Soziales - Von Büro-Huhn mit Schlaganfall bis hin zu kreativer Beschäftigung für Menschen mit Beeinträchtigung – bei einem Mannheimer Unternehmen geht es rund / Lösungen gegen Fachkräftemangel

Japanische Seidenhühner mischen Mannheimer Pflegedienst auf

Von 
Lea Seethaler
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Der Stall des Büro-Huhns bleibt neuerdings leer – aus einem traurigen Grund. © Lea Seethaler

Mannheim. Wer pflegt hier eigentlich wen? Diese Frage drängt sich auf, wenn man das Gelände von „Pflege im Quadrat“ auf der Schönau betritt. Denn der Dienstleister für ambulante Pflege scheint nicht nur ganz gut im Kümmern um Menschen zu sein.

„Ich liebe Tiere über alles. Wir haben auch schon schon immer drei Bürohunde“, sagt Geschäftsführer Panajotis Neuert. Dann sei ihm vor einiger Zeit die Idee gekommen, einen Hühnerstall auf dem Gelände aufzubauen. Über Umwege kam er durch eine Bekannte an zwei Hühner, genauer: Japanische Seidenhühner. Die rettete er vor dem Schlachter, denn das eine Huhn hatte einen Schlaganfall erlitten. Dadurch war es nicht mehr für die Geflügelschau der Kleintierzüchter geeignet. „Als ich das gehört habe, musste ich sie einfach mitnehmen“, sagt Neuert. Und so begann alles. Erst pflegte er sie im eigenen Wohnzimmer, dann aber wurde im Büro von Geschäftsführer Fabian Klenk eigens für sie ein Stall eingerichtet.

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Benannt nach Star Désirée Nick

„Wir haben sie Desi genannt, wie Désirée Nick. Weil sie immer abseits der Gruppe war, eine richtige Eigenbrötlerin“, erzählt Neuert. Sie hätte die Menschen lieber als die anderen Hühner gemocht. Und diese hätten sie eh verstoßen, wegen ihrer Leiden. Doch Neuert hat nun traurige Nachrichten: Leider sei Desi an den Folgen des Schlaganfalls und einer zusätzlichen Infektion gestorben. Ihr Zustand habe sich verschlechtert, und sie musste eingeschläfert werden, erzählt er. „Es ist sehr schade. Sie hat hier so das Büro belebt, war so zutraulich und anhänglich. Jeder hat sie geliebt.“

Sie habe kurze Zeit fest zum Büro-Alltag gehört, hätte morgens vor dem Sofa auf dem Teppich gesessen und schon gewartet. Ein waschechtes Büro-Huhn sei sie gewesen.

Der Stall mit Desis Artgenossen draußen, nur ein paar Meter weiter, habe indes eine Eigendynamik entwickelt, erzählt Neuert. Kids aus der Nachbarschaft, Mitarbeitende, Kinder und Enkel der Belegschaft, Neugierige - alle habe es zu dem kleinen Ort gezogen. Die Nachbarn hätten zu ihm gesagt: ,Sag mal Joti, hast du jetzt ’nen Hahn? Hier kräht morgens was.’“ Neuert lacht: „Tatsächlich waren bei den Junghühnern, die dazu kamen, Hähne dabei“, sagt er und wischt sich eine Strähne aus der Stirn. „Jetzt müssen wir halt gucken, dass die nicht zu viel Nachwuchs zeugen“, sagt er und grinst.

„Den hab ich damals auf Ebay gekauft, Wahnsinn oder“, fügt er hinzu und blickt auf das schicke Ställchen mit Plane, das vor ihm steht. „Marina macht den Stall sauber und kümmert sich ganz hervorragend“, erklärt Neuert dann. Marina, das ist eine Frau, die Neuerts Team bei einem ambulanten Pflegeeinsatz kennengelernt hatte. Marina sei „zu klug für die Werkstatt, um dort Kugelschreiber zu schrauben“, aber käme eben in der normalen Arbeitswelt nicht zurecht, sagt der Mannheimer. Und hier will er ansetzen, beschreibt er. „Ich will den Menschen eine sinnvolle Beschäftigung geben, die zu ihnen passt.“ Marina freue sich „immer so, wenn sie hier ist, sie lächelt dann immer so viel“, sagt er. Und so füttert, pflegt und mistet Marina im Stall mit - ganz nach ihren Möglichkeiten. „Was von ihrer Motorik her geht, das macht sie“, sagt Neuert, der sein tierisches Angebot für Menschen mit körperlichen und oder geistigen Einschränkungen, die stundenweise bei seinem Dienst betreut werden, weiter ausbauen will.

„Kein Aktionär, aber Altenpfleger“

Nicht nur der Stall soll langfristig größer werden, alles soll wachsen, erklärt Neuert seine Vision für sein Unternehmen. Er zeigt auf ein riesiges Gelände nebenan. Das habe er erworben, erzählt er. Ein Restaurant und ein Schulungszentrum sollen dort entstehen. Unter anderem. „Es soll ein Zentrum im Kiez werden“, sagt er. „Hier entwickelt sich alles.“ Er plant auch noch „Wasserspiele zwischen den Gebäuden“ anzulegen und so einen „Mittelpunkt im Quartier“ zu haben. In seiner Gastronomie sollen dann ebenso Menschen mit Einschränkungen Beschäftigung erhalten, schwebt ihm vor. Ein Mittagstisch soll angeboten werden, „denn so was ist hier in der näheren Umgebung Mangelware“, sagt er.

„Ich bin kein Aktionär, kein Geschäftsmann, ich bin Altenpfleger“, so Neuert. „Ich habe den Beruf gelernt.“ Die Altenpflege sei so ein harter Job, „dass im Innenleben der Firma und für die Kollegen einfach alles perfekt sein muss“, findet er. Er erzählt, dass er bereits, als er mit 15 Jahren im Ida-Scipio-Heim als Altenpfleger anfing, „etwas Eigenes“ auf die Beine stellen wollte. „Diese ständigen Absprachen mit den Tausend Hierarchieebenen haben mich gestört, ich wollte immer gleich machen“, sagt er. Und so hatte er bereits mit 23 Jahren „Pflege im Quadrat“ gegründet. Heute ist er 35. Und macht seitdem. Und wie. Mittlerweile beschäftigt er 286 Mitarbeitende. Geschäftsmann ist er also auf jeden Fall - das merkt man auch, wenn er ausführlich seine anstehenden und getätigten Investitionen erklärt.

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In der Krise hörte man indes stets von kriselnder Pflegebranche und Fachkräftemangel. Ist man bei Neuert, wirkt alles anders. Vor allem mit Blick auf seine stetige Expansion. Daher drängt sich eine kurze Nachfrage dazu auf: „Wir sind ein ambulanter Pflegedienst, kein Heim“, betont Neuert. Er erzählt, er tue viel, um für seine Belegschaft und potenzielle Fachkräfte als Arbeitgeber attraktiv zu sein. „Das Wohnmobil da unten habe ich angeschafft, damit die Mitarbeiter abwechselnd damit in den Urlaub fahren können“, sagt er und zeigt aus dem Fenster auf den Parkplatz.

Esel gewünscht

Er könne im Notfall - wie jetzt in einer Krise - viel mobilisieren, weil eben Personal da sei. „Bei mir arbeitet zum Beispiel eine OP-Schwester in der Verwaltung, die kann zur Not einspringen. Wir packen alle mit an. Auch ich“, sagt er. Natürlich sei es manchmal schwer gewesen in der Krise. Man habe Leistungen zurückfahren müssen, habe zum Beispiel nicht mehr bei Menschen hauswirtschaftliche Dienste wie Hausputz geleistet. Sondern nur noch medizinische und pflegerische Tätigkeiten, „das Wichtigste“, gemacht. Zur Sicherheit. Leute hätten zudem massiv gebuchte Leistungen abgesagt, da sie im Homeoffice selbst etwa die Pflege von Angehörigen übernahmen.

„Gottseidank sind wir unter den Rettungsschirm gekommen“, so Neuert. „Wir haben zudem auch alles erstattet bekommen, von Handschuhen bis Masken“, betont er weiter. Er fühlte sich in diesen harten Zeiten gut unterstützt. Unterstützung soll auch weiter das Credo von „Pflege in Quadrat“ sein. So kreativ wie bisher.

„Ich hätte gern noch einen Esel“, sagt Neuert. „Aber ich habe mit dem Tierschutz gesprochen, und der bräuchte auf jeden Fall einen größeren Auslauf“, erklärt er und zeigt auf einen geeigneten Grünstreifen vor ihm. Doch mal sehen, ob er beim nächsten Besuch des „MM“ die Mannheimer Stadtmusikanten perfekt machen kann. Die Tatkraft dafür hat er, das spürt man im Gespräch.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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