Amokfahrt

Mannheim am Tag nach der Amokfahrt: „Jetzt legen wir schon wieder Blumen nieder“

Passanten legen am Mannheimer Paradeplatz Blumen nieder und zünden Kerzen an. Wie sich die Menschen am Tag danach in der Innenstadt fühlen.

Von 
Simone Kiß
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An der Haltestelle Strohmarkt legen Menschen im Gedenken an die Toten und Verletzten der Amokfahrt Blumen nieder. © Michael Ruffler

Mannheim. „Die Blumen geben vielleicht ein bisschen Hoffnung. Zumindest sind sie ein Zeichen dafür, dass wir zusammenstehen.“ Marie Leblanc hat gerade am Mannheimer Paradeplatz einen kleinen Strauß niedergelegt. Im Gedenken an die Toten und Verletzten der Amokfahrt. Viele Menschen kommen den ganzen Tag über hier vorbei, bleiben einen Moment stehen, entzünden Kerzen oder legen Blumen nieder. Die Betroffenheit und die Fassungslosigkeit nach der schrecklichen Tat vom Montag, als ein Mann mit seinem Auto mehrere hundert Meter über die Planken raste und dabei zwei Menschen tötete sowie viele weitere verletzte, sind groß in der Stadt.

Fassungslosigkeit statt ausgelassener Straßenfasnacht nach Mannheimer Amokfahrt

Größer könnte der Unterschied kaum sein: Normalerweise ist der Fasnachtsdienstag einer der ausgelassensten Tage im Jahr in der Stadt. Die Straßenfasnacht ist auf ihrem Höhepunkt angelangt, tausende Menschen feiern bunt kostümiert in der Innenstadt. In diesem Jahr ist alles anders. Mannheim trauert. „Das ist so schlimm, so unnötig. Es gibt keinen Grund, Menschen zu verletzen oder zu töten“, sagt die Mannheimerin Marie Leblanc betroffen. Eigentlich habe sie am Montagvormittag auch in die Stadt gehen wollen, es sich dann aber doch noch anders überlegt. Im März vergangenen Jahres ist sie erst in die Quadratestadt gezogen und zwei Monate auf dem Weg zur Arbeit am Marktplatz vorbeigekommen, als das Messer-Attentat geschah. „Und jetzt legen wir schon wieder Blumen nieder“, so die junge Frau.

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Ganz bewusst sucht am Dienstag Robin Ernst den Paradeplatz auf. Er hat auch Blumen dabei. „Im Gedenken an die Toten und Verletzten“, sagt er leise und fügt hinzu: „Ich will meinen Respekt zeigen.“ Schrecklich findet er es, wie ein Mensch eine solche Tat begehen könne. Zu dem Zeitpunkt, als das Auto über die Planken gerast ist, war er gerade mit Freunden auf dem Fasnachtsumzug in Altlußheim. „Da war es mit der Stimmung sofort vorbei, als wir diese Nachrichten gehört haben“, erinnert er sich. Er habe nicht gedacht, dass so etwas in Mannheim passieren könne. „Obwohl man heutzutage ja eigentlich überall damit rechnen muss. Leider.“

Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger stehen den ganzen Tag über in Mannheim für Gespräche bereit. © Michael Ruffler

Auch an der Haltestelle Strohmarkt, an der ein 54 Jahre alter Mann getötet wurde, halten die Menschen inne und legen Blumen nieder. Ein Abschiedsbrief rührt besonders an: „Hier wurde Albert umgebracht. Einfach unfassbar! Immer gut gelaunt, immer hilfsbereit! Danke für Deine Freundschaft seit der Schulzeit! Dein Freund Christoph“ ist dort zu lesen. David Jöckel bückt sich und richtet eine weiße Rose, die umgefallen war, wieder auf. „Es ist so schlimm, so traurig, was in der Welt passiert“, sagt der junge Mann kopfschüttelnd.

Viele Geschäfte bleiben am Dienstag geschlossen. „Aufgrund der aktuellen Situation bleibt unser Store heute geschlossen. Wir sind in Gedanken bei allen Betroffenen“, hängt ein Schild im Schaufenster der Modekette H&M. Dass man „aus Respekt und Anteilnahme“ nicht öffne, darüber informiert auch das Modehaus Engelhorn mit einem Aushang. „In dieser schweren Zeit stehen wir als Gemeinschaft zusammen“, schreibt das Unternehmen.

Das Modehaus Engelhorn in Mannheim bleibt am Dienstag geschlossen. Ebenso wie einige weitere Läden in der Innenstadt. © Simone Kiß

Auf dem Fasnachtsmarkt am Wasserturm baut gerade Carina Pfeiffer mit ihren Mitarbeitern das Kinderkarussell ab. Einen Tag früher als geplant. „Wir stehen alle noch unter Schock. Das ist wie in einem surrealen Film“, so die Unternehmerin. Direkt nach der furchtbaren Amokfahrt habe sie ihr Karussell geschlossen. „Aus Pietätsgründen. Auch wenn unsere Existenz davon abhängt. Alles andere wäre ja einfach unmenschlich“, sagt Carina Pfeiffer.

Am Plankenkopf steht die Notfallseelsorge Mannheim, unterstützt von Kolleginnen und Kollegen aus Ludwigshafen, bereit, um für die Menschen da zu sein, die das Bedürfnis nach einem Gespräch haben. Die Feuerwehr Mannheim hat dafür einen Container bereitgestellt. „Da können wir auch drinnen sitzen und sprechen, damit die Privatsphäre gewahrt bleibt“, sagt Notfallseelsorger Thomas Baro. Viele Menschen hätten das Angebot dankbar angenommen. „Einige kommen aber auch nur vorbei, um sich dafür zu bedanken, dass es uns gibt“, ergänzt seine Kollegin Wiltrud Arnold.

Oberbürgermeister Christian Specht sucht am Dienstag das Gespräch mit den Menschen in der Innenstadt. © Simone Kiß

Im Rathaus in E5 liegt am Eingang ein Kondolenzbuch aus, in dem die Bürgerinnen und Bürger ihre Anteilnahme ausdrücken können. Von dort startet am Dienstagmittag auch Oberbürgermeister Christian Specht, begleitet von den Dezernenten Volker Proffen und Thorsten Riehle, zu einem Rundgang über die Planken, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen. „Alles ok? Haben Sie Verständnis dafür?“, fragt er einen Schausteller, der gerade dabei ist, seine Bratwurst-Bude abzubauen. „Ja, natürlich“, antwortet der Mann und fügt hinzu: „Das ist für alle ein schwerer Moment.“

Notfallseelsorge steht in Mannheim für Gespräche bereit

Ein Stück weiter trifft er auf drei Notfallseelsorgerinnen. Er lässt sich berichten, wie der Tag danach bei ihnen verläuft. „Es herrscht große Betroffenheit. Die Menschen haben Angst und auch einen großen Redebedarf“, erzählt Isabel Gürel. „Viele drücken aber auch ihr Mitgefühl für die Verletzten und die Angehörigen der Toten aus“, ergänzt ihre Kollegin Wiltrud Arnold. Es sei wichtig, darauf zu hoffen, dass so eine Tat eine Ausnahme bleibe, sagt Gürel: „Wir dürfen uns unser Sicherheitsempfinden nicht zerreden lassen. Mannheim, unsere Gesellschaft ist nicht Attentat.“ Der Oberbürgermeister dankt den Notfallseelsorgerinnen für ihren Dienst: „Schön, dass Sie da sind.“

Auch an den Kommunalen Ordnungsdienst richtet er seinen Dank, stellvertretend an Sascha Schmidt und Markus Dietz, die gerade in der Innenstadt unterwegs sind. Sie waren mit ihren Kolleginnen und Kollegen zuerst am Tatort, haben den Notruf abgesetzt und bei Reanimationsmaßnahmen geholfen. „Wir verstehen uns als Teil der Blaulichtfamilie und haben nur unseren Dienst geleistet“, sagt Dienstgruppenleiter Sascha Schmidt.

Liveblock zur Entwicklung nach der Amokfahrt von Mannheim

Redaktion Reporterin Team Mannheim

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