Mannheim. Mehr Einarbeitungszeit, nämlich weitere drei Jahre - das gibt es nun für die Algorithmen der intelligenten Videoüberwachung in Mannheim. Seit fünf Jahren läuft das deutschlandweit einzigartige Projekt am Polizeipräsidium (PP) Mannheim bereits, bei dem eine Software per Videoüberwachung die Bewegungen der Menschen auf der Straße analysiert - und bei Schlägen, Tritten oder Rennen frühzeitig auf mögliche Straftaten aufmerksam macht. Die Verlängerung des Projekts bis Dezember 2026 hat das Präsidium mit Innenminister Thomas Strobl (CDU) auf einer Pressekonferenz verkündet. Wie oft die intelligente Videoüberwachung mittlerweile geholfen hat, Straftaten aufzudecken und warum die Algorithmen noch mehr Training beziehungsweise Einarbeitungszeit brauchen - ein Überblick:
Warum wird der Modellversuch verlängert?
Grund für die Verzögerung ist laut dem Polizeipräsidium auch die Corona-Pandemie. Das Projekt war Ende 2018 gestartet und sollte Ende 2023 abgeschlossen sein. Im April dieses Jahres aber hatte das PP um eine Verlängerung beim Innenministerium gebeten, da das System noch lange nicht ausgereift war. Durch Ausgangssperren und Corona-Einschränkungen kam auch das öffentliche Leben in der Innenstadt fast zum Erliegen. Seit 2018 wurden in Mannheim an Orten mit deutlich erhöhter Straßenkriminalität Videokameras installiert. Die künstliche Intelligenz soll abschreckend wirken, aber vor allem in Gefahrensituationen schnelleres Eingreifen ermöglichen. Markus Müller, der Abteilungsleiter vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung in Karlsruhe, das die Software entwickelt, unterstützt den Antrag auf Verlängerung. „Wir haben die Grundschule absolviert und steuern jetzt die Mittlere Reife an“, sagt Müller.
Wo wird gefilmt - wo analysieren die Algorithmen Bewegungen?
Innerhalb der Kriminalitätsschwerpunkte in der Innenstadt wurden im Laufe des Projekts 68 Kameras installiert. Davon lassen sich elf Kameras ferngesteuert bewegen sowie deren Bild heranzoomen. Die Algorithmen analysieren mittlerweile das Bildmaterial von zehn statischen Kameras, die am Hauptbahnhof, am Alten Meßplatz, auf dem Paradeplatz und auf der Breiten Straße das Geschehen überwachen.
Wie viele Straftaten hat das System bislang entdeckt?
Für 2023 wurden laut Polizeipräsidium bis Ende September durch die in der Innenstadt und am Alten Meßplatz aufgestellten Kameras insgesamt 499 Sachverhalte aufgedeckt, 2022 waren es sogar 543. Im aktuellen Jahr rückten die Einsatzkräfte in 305 Fällen aus. Bei 329 Fällen lag der Verdacht einer Straftat vor, im Jahr davor waren es nur etwa halb so viele. Bei 23 Vorfällen stellten die ausgerückten Polizisten und Polizistinnen aber fest, dass es sich nur um eine Ordnungswidrigkeit handelt. 147 Mal schritten die Ordnungshüter ein, etwa zur Gefahrenabwehr oder wegen betrunkener oder hilfloser Personen und medizinischen Notfälle. Die durchschnittliche Interventionszeit - also wie schnell die Einsatzkräfte nach dem Alarm vor Ort sind - liegt aktuell bei zwei Minuten und 40 Sekunden, bei dem Verdacht einer Straftat liegt sie sogar bei zwei Minuten und 26 Sekunden.
Wie funktioniert der intelligente Videoschutz?
Bei der algorithmenbasierten Bildauswertung sollen die Programme Muster von strafrechtlich relevanten Bewegungen erkennen. Dafür wurden in den vergangenen Jahren solche Bewegungen antrainiert. Dazu zählt etwa schlagen, treten oder taumeln. So soll das System lernen, wann wirklich eine Straftat geschehen ist - und künftig in so einem Fall einen Hinweis geben. Dafür wird eine Art Skelett über die gefilmte Person gelegt. Durch die skelettbasierte Aktivitätserkennung werden die antrainierten Bewegungsabläufe erkannt und generieren eine Meldung, die bei einem Personendetektor im Einsatz- und Lagezentrum des Polizeipräsidiums aufleuchtet. Der Sachbearbeitende muss sich dann die Szene genau anschauen und prüfen, ob es sich um eine echte Person oder sogar eine mögliche Straftat handelt.
Was ist mit dem Datenschutz?
Tatsächlich bietet diese Art von Überwachung für die Gefilmten deutlich mehr Datenschutz als bei anderen Systemen: Bei konventioneller Überwachungstechnik wird jede Person in höchster Auflösung erfasst und gespeichert. Beim intelligenten Videoschutz werden nur die relevanten Szenen und Personen überprüft, bei denen die Software Alarm schlägt. Mittlerweile zeigen auch andere Kommunen Interesse. Die Stadt Hamburg testet das System bereits.
Wo gibt es noch Probleme?
Probleme macht weiterhin die Unterscheidung von alltäglichen Bewegungen und kriminalistisch bedeutsamen Handlungsabläufen. Am Anfang hatten Einsatztrainer des PP Mannheim selbst auf öffentlichen Plätzen in Mannheim 120 Kampfszenen für das Training der Software vor den Kameras nachgestellt. Mittlerweile erkennen die Algorithmen aber schon zuverlässig die meisten Bewegungen, schlagen aber hier und da noch zu oft falschen Alarm. Außerdem brauchen sie eine umfassende Sicht, um Bewegungen im Raum korrekt zu erkennen.
Wie soll es weitergehen?
In den kommenden drei Jahren soll die Software nach und nach auf weitere Kameras aufgespielt werden. Ziel ist es laut Polizeipräsidium, dass am Ende der Projektphase alle 57 statischen Kameras mit dem Algorithmus ausgestattet sind. Am Ende sollen die Polizisten selbst nur noch die Videosequenzen überprüfen, die von der Software als polizeilich relevant eingestuft werden - also Situationen, in denen möglicherweise eine Straftat passieren kann. Nur diese Szenen sollen auf den Monitoren der Sachbearbeiter im Einsatz- und Lagezentrum aufleuchten. „Ein durchgehendes Live-Monitoring des gesamten videogeschützten Bereichs findet dann nicht mehr statt“, so das Polizeipräsidium. Diese Idee wird „schwarzer Monitor“ genannt. Die fertige Software soll im ersten Quartal 2024 erprobt werden. Was sich das Polizeipräsidium davon erhofft? Sie soll die Polizisten bei ihrer täglichen Arbeit entlasten - und gleichzeitig die Eingriffe in die persönlichen Grundrechte der Gefilmten reduzieren. (mit dpa)
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