Mannheim. Frau Schopper, Ihre Vorgängerin hat sich in Mannheim eher rar gemacht. Bei Ihnen habe ich den gegenteiligen Eindruck. Wie oft waren sie seit Amtsantritt hier?
Theresa Schopper: Ich glaube, ich bin hier mit am meisten gewesen. Etwa zehn, elf Mal. Das waren ganz unterschiedliche Termine. Mein erster war an der Johannes-Kepler-Schule zum Thema Sommerschule, danach habe ich die Eugen-Neter-Schule besucht. Ich mag Mannheim wirklich gerne.
Hatten Sie zuvor schon Bezüge zu Mannheim?
Schopper: Als Staatsministerin habe ich den Landesverband und Rat der Sinti und Roma betreut, der sitzt ja in Mannheim. Also war ich hier schon öfter. Mannheim ist spannend, weil so viele Nationen zusammenkommen. Und die Quadrate haben mich schon immer fasziniert.
Haben Sie das System verstanden?
Schopper (lacht): Nein. Mir wird immer gesagt, das wäre ganz einfach. Aber ich bin froh, dass ich niemanden besuchen muss.
Was hat Sie in Mannheimer Schulen besonders beeindruckt?
Schopper: Ich finde es immens, mit welchem Herzblut daran gearbeitet wird, Kindern, die mit weniger Bildungschancen in die Schule kommen, zu helfen. Wie versucht wird, sie so zu fördern, dass sie die Schule entsprechend ihren Talenten abschließen. Das ist schon faszinierend. Egal, ob in der beruflichen Liebig Schule, die ich im November besucht habe, oder in der Uhland-Grundschule in der Neckarstadt, die ich im April kennenlernen durfte.
Theresa Schopper
- Theresa Schopper wurde am 9. April 1961 in Füssen im Allgäu geboren. Hier verbrachte sie Schulzeit und Jugend.
- Sie war von 1988 bis 1994 Fraktionsgeschäftsführerin der Grünen im Bayerischen Landtag und von 2003 bis 2013 Grünen-Landesvorsitzende.
- 2014 wechselte sie ins Staatsministerium Baden-Württemberg, 2018 wurde sie zur Staatsministerin ernannt, 2021 zur Kultusministerin. bhr
Jetzt sind wir am Moll-Gymnasium, das wie alle anderen öffentlichen Mannheimer Gymnasien achtjährig ist. Wann werden Sie das erste neunjährige besuchen – ab diesem September, ein Jahr darauf oder deutlich später?
Schopper: Wir werden sicher nicht zum nächsten Schuljahr starten. Das Bürgerforum hat uns ganz klar mit auf den Weg gegeben: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Es geht nicht nur darum, acht oder neun Jahre in die Schule zu gehen. Wir müssen schauen, wie man den schulischen Alltag an das anpassen kann, was gefordert wird. Wissen als solches präsent zu haben, reicht nicht mehr. Ich muss lernen, wie ich Wissen anwende, es auf neue Situationen übertrage, wie ich Fake News aufdecke…
Darf ich unterbrechen – ich habe mit Mannheimer Gymnasialdirektoren gesprochen, die der Meinung sind, G9 lasse sich ab diesem Herbst umsetzen.
Schopper: Es mag für einen Schulleiter möglich sein, dass er sagt, ich habe noch ein kleines Klassenzimmer frei, wo ich jemanden mit aufnehmen könnte. Für die Einführung im gesamten Land sind unter anderem schulgesetzliche Änderungen erforderlich. An der Entscheidung hängt eine Menge dran. Und Lehrerstellen brauchen wir auch…
Nicht sofort.
Schopper: Das nicht, aber wir können auch nicht erst im Jahr neun anfangen, das geht schief. Außerdem müssen wir die Schulen zuerst inhaltlich neu aufstellen. Einfach die G9-Modellgymnasien zu kopieren, ist keine zukunftsweisende Konzeption, auch das hat uns das Bürgerforum mitgegeben. Hinzu kommen gravierende Auswirkungen auf alle anderen Schularten, die wir berücksichtigen müssen.
Das Karl-Friedrich-Gymnasium war bis vor ein paar Jahren G9-Modellschule. Lassen Sie denn zumindest ein anderes Gymnasium in Mannheim an dessen Stelle treten? Oder warum geht das nicht?
Schopper: Dazu liegt uns gar kein Antrag der Stadtverwaltung vor. Mannheim hat mit G8 geplant.
Weil es zum damaligen Zeitpunkt abgelehnt wurde.
Schopper: Nicht von unserer Seite.
Nein, unter Ihrer Vorgängerin.
Schopper: Jetzt geht es ohnehin darum, wie wir wieder insgesamt zu G9 zurückkehren. Da werden wir keine Modell-G9-Diskussionen mehr anfangen.
Also kommt G9 ein Jahr später?
Schopper: Wir sind am Anfang der Gespräche. Wir versuchen derzeit, eine parteiübergreifende Bildungs-allianz zu schmieden. So etwas könnte über mehrere Legislaturperioden Ruhe in die Bildungspolitik bringen und eine planvolle Qualitätsentwicklung der Schulen ermöglichen.
Aber wenn man das so umfassend macht, dauert es noch Jahre bis G9.
Schopper: Sicher nicht, wir arbeiten ja bereits mit Hochdruck daran. Aber es gibt eben sehr viele Detailfragen. Zum Beispiel, ob und wie viele Unterrichtsstunden man ergänzt. Außerdem müssen wir Kooperationen zwischen Gymnasien verbessern, um die Lehrkräfte, die wir haben, auch effektiv einsetzen zu können.
Von Mannheim nach Pisa. Die Studie betrifft zwar Teenager, aber die Grundlage für schulischen Erfolg, das haben Sie selbst gesagt, wird bereits in der Kita gelegt. Können Sie das etwas vertiefen?
Schopper: Ich habe schon nach der IQB-Studie im Oktober 2023…
…einer bundesweiten Untersuchung zur Lesefähigkeit von Neuntklässlern…
Schopper: …gesagt, dass wir einfach nicht hinnehmen können, wenn mehr als 20 Prozent der Kinder nicht die Mindeststandards erreichen und weitere 20 kaum an die Regelstandards herankommen. Schon bei der verpflichtenden Einschulungsuntersuchung stellen wir fest, dass ungefähr 30 000 Kinder nicht die sprachliche Qualifikation haben, die sie in diesem Alter haben müssten. Deshalb liegt hier auch unsere Hauptaufgabe: Wir müssen die Sprachförderung verbessern und zusätzliche Angebote schaffen – und zwar verpflichtend. Das tun wir jetzt. Das geht weiter im schulischen Bereich, wir bringen Kinder erst in Regelklassen, wenn sie wirklich schulreif sind. Und fördern sie auch dann weiter, wenn sie in der ersten, zweiten Klasse Unterstützung brauchen.
Hamburg macht Sprachstandserhebungen mit anschließender verpflichtender Förderung schon länger. Ist es das, was Sie wollen?
Schopper: Sprachstandserhebungen machen wir auch schon länger. Aber wir haben bisher lediglich einen Zettel an die Eltern geschrieben: „Bitte fördern Sie Ihr Kind!“ Das funktioniert nicht. Hamburg hat noch das Instrument der Vorschule, die ist dort nie abgeschafft worden. Kinder, die Defizite haben, können dort entsprechend gefördert werden. In Baden-Württemberg möchten wir die Förderung in der Kita ausbauen und mit sogenannten Juniorklassen, quasi einer Klasse 0 in der Grundschule, eine weitere Förderung etablieren.
Wann und wie soll es konkret losgehen mit gezielter längerfristiger, verpflichtender Förderung?
Schopper: Wir wollen jetzt starten, zum Kindergartenjahr 2024/25 – zunächst mit additiver Förderung im Kita-Bereich.
Wie viel Personal gibt es dafür?
Schopper: Wir werden Ressourcen umwidmen, die wir bisher für andere Maßnahmen hatten.
Was fällt dafür weg?
Schopper: Allen muss bewusst sein: Wir müssen das Hauptaugenmerk auf die Frühförderung der Basiskompetenzen legen. Es geht darum, Kinder, die Defizite haben, zielgenauer zu fördern, damit sie bessere Startchancen bekommen. Unsere Pläne dürfen anderswo aber keine großen Löcher reißen.
Wie kommen Sie an die Kinder ran, die keine Kitas besuchen?
Schopper: Hier ist die Herausforderung größer. Zum einen setzen genau hier die geplanten Juniorklassen an. Ergänzend müssen wir Eltern besser ansprechen, um sie zu motivieren, ihre Kinder in den Kindergarten zu geben.
Wenn es denn Plätze gibt.
Schopper: Grundsätzlich ist es sinnvoll, dass ältere Kinder einen Vorrang haben. Mehr als 90 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen sind derzeit im letzten Kindergartenjahr im Kindergarten.
Aber man müsste auch an die anderen rankommen.
Schopper: Genau. Ich nenne sie mal Hauskinder. Häufig sind das die mit den größten Defiziten. Sie wissen mitunter nicht, wie man einen Stift richtig hält, ruhig sitzt oder überhaupt dem schulischen Alltag begegnet. Das ist in der Tat die Gruppe, die uns große Sorgen macht. Deswegen ist unser Förderkonzept ja so wichtig.
Das Kultusministerium schreibt eine Kooperation zwischen Kitas und Grundschulen vor, um die Kinder auf die Schule besser vorzubereiten. Dafür steht einer Grundschule eine Lehrerwochenstunde zur Verfügung – und das zum Teil für ein Dutzend Kitas im Einzugsgebiet. Wie soll das funktionieren?
Schopper: Eine Großstadt hat es da schwerer – hier hat eine Schule in ihrem Sprengel schon mal zehn Kitas. Insgesamt müssen wir gemeinsam mit den Kommunen prüfen, wie wir die Ressourcen besser im Verbund einsetzen können.
Bei der Einführung des Kooperationsmodells 2019 hat die Gewerkschaft GEW zwei Anrechnungsstunden pro Kita im Umfeld der jeweiligen Schule gefordert. Kommen Sie dem entgegen?
Schopper: Ich bin immer gerne mit der GEW im Austausch. Aber der Wunschzettel ist oftmals ziemlich lang. Beim Übergang von der Kita in die Grundschule und auch für die Koordination des Ganztags müssen wir aber Ressourcen mobilisieren.
Wie viele Ressourcen?
Schopper: Das ist im Augenblick noch nicht zu beziffern. Für die Stunden, die wir geben, müssen wir ja Lehrer akquirieren. Die dürfen dann nicht an anderer Stelle fehlen. Priorität hat immer der reguläre Unterricht.
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Mit dem neuen Schuljahr haben Sie – Stichwort „BiSS“-Konzept – Lese- und damit Sprachförderung verbindlich in allen Grundschulen eingeführt. Ihre erste Bilanz?
Schopper: Von den Schulen wird das sehr gut angenommen, wir haben viele positive Rückmeldungen. Schon in diesem Schuljahr seit September bemerken wir bei vielen Kindern deutliche Fortschritte. Das war auch so in der Uhlandschule…
…die das Biss-Konzept seit September 2022 erprobt…
Schopper: …und wo es sofort die Rückmeldung gab, dass sich Leseflüssigkeit und Leseverständnis bei vielen Kindern verbessert haben.
Ebenfalls mit dem neuen Schuljahr haben Sie den Modellversuch multiprofessionelle Teams in 16 Grundschulen gestartet. Wie viele Mittel stehen dafür zur Verfügung?
Schopper: Pro Jahr stehen vier Millionen Euro zur Verfügung. Die Schulen bekommen ein Budget und können damit Schwerpunkte setzen. Das wird der Weg in die Zukunft sein, zumal wir dadurch auch Lehrkräfte entlasten können.
Wie sind die ersten Erfahrungen?
Schopper: Die Schulen sind froh, dass sie mehr Personal bekommen. Wir haben ja auch noch die Pädagogischen Assistentinnen und Assistenten und in diesem Schuljahr das Freiwillige Pädagogische Jahr eingeführt. Es gab einen riesigen Run junger Leute darauf, wir konnten jede Stelle besetzen.
Ist eine Ausweitung multiprofessioneller Teams geplant?
Schopper: Mit dem Startchancen-Programm kriegen wir noch einmal deutlich mehr Ressourcen in die Fläche.
Wenn es denn kommt.
Schopper: Das kommt, da bin ich zuversichtlich. Die Verwaltungsvereinbarung ist in den letzten Zügen.
Ihr Chef Winfried Kretschmann spricht sich für eine Grundschulreform aus. Was bedeutet das?
Schopper: Er meinte nicht Grundschulreform, sondern mehr Ressourcen für die Grundschule. Er weiß ja auch: Auf den Anfang kommt es an. Wenn man als Schülerin oder Schüler immer nur die Rücklichter des Zugs sieht, anstatt sicher mitzufahren, können sich keine Bildungserfolge einstellen. Deshalb setzen wir die Prioritäten vor und am Anfang der schulischen Karriere.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Steigen Sie 2026 aus oder würden Sie, falls es Wahlergebnis und andere Umstände erlauben, als Kultusministerin weitermachen?
Schopper: In der Politik lernt man Demut. Wir sind für diese Legislaturperiode gewählt und kämpfen darum, wiedergewählt zu werden. Außerdem ist das keine Entscheidung, die man persönlich fällt.
Ich frage nach Ihrem persönlichen Interesse.
Schopper: Ich fühle mich fit, ich bin mit Begeisterung dabei. Aber was in zwei Jahren ist, das wird man sehen.
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