Justiz

JVA Mannheim: Ex-Häftling beschwert sich über Haftbedingungen

Ein ehemaliger Gefangener kritisiert die Haftbedingungen im Mannheimer Gefängnis. Anwälte bestätigen die Vorwürfe, der Anstaltsleiter lässt sich nicht auf diese ein. Wir haben die JVA besucht, um uns ein Bild zu machen

Von 
Kai Plösser
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Blick aus einem der Gefangenentrakte auf die Zentrale der JVA-Mannheim. © Christoph Blüthner

Mannheim. Hinter Gefängnismauern ist das Leben kein einfaches. Das gilt sowohl für die Bediensteten als auch für die Gefangenen. Ein ehemaliger Häftling hat nun erhebliche Vorwürfe gegen die Justizvollzugsanstalt (JVA) Mannheim erhoben. Der 37-Jährige, der anonym bleiben will, aber dessen Name der Redaktion bekannt ist, spricht von wenig menschenwürdiger Behandlung, mangelnder Hygiene und unzureichender medizinische Versorgung. „Ich verstehe ja, dass es Haft ist und wir bestraft werden“, sagt er gegenüber dieser Redaktion. „Aber gewisse Dinge gehen zu weit.“

Stimmen die Vorwürfe? Bei einem Besuch im Gefängnis versucht sich die „MM“-Redaktion ein eigenes Bild zu machen. Anstaltsleiter Holger Schmitt zeigt den Hof, wo viele Gefangene gerade Sport treiben. Weiter geht es zu den Besuchsräumen, dem Fitnessraum, der Kapelle. Es erscheint aufgeräumt und sauber, fast herausgeputzt für eine Haftanstalt. Gleichzeitig ist es grau in grau und dunkel. Wir erhaschen einen Blick in eine Einzelzelle. Bett, Toilette, Waschbecken, Regal, Tisch, Stuhl: Das ist die Grundausstattung.

Doppelstockbetten in Einzelzellen bestätigen die Überbelegung der JVA Mannheim

Aktuell ist die JVA überbelegt. 611 Plätze stehen bei rund 670 Inhaftierten zur Verfügung, sagt Schmitt. Die Anstalt behelfe sich mit Doppelstockbetten in Einzelzellen, die - großzügig geschätzt - vier mal zwei Meter klein sind. Eine Stunde dürfen die Häftlinge beim Hofgang an der frischen Luft verbringen, erzählt Schmitt vom Alltag der Gefangenen. Zudem gebe es täglich eine offene Freizeit zwischen 17 und 20 Uhr. Hierbei dürfen sich die Häftlinge auf ihrem Stockwerk frei bewegen.

Die verhängen einfach so eine Freizeitsperre und lassen die Zelle zu, wenn ihnen ein Gesicht nicht passt.
Anonymer Ex-Häftling

Darüber hinaus gibt es gelenkte Freizeiten. Dabei handle es sich etwa um Gesprächs- oder Sportangebote. Auch gebe es verschiedene Therapiemaßnahmen und die Möglichkeit, den Haupt- oder Realschlussabschluss zu erwerben. Zudem werden Berufsausbildungen und Arbeitsstellen angeboten. Insgesamt könnten laut Schmitt rund 300 Häftlinge einem Job nachgehen.

Besuchsregelungen und Vater-Kind-Tage

Zudem hätten die Gefangenen Anspruch auf zwei Stunden Besuch im Monat. Das sei mehr als die vom Gesetz verordnete Mindestbesuchszeit von einer Stunde. Alle zwei Monate gebe es einen Vater-Kind-Tag. Neben Telefon und Briefen ist das die einzige Kommunikationsmöglichkeit nach draußen für die Häftlinge.

Dem ehemaligen Gefangenen war das zu wenig: „Es gibt überhaupt keine Freizeitangebote, und man ist fast den ganzen Tag eingesperrt.“ Er habe das Glück gehabt, dass er in der Wäscherei arbeiten durfte. „Wenigstens mal raus aus der Zelle“, betont der 37-Jährige und ist sich trotz seiner schlechten Erfahrungen nicht zu schade, auch Positives hervorzuheben: „Die Drogenberatung und die Sozialarbeiterinnen sind top.“

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Zwar gebe es auch wenige menschliche Beamte, sagt er: „Aber der Großteil ist meiner Meinung nach sadistisch und unfair.“ Er spricht von einer unmenschlichen Behandlung, die er erfahren habe. „Die verhängen einfach so eine Freizeitsperre und lassen die Zelle zu, wenn ihnen ein Gesicht nicht passt.“ Sicherungsmaßnahmen wie etwa Besuch mit Trennscheibe seien teilweise willkürlich verhängt worden.

Schmitt lässt sich nicht auf die Vorwürfe ein. Seine 360 Mitarbeiter, „die unter schwierigen Rahmenbedingungen ihren Dienst mit großem Engagement verrichten“, nimmt er in Schutz. Was er aber bestätigt, sind desolate hygienischen Bedingungen, unter denen sowohl Gefangene als auch Bedienstete zu leiden haben. Schmitt spricht von einer Ratten- und Ungezieferplage. Das passt zu den Schilderungen des ehemaligen Häftlings: „Es laufen unzählige Kakerlaken herum.“

Gründe für die Ratten- und Ungezieferplage in der JVA Mannheim sind bekannt

Die Gefangenen würden „Müll und Essenreste über die Haftraumfenster nach draußen entsorgen“, erklärt Schmitt den Grund für die Plagen. Mit neuen Fenstern will die JVA da Abhilfe schaffen. Warum aber überhaupt Essen nach draußen fliegt, kann sich Schmitt nicht erklären. Es sei von guter Qualität und schmecke, sagt er und spricht von „verschiedenen Motivlagen“, die die Häftlinge bei ihrem Verhalten hätten.

Strafrechtsanwalt Stefan Allgeier kennt die vom ehemaligen Häftling erhobenen Vorwürfe. Zu rund 30 Gefangenen in der JVA habe er Kontakt. „Sie fühlen sich drangsaliert“, berichtet Allgeier dem „MM“. Er erzählt beispielsweise von verhängten Sprechverboten beim Hofgang. Der Umgang mit den Gefangenen sei häufig unsensibel.

Kritik an medizinischer Abteilung der JVA Mannheim

Zudem sei Allgeier die Kritik an der medizinischen Abteilung bekannt. „Die Leute müssen lange auf einen Termin warten und werden nur rudimentär behandelt.“ Auch Besuche bei Fachärzten würden lange auf sich warten lassen. Das hat wohl auch der ehemalige Gefangene zu spüren bekommen. Nach einem Antrag „vergehen Monate, falls man nicht vergessen wird“, sagt er und ergänzt: „Geholfen wurde mir nie.“

Nach Schmitts Angaben arbeiten fünf Ärzte in der Anstalt, drei in Voll- und zwei in Teilzeit. Täglich gebe es Sprechstunden, zudem eine Krankenabteilung mit Betten, einen Ambulanzbereich und Telemedizin, sollte kein Arzt vor Ort sein. „Wir sind da sehr gut aufgestellt“, betont er.

Trotz Schmitts positiver Darstellungen scheint es dennoch Grund für Beschwerden zu geben. Die JVA leite diese aber nicht immer oder verspätet an die dafür vorgesehene Stelle weiter, betont Anwalt Allgeier. Bei Beschwerden werde auf „stumm gestellt“, berichtet auch der Ex-Häftling. Anstaltsleiter Schmitt erklärt, dass es für die Gefangenen mehrere Beschwerdemöglichkeiten gebe: „Sie können sich beispielsweise an das Justizministerium als Aufsichtsbehörde, die Strafvollzugsbeauftragten der Landtagsfraktionen oder den Anstaltsbeirat wenden.“

Ich hatte ein Handy, das ich billig bekommen habe, und ich war mit Drogen auch ganz gut versorgt.
Anonymer Ex-Häftling

Ein weiterer Strafrechtsanwalt, der zum Schutz seiner Mandanten anonym bleiben will, sagt, dass sich die negativen Meldungen über die JVA häufen würden. Die von dem ehemaligen Häftling angesprochenen Punkte seien ihm bekannt. Zudem würden die Bediensteten oft über Sachen hinwegsehen, etwa bei Gewalt- oder Betäubungsmittelvergehen. „So lange Ruhe ist, wird weggeschaut“, sagt der Anwalt.

Zuletzt war die JVA wegen eines im Dezember zwischenzeitlich geflüchteten Häftlings negativ aufgefallen. Mithilfe eines Mobiltelefons, das von einer mittlerweile suspendierten Mitarbeiterin eingeschmuggelt worden war, gelang dem Mann die Flucht. Die Frau hatte danach eingeräumt, dass es zwischen ihr und dem Häftling zu einer Annäherung gekommen war.

Schmitt spricht von einem Ausnahmefall. In seinen Augen lassen sich solche Fälle nicht verhindern. Es gebe überall schwarze Schafe, sagt er zu möglichen korrupten oder bestechlichen Beamten in seinen Reihen. Der JVA-Leiter verweist aber auf das Bewerbungsverfahren, „in dem körperliche Fähigkeiten überprüft und pädagogische und umfangreiche psychologische Testverfahren durchgeführt werden“.

„Also ich habe oft mitbekommen, dass was über Beamte geschmuggelt wird, aber die Preise sind enorm hoch“, erzählt der Ex-Häftling. Für ein iPhone 5 wären um die 2500 Euro fällig gewesen. „Ich hatte ein Handy, das ich billig bekommen habe, und ich war mit Drogen auch ganz gut versorgt“, berichtet er. Er selbst habe aber nichts über die Bediensteten bezogen. Zwei Mal habe er es zwar probiert, jedoch ohne Erfolg.

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Bei der Arbeit der Beamten gehe es in erster Linie um den Schutz der Allgemeinheit und die Resozialisierung der Gefangenen, sagt Schmitt. Diese sollen möglichst gewalt- und drogenfrei leben. Wie wohl sie sich aber in der JVA fühlen sollen oder dürfen, ließ der Anstaltsleiter offen. Bei dem ehemaligen Häftling scheinen die etwas mehr als zwei Jahre, die er wegen versuchten schweren Raubes abgesessen habe, tief zu sitzen. „Ich wurde so scheiße behandelt und ignoriert oder schikaniert, das werde ich denen niemals vergessen“, sagt er.

Redaktion

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