Stadtgeschichte

Krank, nicht witzig: So war der Blumepeter wirklich

150 Jahre würde Peter Schäfer am Samstag. Er hat nie einen der vielen ihm zugeschriebenen Witze erzählt, wurde erst lange nach seinem Tod zum Mannheimer Original.

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Peter W. Ragge
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Blumepeter Peter Schäfer kurz nach seiner Ankunft in der Kreispflegeanstalt Wiesloch 1829. © Marchivum

Mannheim. Er hat nie einen der vielen ihm zugeschriebenen Witze wirklich erzählt, wird erst lange nach seinem Tod als lustiges Mannheimer Original glorifiziert: der Blumepeter. Vor 150 Jahren, am 5. April 1875, ist er als Peter Berlinghof in Plankstadt im Waldpfad 67 geboren worden – als uneheliches Kind. Erst nachdem seine Mutter den Vater, den Maurer Joseph Schäfer heiratet, adoptiert dieser seinen Sohn, der von nun an Peter Schäfer heißt.

Er leidet unter frühkindlichem Kretinismus, ausgelöst durch eine Unterfunktion der Schilddrüse, wird gehänselt, verlacht, in Varietés und Fasnacht instrumentalisiert, wandelt sich vom lustigen Kerl zum jähzornigen Exhibitionisten und Psychiatrie-Insassen.

Mannheim ist zur Zeit seiner Geburt eine wachsende Stadt. Bald folgen die ersten Eingemeindungen, Industrie siedelt sich an. Sie braucht Arbeiter. Daher zieht sein Vater 1891 nach Mannheim und hofft, dort Einkommen zu finden. Aber die Familie ist arm, und der kleine Peter – ohne Schulbildung, geistig zurückgeblieben und körperlich behindert – soll sich nützlich machen und Geld verdienen.

Ab 1895 schickt ihn die Familie los, um auf der Straße und in Gasthäusern Blumensträuße zu verkaufen. „Kaaf ma ebbes ab“, ruft er mit nasaler Fistelstimme, wenn er mit seinem Korb unterwegs ist. Er gilt als nett und witzig, aber letztlich machen sich die Leute über ihn lustig. Der „Blumepeter“ ist durch sein Erscheinungsbild und seine, wie es später heißt, zuweilen recht derben Äußerungen Zielscheibe von Hänseleien. Noch vor der Jahrhundertwende erscheinen auch erste Ansichtskarten mit seinem Bild, und es kursieren Witze über und mit ihm.

„Wir Kinder haben den behinderten Blumepeter verspottet“

„Er konnte ja nicht normal gehen, ist eher geschläbbelt. Und Witze erzählen konnte er eher gar nicht, da ist ihm vieles angehängt worden. (...) Er war halt ein billiges Objekt“, so Willi Tronser mal gegenüber dem Journalisten und Buchautor Eberhard Reuß, der das Schicksal des Blumepeter erforschte. „Der Blumepeter war ein ganz ruhiger Mensch. Wenn ich als Kind mit meinen Eltern in einer Gastwirtschaft war und der Peter mit seinem Blumensträußchen reinkam, dann bot er die einem richtig brav und anständig an. Aber man konnte ihn auch ganz schnell reizen, und gerade wir Kinder haben den behinderten, kleinwüchsigen Blumepeter gefrotzelt, verspottet und geärgert. Da ist er dann frech und ausfällig geworden“, wird Paul Kunze in einer Veröffentlichung vom Marchivum zum Blumepeter zitiert.

Das Blumepeter-Denkmal auf den Kapuzinerplanken in Mannheim. © Christoph Bluethner

Nach dem Tod seiner Mutter und des Vaters lebt Peter Schäfer bei seiner Schwester Susanne Schäfer und ihrem Ehemann Heinrich Glatz. Auch sie schicken ihn los, er soll Blumen verkaufen – sonst kann er ja nichts, weder schreiben noch rechnen. Unterstützung erfährt der Blumepeter zudem von den Brüdern Karl und Ernst Buck, beide gefragte Varieté-Künstler. Aber sie nutzen ihn auch aus, bauen ihn in ihre Programme ein, lassen ihn auftreten, fordern seinen Ehrgeiz heraus, parodieren ihn – geben ihn nach heutigem Verständnis jedoch der Lächerlichkeit preis.

Zunehmend wird er aggressiver, ausfälliger, neigt zu exhibitionistischen Handlungen. Am 16. Dezember 1919 wird Schäfer daher in die Kreispflegeanstalt Weinheim eingewiesen. Er steht dort auf der „Liste der geistig abnormalen Personen“. Doch „Pflegeanstalt“ suggeriert eine Betreuung, die es damals nicht gibt. Psychisch Kranke werden einfach weggeschlossen, notfalls am Bett festgeschnallt, mit Medikamenten ruhig gestellt. Zeitweise erhält er Urlaub, wie aus den Akten hervorgeht, und darf nach Mannheim, fällt dort aber immer stärker negativ auf.

Von Weinheim aus muss Peter Schäfer im November 1929 in die Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch wechseln. Die Ärzte dort schildern ihn mal als „kindlich, anschmiegsam, fröhlich“, dann wieder als „ängstlich, beleidigend, brüllend, sexuell aggressiv“. Wegen seines hohen Bekanntheitsgrads in Mannheim kommt ihm dort eine Sonderrolle zu, und nach seinem Tod 1940 erhält er sogar ein eigenes, bis heute auf dem Klinikgelände bestehendes Grab.

Die genaue Todesursache ist bis heute unbekannt

Wie er genau umgekommen ist, weiß man nicht. Offiziell ist es Herzversagen – möglicherweise infolge von Unterernährung. Aber klar ist, dass die Nationalsozialisten zu jener Zeit die Insassen psychiatrischer Anstalten und andere Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung als „Volksschädlinge“ ab 1940 durch das Euthanasieprogramm systematisch töten lassen. Ob der Blumepeter dem erst durch seinen Bekanntheitsgrad und dann durch einen natürlichen Tod entgeht oder ob man in Wiesloch „nachgeholfen“ hat, lässt sich aus den Akten nicht klären.

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Peter W. Ragge
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Nach dem Zweiten Weltkrieg kursieren immer mehr Blumepeter-Witze. Und nicht nur das. Nach und nach macht ihn der Volksmund zum etwas skurrilen, pfiffig-bauernschlauen Mannheimer Original, schreibt ihm viele Anekdoten und Witze einfach zu. Er wird zur Symbolfigur der Kurpfälzer Lebensart, der Schlagfertigkeit, dem manchmal urwüchsig-derben Mutterwitz. 1966, zum 20. Geburtstag des „Mannheimer Morgen“, wird ihm ein Denkmal gesetzt – zunächst auf dem Gockelsmarkt in N 4 platziert und seit 1989 auf den Kapuzinerplanken zu finden.

Die Stifter hätten nach einer Figur gesucht, die das Wesen der Mannheimer und der Pfälzer „auf einfachste Weise manifestieren könne“, so Karl Ackermann, Herausgeber des „MM“, als er mit seinem Herausgeberkollegen Eitel Friedrich Freiherr von Schilling die Skulptur den Mannheimern übergibt. Man solle bei dem Denkmal nicht so sehr an das schwierige Alltagsleben des zwergenhaften Mannes denken, sondern daran, „dass Fabel und Geschichte seinem naiven Dasein einen höheren Sinn gegeben“ hätten, so Ackermann. Daher solle der Brunnen „ein lebendiges Wahrzeichen der Stadt werden“ und den „verhältnismäßig nüchternen Eindruck“, den die Quadratestadt nach dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg vermittle, auflockern.

Fest am Blumepeter

  • Ein kleines Fest rund um das Denkmal des Blumepeter auf den Kapuzinerplanken gibt es am Samstag, 5. April, ab 11.30 Uhr. Die Träger des Bloomaulordens wollen ihm, so Initiator Christian Ziegler, „ein kleines Geburtstagsständchen“ bringen.
  • Das übernehmen die Musiker unter den Bloomäulern, nämlich Joana, Joachim Goltz und Thomas Siffling. Bloomaul Ulrich Nieß, ehemaliger Marchivum-Direktor, steuert eine historische Einordnung bei.
  • Dank Eugen Kettemann spendiert Blumen Otto 150 Blumenpräsente. Von Dario Fontanella gibt es 150 Kugeln Eis. Dafür bitten die Bloomäuler um Spenden für die „MM“-Aktion „Wir wollen helfen“.
  • Um 14 Uhr bietet Stefan Kiefer, Pflegefachmann im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden, eine Führung zum Grab des Blumepeter an, denn er starb 1940 in Wiesloch und wurde auf dem Anstaltsfriedhof bestattet. Der Treffpunkt ist am Parkplatz Ost an der Mauer vor der Schranke, die Zufahrt erfolgt über Altwiesloch/Römerstraße.

Kunsthallen-Direktor Heinz Fuchs betont bei der Einweihung ausdrücklich, dass die Künstler nicht die historische Figur im Original abbilden, sondern sie nur als Symbol verwenden sollten. Aus mehreren Einsendungen eines Wettbewerbs geht der Bildhauer Gerd Dehof als Sieger hervor. Hans Reschke, damals Oberbürgermeister, wünschte sich, dass der Bronzefigur hin und wieder mal ein Mannheimer ein Blümelein in den Arm legt. Der Wunsch hat sich erfüllt.

Aus dem Einweihungsfest rund um die Bronzeplastik entwickelt sich das Blumepeterfest – von den Karnevalisten des Feuerio ehrenamtlich ausgerichtet und nur auf Spenden basierend. Über 50 Jahre findet es statt und beschert der Aktion „Wir wollen helfen“ des „MM“-Hilfsvereins ständig wachsende Einnahmen für die gute Sache. Doch wegen steigender Kosten und Auflagen bei sinkender Spendenbereitschaft findet es nicht mehr statt.

Mit Unterstützung der Heinrich-Vetter-Stiftung hat das Marchivum ein Arbeitsheft erstellt, mit dem Schulen das Leben des Blumepeter im gesellschaftlich-historischen Zusammenhang vermitteln können.

Redaktion Chefreporter

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