“, mahnt Frank und fordert weitere Veränderungen in der Teilhabe von Frauen, das Bekenntnis zu sexueller Vielfalt sowie anderen Umgang mit Geschiedenen.

Pfarrgemeinderätin berichtet von Anfeindungen

„An der Basis ist diese Veränderung schon vielfach da und gelebte Wirklichkeit“, berichtet Kathrin Grein, Leiterin der Katholischen Hochschulgemeinde. „Wenn die Kirchenleitung da aber nicht bald spürbar nachzieht, sabotiert sie auch diese Aufbrüche noch“, glaubt sie: „Der Druck – und ich hoffe auch die Chance – zu Veränderungen in der katholischen Kirche ist derzeit so hoch wie nie“, so Grein. „Eine Institution, die die moralische Messlatte einerseits so hoch hängt und andererseits so locker darunter hindurch spaziert, verspielt ihre Glaubwürdigkeit“, warnt Grein und schildert, dass die katholische Kirche „in weiten Teilen der Studierendenschaft nur noch Kopfschütteln, mitunter auch offene Ablehnung“ auslöse.

Das erlebt ebenso Uwe Terhorst, Referent für Arbeitnehmerseelsorge: „Glaubwürdigkeit geht verloren, Kirche wird nicht mehr ernst genommen, weil von der Gesellschaft geforderte Maßstäbe in der eigenen Organisation nicht angewendet werden,“ stellt er fest. „Ich leide mit – mir tut es weh, was durch Missbrauch in unserer Kirche passiert ist“, so Terhorst. Schließlich kritisiere er als Arbeitnehmerseelsorger einerseits Machtmissbrauch oder Missachtung von Mitarbeiterrechten in Betrieben und erlebe dann, dass das System Kirche als feudalistisch und absolutistisch bezeichnet werde.

Auch Angelika Pfützer, Mitglied im Pfarrgemeinderat von Maria Magdalena, leidet. „Katholisch sein wird auf Missbrauch reduziert. Es zerstört die Arbeit der Ehrenamtlichen“, ja sie würden sogar deswegen angefeindet, ärgert sie sich: „Es macht traurig, dass die Priester keine Stellung beziehen und das Münchner Gutachten in den Gottesdiensten nicht erwähnt wird“, bedauert sie und klagt: „Eine Kirche, die um jeden Preis ihre Organisation schützen will, ist unglaubwürdig!“

Mitleid mit Pfarrern

„Etwas zu leugnen und zu vertuschen, wie das Gutachten in Sachen Ratzinger es aufzeigt, ist nicht zu verzeihen“, bekräftigt Bernhard John, seit fast 49 Jahren in der Gartenstadt für die katholische Kirche engagiert. Ihn habe das Gutachten und das Verhalten des ehemaligen Papstes „ganz besonders erschüttert“.

Laut Lorenz Seiser, Pfarrer der Katholischen Kirchengemeinde Mannheim-Süd, sind viele aktive Gemeindeglieder „einerseits genervt, manche erschüttert und wütend, wieder andere sind es mittlerweile gewöhnt und nehmen es wie den täglichen Corona-Horror“. Er erlebe aber auch Mitleid mit den Pfarrern, die wegen vieler Verallgemeinerungen darunter leiden müssten, sagt er: „Für diejenigen, denen der Glaube und, ja, auch die Kirche – trotz aller Mängel – etwas bedeuten, ist das ein großer Schmerz, für alle anderen Wasser auf die Mühlen.“

Redaktion Chefreporter

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