Mannheim. „Oh Gott, wie sieht das denn hier aus?“, sagt eine Frau, während sie am Quadrat N3 im Pulk um Oberbürgermeister Christian Specht und den Staatssekretär des Bundesbauministeriums, Rolf Bösinger, durch die Innenstadt mitläuft. Sie meint ein Haus, das offensichtlich Sanierungsbedarf hat, schräge Rollläden hängen herunter, die Fassade wirkt verwittert. Außerdem viel Leerstand. Doch beim Blick auf das schicke, neu wiedereröffnete Café gleich nebenan entfährt jemandem aus der Gruppe ein „Oh wow, cool!“.
Beim Rundgang anlässlich des Bundesprogramms „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“, das in Mannheim Futuraum heißt, entscheidet sich Specht bewusst für den Weg durch Seitenstraßen, zu Negativ- wie Positivbeispielen. Ein Netzwerktreffen findet in Mannheim statt, viele der 219 beteiligten Städte sind geladen. Die Gruppe aus Politikern, Stadtmitarbeitern und Journalisten quert bewusst neuralgische Punkte, schattige Parks, Baulücken oder neu sanierte Plätze in der City.
Geschäfte in Mannheimer Innenstadt: „Da sein, bevor das Räumungsverkauf-Schild kommt“
Das mit 3,5 Millionen Euro größtenteils vom Bund geförderte Innenstadtentwicklungsprojekt Futuraum habe stets Austausch mit allen Beteiligten - etwa Anwohnende, Händler, Eigentümer - als Kernziel, so Specht. „Es ist wichtig, im Auge des Hurricanes zu sein und nicht irgendwo im Rathaus zu bleiben, auch wenn das nicht weit weg ist.“
Wichtig sei auch, „vorher da zu sein, lange vorher, bevor das Schild: ,Räumungsverkauf’ an der Tür hängt“, so Specht. Er sagt: In der Innenstadtentwicklung treffe Aktuellstes aufeinander: Etwa Wohnen, Migration, Arbeit, Energetische Sanierung, Klima, Verkehr, Erreichbarkeit. „Es geht auch um Zusammenhalt, um Demokratie“, resümiert Specht.
Gesellschaft der Stadt Mannheim organisiert für Händlerinnen und Händler
In Mannheim lieferten etwa die Kapuzinerplanken nicht nur schattige Bäume und Eventcharakter. Sondern auch Wirtschaftsförderung: „Dass wir hier auf den Kapuzinerplanken die Events machen können, verdanken wir unserer städtischen Gesellschaft, die organisiert etwa Weihnachtsmärkte und Feste und macht so für Händler möglich, was für diese gar nicht machbar oder mit viel Arbeit verbunden wäre“, so Specht. Das Pulk läuft weiter durch die Stadt Richtung Scipiogarten. Specht: „Und Sie merken schon, wie kühl es hier ist“, sagt er zu Bösinger. Bösinger nickt und betont, wie wichtig es sei, neben „kommunaler Wärmeplanung eine Kälteplanung“ zu machen.
Ein paar Meter weiter am Parkplatz M 4a nahe der Arbeitsagentur. Man habe viele Ideen und Debatten um diesen Parkplatz, sagt Specht. „Er soll entsiegelt werden, aber wie, ist die Frage. Wir versuchen mit allen Beteiligten ins Gespräch zu kommen: Wie wollt ihr diesen Platz?“ Einige Ideen bisher: Gewerbetreibende rücken mit ihrer Bestuhlung mehr auf den Platz - oder etwa das Eröffnen einer Kita. „Wir führen aber auch Gespräche mit Akteuren rund um den Platz, ,Könnt ihr für Wohnraum aufstocken, wie ist die Vermietungsquote?’“, sagt Specht und zeigt auf ein flaches Haus, das aufgestockt werden könnte. „Einfach begrünen“ sei nicht die Lösung. „Am Ende haben wir Leute da, die hier nicht gern gesehen werden“, sagt er.
Auch Arbeitsagentur und Händler bräuchten zudem die vorhandenen Parkplätze. „Eine Tiefgarage ist wegen Baukostensteigerung nicht machbar. Wir erwerben gerade Bestandsgaragen in der Stadt und versuchen dort den Nutzern, die auf Parkplätze angewiesen sind, auch Dauerparkplätze anzubieten“, sagt der OB.
Startraum in der Mannheimer Fressgasse: Kunst - und die Passanten wie Künstler freut's
Ein Stück weiter auf der Fressgasse: Maximilian Frey, mit Schnauzer und goldenem Ohrring, steht vor neonfarbener Kunst im Atelier „Startraum“. Das Projekt von Next Mannheim gibt Kunstschaffenden der lokalen Szene Sichtbarkeit und belebt so die Innenstadt. Freys Team will unbedingt den Fortbestand des erfolgreichen Projekts, man sei schon im Gespräch.
Auf dem Paradeplatz steht indes der schmucke Futuraum-Container mit Holzfassade. „Bei der Innenstadtbefragung haben wenige Junge mitgemacht, fiel uns auf“, erklärt Innenstadtbeauftragter Petar Drakul. „Die holen wir hier ab. Sie können Ideen einbringen. Wir sprechen die Menschen hier allgemein aktiv an, das müssen wir auch.“ Staatsekretär Bösinger ist sichtlich beeindruckt vom Rundgang. Er sagt: „Wir wollen uns natürlich auch ein Bild machen, wie läuft es vor Ort, was muss vor Ort gemacht werden.“
Futuraum kann viel bewegen, sind sich die Anwesenden einig. Aus der Schocknachricht etwa, dass P&C zwei Etagen aufgibt, habe durch engen Kontakt eine gute Nachricht werden können, so Specht: „Im Gebäude wurde ein Lichthof rausgefräst, und jetzt sitzt ein junges, aufstrebendes IT-Unternehmen mit 120 Mitarbeitern wieder mitten in der Innenstadt. Sie sind zurückgekehrt aus einem gesichtslosen Industriegebiet.“ Specht: „Parkplätze haben sie teils für die Belegschaft angemietet, außerdem fahren in der Generation weniger mit dem Auto zur Arbeit, berichtete das Unternehmen“, so Specht.
„Das mit dem Rausfräsen lässt sich natürlich nicht eins zu eins auf die Kaufhofimmobilie übertragen“, sagt er, „sie ist ganz anders“. Aber auch hier brauche es neue Ansätze. Specht betont, man müsse auch Bildungseinrichtungen, wie etwa Hochschulen zurück in die Innenstädte holen, „sie bringen junge Leute, beleben die Stadt“. Und Belebung bedeute „ganz allgemein auch immer Sicherheit“.
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