Mannheim. Am Ende seines Grußworts gibt Hans-Jürgen Hennes ein ungewöhnliches Versprechen: „Sie werden mich heute den ganzen Tag strahlen sehen!“, kündigt der Medizinische Geschäftsführer des Klinikums an. Von so viel Überschwang lässt sich Prodekan Wolf-Karsten Hofmann als nächster Redner gerne anstecken: „Ich auch, wir auch!“
Bei dem, was die Verantwortlichen der Mannheimer Universitätsmedizin so beglückt, geht es tatsächlich ums Strahlen - allerdings im wörtlicheren und weitaus weniger schönen Sinn. Das Krankenhaus hat einen neuen Linearbeschleuniger bekommen, von Künstlicher Intelligenz (KI) gesteuert und der angeblich modernste seiner Art. Und das vor allem zum Wohl der Patienten, wie alle Redner an diesem Montagmorgen betonen.
Der moderne Linearbeschleuniger Varian Ethos arbeitet mit geringerer Strahlendosis
Das soll nicht nur über eine bessere Diagnostik funktionieren, sondern auch über die Strahlendosis. Die KI ermittle tagesaktuell, wie sich ein Tumor möglicherweise verändert habe und welche Sequenz für den Patienten gerade ideal sei, erläutert Jens Fleckenstein, Leiter der Stabsstelle Medizinische Physik und zentraler Strahlenschutzbevollmächtigter des Klinikums.
Er kann die Verbesserung mit konkreten Zahlen belegen: Im Vergleich zu herkömmlichen Linearbeschleunigern benötige der Varian Ethos (so heißt der neue) nur ein Sechstel der Strahlung und ein Zwanzigstel der Zeit.
Seit Ende vergangenen Jahres ist das neue Gerät in der Mannheimer Universitätsmedizin im Einsatz. Laut Frank Giordano, Direktor der Klinik für Strahlentherapie, wurden bereits rund 40 Menschen damit behandelt. Etwa bei Prostata-Patienten, bei denen zuvor eine sechs- bis achtwöchige Therapie erforderlich gewesen sei, lasse sich das gleiche onkologische Ergebnis nunmehr schon in fünf Sitzungen erreichen. Zum Einsatz kommen soll der Varian Ethos unter anderem auch bei Leber- und Gebärmutterhalskrebs, Tumoren im Hirn oder im Bauchraum.
Pro Jahr rund 20 Millionen neue Krebserkrankungen
Den steigenden Bedarf erläutert Arthur Kaindl, Chef der Herstellerfirma Varian, einer Tochter von Siemens Healthineers. In seinem Festvortrag berichtet er, weltweit würden pro Jahr rund 20 Millionen neue Krebserkrankungen festgestellt. In Deutschland sei es etwa eine halbe Million. Und bis zum Jahr 2040 werde mit einer Zunahme um 50 Prozent gerechnet, weil die Menschen immer älter und anfälliger würden.
Kernziel der internationalen Kooperation seines Unternehmens sei es, Patienten die Furcht vor einer Krebsdiagnose zu nehmen. Mit modernen Behandlungsmethoden lasse sich aus einer tödlichen Krankheit häufig eine chronische machen.
Judit Boda-Heggemann, Oberärztin in der Klinik für Strahlentherapie, veranschaulicht mit Grafiken auch die höhere Bildqualität der Aufnahmen, die der Varian Ethos macht. Und ihr Kollege Constantin Dreher weist auf damit mögliche wissenschaftliche Innovationen hin, spricht von einer „maßgeschneiderten Radioonkologie 2.0“.
Laut Prodekan Hofmann steht ein „Klon“ des neuen Geräts nun im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Dort können dann auch die bei der Behandlung von Patienten in Mannheim gewonnenen Erkenntnisse genutzt werden. Die enge Kooperation zwischen Fakultät und DKFZ bewirkte 2019 auch, dass hier das Hector-Krebsinstitut angesiedelt werden konnte. Nun dankt Geschäftsführer Hennes der Stiftung von Josephine und Hans-Werner Hector dafür, dass sie die Anschaffung des Varian Ethos ermöglicht haben.
Der Varian Ethos kostet rund fünf Millionen Euro
Die Kosten beziffert er im Gespräch mit dem „MM“ auf rund fünf Millionen Euro, inklusive des aufwendigen Einbaus. Davon trage die Hector-Stiftung „den allergrößten Teil“. Anders wäre der neue Linearbeschleuniger für das Klinikum, gerade in seiner schwierigen finanziellen Situation, völlig unerschwinglich gewesen.
Zum Abschluss marschieren die geladenen Gäste dann vom großen Hörsaal einmal quer durch das Hauptgebäude nach Westen, wo im Untergeschoss von Haus 4 die Klinik für Strahlentherapie untergebracht ist. Hier steht der Varian Ethos.
Mit einem Kran wurde er vergangenen September hereingehievt. Dafür waren umfassende bauliche Vorbereitungen nötig, unter anderem musste der Boden um sieben Zentimeter angehoben werden. Auch dafür dankt Hennes hymnisch allen Beteiligten. Mehrere Hundert seien es quer durch unterschiedliche Abteilungen gewesen, so Giordano.
Aus Sicht eines Laien ähnelt der Linearbeschleuniger einem der modernen, offenen MRT-Geräte. Denkt man an Menschen mit Krebsdiagnosen, entsteht bei seinem Anblick schon eine gewisse Ehrfurcht.
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