Rotlicht

Lesung in Mannheim: Schwedischer Polizist berichtet über Arbeit im Rotlichtmilieu

Der schwedische Polizist Simon Häggström hat in Mannheim von seinem Kampf gegen die Armutsprostitution erzählt. Er spricht sich für ein Sexkaufverbot aus.

Von 
Christine Maisch-Bischof
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Kampf gegen Armutsprostitution: Amalie-Leiterin Astrid Fehrenbach begrüßt Simon Häggström, den Gast aus Schweden. © Christine Maisch-Bischof

Mannheim. Ein Polizist, der bedrückende und erschreckende Einblicke in seine Arbeit als Ermittler im schwedischen Rotlichtmilieu gibt. Und eine lebhafte Diskussionsrunde, die nachdenklich stimmt und eindrücklich die Auswirkungen eines Sexkaufverbots vor Augen führt: Der schwedische Kriminalkommissar und Bestsellerautor Simon Häggström ist mit seinem Buch „Auf der Seite der Frauen“ auf Lesereise durch Deutschland. Eine Station führt ihn auch nach Mannheim ins „Ella & Louis“ am Rosengartenplatz. Mehr als 100 Gäste folgen der Einladung von Amalie, der Diakonieberatungsstelle für Frauen in der Prostitution, sowie dem Zonta Club Mannheim.

Jenseits aller Kiezromantik lassen die Textbeispiele den Leser tief eintauchen in die Schicksale der Frauen und in die Einsätze des Ermittlers und seines Teams. Sie erzählen von einem kolumbianischen Mädchen, das von seinem Landsmann zugehalten wird, und von einer jungen, bereits im sechsten Monat schwangeren Frau, die ihre Dienste per Annonce feilbieten muss.

Dabei geht es keineswegs nur darum, Zuhälter und Freier aufzuspüren und ihnen eine Straftat nachzuweisen. So müssen die Beamten im Beisein von Sozialarbeitern als Team behutsam das Vertrauen der Prostituierten gewinnen. „Schließlich stammen die Frauen nicht aus einer schwedischen oder deutschen Mittelschicht“, wie Simon Häggström während der Fragestunde im Anschluss an die Lesung versichert. Vielmehr kommen die Mädchen meistens aus prekären sozialen Verhältnissen. „Sie haben jenseits der Prostitution keine andere Chance, um ihren Kindern Essen auf den Tisch stellen zu können.“

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Sie kommen aus Ländern, in denen auch die Polizei und Justiz häufig korrupt und wenig vertrauenerweckend ist, wo sie befürchten müssen, geschlagen, ausgeraubt und vergewaltigt zu werden. Eben deshalb falle es auch den Zuhältern leicht, ihre „permanenten Lügengeschichten“ über die schwedische Polizei und das sogenannte Nordische Modell zu verbreiten.

Doch bei aller Schwere der Thematik gibt es auch Momente der Genugtuung und Heiterkeit. Beispielsweise als der Ermittler in seinem Buch von einem Freier erzählt, der bei einem Zugriff versucht über den drei Meter hoch gelegenen Balkon eines Hotels zu fliehen. Als er tatsächlich kaum verletzt auf dem Boden landet, stellt sich heraus, warum er so panisch ist: „Er war ein Regierungsbeamter und hatte nun Angst um seinen Job und seine Ehe.“

Häggström spricht sich für das Nordische Modell aus

Obwohl der 43-jährige schwedische Gast und gebürtige Inder auch etwas Deutsch kann, erweist es sich als Glücksfall, dass Kerstin Neuhaus, Sozialarbeiterin und Geschäftsführerin des Vereins „AugsburgerInnen gegen Menschenhandel“, die Fragen des deutschen Publikums und die Antworten des Autors übersetzt. Sicherlich verfügt das Gros des Auditoriums über Englischkenntnisse. Doch den Antworten verleihen die Übertragungen noch mehr an Intensität und Authentizität.

Und: Das Nordische Modell, sprich das Sexkaufverbot, birgt es nicht die Gefahr, dass die Zwangsprostitution und die Menschenhändler noch leichter in die Illegalität abtauchen können? Häggström bezeichnet dieses Narrativ als „größte Lüge über das Nordische Modell und unsere Arbeit“. Freier seien mit ihrer Nachfrage und ihrem Geld „Motor“ des Systems Prostitution. Von Freiwilligkeit könne dabei keine Rede sein. Denn das Zusammentreffen finde ja nicht aus gegenseitiger Zuneigung statt, sondern nur weil der Mann mit seinen Banknoten wedle. Die Frauen findet er über Annoncen und diese führen bei Observationen wiederum auf die Spur des Freiers: „Und Polizisten sind nicht dumm. Wenn er die Annonce lesen kann, dann können wir das auch.“

Bestseller und Amalie

  • „Auf der Seite der Frauen“ von Kriminalkommissar und Bestsellerautor Simon Häggström, Edition Wortschatz, 20 Euro.
  • Seit 2013 berät das Amalie-Team des Diakonischen Werks Frauen in der Prostitution. Leiterin ist seit 2021 Astrid Fehrenbach.
  • Zu den niederschwelligen Angeboten in der Draisstraße 1 zählen das Frauencafé, eine gynäkologische Sprechstunde für Frauen und eine Kleiderbörse.
  • Weitere Infos gibt es unter www.amalie-mannheim.de.

Kurzum: Die Illegalität bereite ihm und seinen Kollegen in ihrem Kampf gegen die Zwangsprostitution keine Probleme. Wohl aber die Verlagerung in andere Länder. Der Prozentsatz der Männer, die angeben, in der Vergangenheit oder aktuell Prostituierte aufzusuchen, liege in der Bundesrepublik bei 25 Prozent, in Schweden bei sieben bis zehn. Doch davon gehen 70 Prozent in andere Länder, wo Sexkauf nicht unter Strafe steht: „Das zeigt zum einen, dass es funktioniert. Schwedische Männer haben viel zu große Angst, in ihrem Heimatland zu einer Prostituierten zu gehen.“ Immerhin droht einem Freier in Schweden eine Bewährungsstrafe von einem Monat. Wird er innerhalb von zwei Jahren zum Wiederholungstäter, muss er hinter Gitter. Der Eintrag ins Führungszeugnis erlischt erst nach zehn Jahren.

„Aber wir müssen in der EU mit dem Sexkaufverbot die gleiche Sprache sprechen“, betont Häggström: „Damit nicht weiterhin vom Priester bis zum Richter, vom Polizisten bis zum Staatsanwalt, Lehrer oder Arzt“, Männer aus allen sozialen Schichten das Frauenbild mit Füßen treten würden: „Und sogar schon junge Menschen mit dem Bewusstsein heranwachsen, dass man Frauen wie Hamburger konsumieren kann.“

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