Mannheim. Er sei ein „entschiedener Gegner der Wiedereinführung“ des neunjährigen Gymnasiums (G9) in Baden-Württemberg, betonte Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Januar ausdrücklich. Aber man werde sich „keiner Debatte verweigern“. An diesem Dienstag ging die Landesregierung noch einen Schritt weiter: Sie kündigte ein Beteiligungsverfahren an – ein „Bürgerforum“. Es werde aus „40 bis 60 zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern“ bestehen, die sich mit dem Thema beschäftigen und dann eine Empfehlung abgeben sollten.
„Wir sehen in diesem Weg die Chance, das Thema auf breitere Füße zu stellen und aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten“, heißt es auf der Internetseite der Landesregierung. Denn „im Moment wird die Debatte sehr verengt geführt“. Das könnte man durchaus als Kritik an der Elterninitiative „G9 jetzt! BW“ verstehen. Denn sie setzt seit mehr als fünf Jahren alle Hebel in Bewegung, um die flächendeckende Rückkehr Baden-Württembergs zu G9 zu erreichen.
Höhepunkt war am 12. November 2022 die Einleitung eines Volksantrags. Dazu legte die Initiative einen elfseitigen Gesetzentwurf vor. Wenn sich nach – spätestens – einem Jahr 0,5 Prozent der Wahlberechtigten – rund 39 000 Personen – für den Volksantrag aussprechen, muss sich der Landtag damit befassen und darüber abstimmen. Sollten die Parlamentarier ablehnen, kann die Initiative ein Volksbegehren einleiten.
Landauf, landab laufen seit November Unterschriftensammlungen für den Antrag. Inzwischen, so die Initiatorin Anja Plesch-Krubner aus Heidelberg im Gespräch mit dem „Mannheimer Morgen“, „halten wir gut die Hälfte der erforderlichen Stimmen in Händen“. Neben den etwas mehr als 20 000 Formularen lägen weitere Stapel an Zustimmungserklärungen an mehreren Orten im Land. Gleichwohl: „Die Sammlung geht mit aller Kraft weiter“, schließlich sei man noch nicht am Ziel.
Initiative stolz auf Erfolg
Gerade sei wieder ein großer Umschlag mit 150 ausgefüllten Blättern eingetroffen, freut sich Thorsten Papendick, der Vorsitzende des Mannheimer Gesamtelternbeirats (GEB). Aber das Engagement müsse weiter gehen. Offensichtlich habe inzwischen auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann erkannt, dass die Eltern mit ihrem Volksantrag auf einem guten Weg seien. So deutet Papendick die Ankündigung des Bürgerforums. Aber der GEB-Vorsitzende glaubt nicht, dass Kretschmann seine Meinung zu G9 geändert hat. Deshalb befürchtet er, dass es sich beim Bürgerforum um eine „Alibiveranstaltung“ handeln könne, die dem Land bei einer Ablehnung von G9 ein Argument an die Hand gebe.
Kretschmann betonte am Dienstag aber, die Regierung lasse sich vom Ergebnis des Bürgerforums nicht unter Druck setzen: „Dialogische Bürgerbeteiligung“ bedeute nicht, dass „die verfassungsmäßigen Organe unter Zugzwang“ seien.
Volksantrag
- Mit einem Volksantrag möchten baden-württembergische Eltern den Landtag zwingen, sich mit der Wiedereinführung von G9 zu befassen.
- Dazu hat die „Initiative G9 jetzt!“ am 12. November 2022 einen Gesetzentwurf vorgelegt.
- Wenn bis 11. November 2023 etwa 39 000 Personen (0,5 Prozent der Wahlberechtigten) zustimmen, muss der Landtag darüber abstimmen.
Plesch-Krubner hält das Bürgerforum für „nicht notwendig“ für einen Erkenntnisgewinn. Schließlich existierten genügend Umfragen zu G9, die ein ganz eindeutiges Bild ergäben. Aber die Heidelbergerin zeigt sich „sehr stolz“, dass Kretschmann das Thema „zur Chefsache erklärt“ habe und das im Koalitionsvertrag festgehaltene faktische „Redeverbot“ über G9 aufgegeben worden sei. Als sie und Corinna Fellner vor sechs Jahren als „zwei enttäuschte Mütter“ aktiv geworden seien, sei an eine solche Entwicklung überhaupt nicht zu denken gewesen.
Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Stefan Fulst-Blei aus Mannheim, kritisiert die Landesregierung: Mit dem Einsatz des Bürgerforums „versucht die Landesregierung, ihr Gesicht zu wahren. Aber es kann nicht sein, dass jetzt erst noch weitere Diskussionsrunden gedreht werden“.
Lücke in Mannheim hinterlassen
Denn die Zeit sei „überreif für eine Rückkehr zu G9“. Die präsentierte Lösung sei „lediglich ein Feigenblatt und so nicht zu akzeptieren“. Stattdessen müsse es jetzt eine „Entscheidung für eine echte Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9“ geben.
Als unmittelbare Maßnahme fordert Fulst-Blei „die sofortige Freigabe für ein neues neunjähriges, öffentliches Gymnasium in Mannheim“. Das hatte es im Rahmen eines Landesmodellversuchs eigentlich gegeben. Als das Land 2012 und 2013 insgesamt 44 Schulen – grob gesagt eine pro Land- oder Stadtkreis – ermöglichte, G9 anzubieten, ging für Mannheim das Karl-Friedrich-Gymnasium (KFG) an den Start. Aber es schied 2020 auf eigenen Wunsch aus dem Versuch aus. Mehrere andere Mannheimer Gymnasien hatten Interesse, die Lücke zu füllen, die das KFG hinterlassen hatte. Aber das Land lehnte ab. Jetzt, so Fulst-Blei, solle „die Ministerin endlich ihre Erlaubnis dafür geben“.
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