Mannheim

In Mannheim-Seckenheim gibt es Streit um Kolonialverbrecher Seitz

In Seckenheim erinnert eine Gedenktafel an Theodor Seitz, Gouverneur der damaligen deutschen Kolonien Kamerun und Deutsch-Südwest. Was soll mit ihr geschehen? Darüber diskutierten jetzt Experten und Bürger.

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Konstantin Groß
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Geburtshaus von Theodor Seitz in Seckenheim an der Brückenauffahrt nach Ilvesheim. An der linken Seite des Eckhauses: die Gedenktafel. © Konstantin Groß

Mannheim. „Da kommen doch einige“, schmunzelt Ulrich Nieß. Doch der Marchivum-Chef stapelt tief. Tatsächlich strömen die Interessierten an jenem Abend in den Gemeindesaal St. Clara in Seckenheim. Wilhelm Stamm, der Vorsitzende des Historischen Vereins, muss mit seinen Helfern immer mehr Stühle herbeikarren. Am Ende sind es weit mehr als 100.

Und das alles wegen einer kleinen Bronzetafel, etwa so groß wie ein DIN-A4-Blatt, an einem Privathaus mit der Adresse Hauptstraße 30, direkt an der Brücke nach Ilvesheim. Gewidmet ist sie Theodor Seitz, in diesem Haus 1863 geboren und 1949 gestorben. In dem langen Leben dazwischen liegt seine Amtszeit als Gouverneur der Kolonien Kamerun und Deutsch-Südwest, als Spitzenvertreter kolonialer Unterdrückung, die - unter Historikern heute unstrittig - als verbrecherisch gelten muss.

Schon bei Einweihung Fake

So klein diese Tafel, so ist sie doch Teil der großen Diskussion über unser koloniales Erbe. Vor drei Jahren bittet der örtliche Bezirksbeirat das Marchivum um eine fachliche Einschätzung. Diese liegt nun vor. Und sie ist völlig eindeutig: „Wir empfehlen, die Tafel abzuhängen.“ Vor der endgültigen Entscheidung des Stadtteilgremiums liegt diese öffentliche Veranstaltung - zur Information und zur Diskussion, wie Bezirksbeirätin Evi Korta-Petry betont. Um es vorwegzunehmen: Das gelingt.

Worte des Mannes, dem die Gedenktafel gewidmet ist

  • Über das Auspeitschen: „Ganz kann von dieser Strafart nicht abgesehen werden . . . Ich bitte Eure Durchlaucht, sich mit der Anwendung der Körperstrafe in Ausnahmefällen auch gegen gebildete Farbige einverstanden zu erklären“ (1896 im Brief an Reichskanzler Hohenlohe-Schillingsfürst, der dies jedoch ablehnt).
  • Rassentrennung: Seitz fordert, dass weiße Männer mit schwarzen Frauen keine Kinder zeugen, und „dass die weißen Väter eine Geldbuße von 1000 Mark bezahlen sollen, die nicht der Mutter bzw. dem Kind zugute kämen, sondern dem Staat“ (1911 Eingabe an die Reichsregierung, die abgelehnt wird).
  • Über die Menschen in Afrika: „. . . dass der afrikanische Neger nur durch fremden Einfluss aus seinem aus Lethargie und Barbarei gemischten Zustand emporzureißen ist“ (1929 in Band III seiner Memoiren).
  • Zur verbrecherischen NS-Ideologie „Lebensraum im Osten“: „Auch wir fühlen wie Adolf Hitler die brennende Wunde im Osten des Reichs und sind der Ansicht, dass die Hauptaufgabe der Kampf gegen den Ansturm des Slawentums im Osten ist . . . Wir verlangen wie er deutsche Siedlung an der Ostgrenze mit allen Mitteln “ (1931 in einem Aufsatz in der Deutschen Kolonialzeitung)

Es ist an Wilhelm Stamm zu erläutern, wie es zu dieser Tafel kommt. Es ist 1962, der Vorort feiert, seltsam genug, „500 Jahre Schlacht bei Seckenheim“ mit einem dreitägigen Fest. Am Samstag, 30. Juni 1962, 17.30 Uhr, wird am Geburts- und Sterbehaus von Seitz die von der Stadt finanzierte Gedenktafel angebracht.

Oberbürgermeister Hans Reschke weiht sie ein, laut Programmheft spricht der Botschafter der kurz zuvor unabhängig gewordenen Republik Kamerun. Angeblich. Denn das Foto vom damaligen Redner zeigt einen ausgesprochen jungen Mann. Heute vermutet man, dass es nicht der Botschafter ist, sondern ein aus Kamerun stammender Student in Heidelberg. Eine der vielen früheren Fake News um Seitz.

Repräsentant der Unterdrückung

Am Tag darauf der Festzug. „Als 13-Jähriger bin ich mitgelaufen“, erinnert sich Stamm. Einer der Wagen ist Seitz gewidmet. Ein Statist stellt ihn in Tropenuniform dar, zu seinen Füßen zwei „Ureinwohner“. Text am Wagen: „Der Gouverneur Seitz befreit einen Sklaven“ - Gipfel des Zynismus, wenn man das wahre Wirken des Gouverneurs kennt, das der Marchivum-Chef erläutert.

Theodor Seitz (1863-1949), wie er sich selbst wohl sah. © Universität Frankfurt

Gleich zu Beginn macht Nieß klar: „Es geht hier nicht um Seitz als Seckenheimer Bub, sondern als Teil der Geschichte des Kolonialismus“. Und die besteht aus Raub von Land und Kulturgütern, entweder gewaltsam oder durch betrügerische Verträge, blutigen Feldzügen, die ganze Landstriche verwüsten und denen Tausende von Menschenleben zum Opfer fallen; der Maji-Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika 1905 bis 1907 etwa fordert 75 000 bis 300 000 Tote. Bei Seitz selbst kommt ein extremer Rassismus hinzu, etwa seine Forderung nach Zwangssterilisationen.

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Damals Recht, heute Unrecht

Die Anwesenden reagieren gemischt: „Das ist mir zu viel Dämonisierung und zu wenig Relativierung“, formuliert ein Mann. Und ein anderer attestiert: „Die ganze Welt hat so gedacht“, sagt er: „Ich finde es schwierig, einen Menschen, der 1863 geboren ist, nach heutigen Maßstäben zu beurteilen.“ Ein anderer verweist gar auf die „Scheiterhaufen des Mittelalters“, die damals „ja auch üblich gewesen sind“.

Da hält es Manfred Falkenberg kaum auf seinem Stuhl: „Das erinnert mich an den Satz ’Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein’“, zitiert der Altstadtrat den Ex-Ministerpräsidenten Filbinger, der so 1978 die von ihm als Nazi-Richter gefällten Todesurteile rechtfertigt. Falkenberg sieht im Tun von Seitz einen Verstoß gegen ewig gültige Werte: „Es war immer Unrecht. Und es war schon damals Unrecht.“ Das Argument, die Tafel sei neutral, nicht würdigend formuliert, lässt er nicht gelten: „Es ist eine Ehrentafel, sonst würde sie da nicht hängen.“

„Ich bin überrascht, dass dies hier so viel relativiert ist“, erhält er Unterstützung von einer Dame: „Unsere erste Reaktion sollte doch sein, dass dies alles ganz schrecklich ist und wir uns dafür entschuldigen müssen.“

Zusatzbeschilderung als Lösung?

Manche vertreten eine Zwischenposition: Die Tafel belassen, aber mit einer Ergänzung versehen, möglicherweise mit einem QR-Code. Abgesehen davon, ob der private Eigentümer mit einer Zusatztafel einverstanden ist, sieht Nieß dies kritisch: „Es bleibt auch dann eine Ehrung“, sagt er: „In dem Moment, indem ich sie hängen lasse, bekenne ich mich zu Seitz.“ Dennoch ist er mit dem Abend zufrieden: „Ich sehe einen Konsens, dass die Tafel nicht so bleiben kann, wie sie jetzt ist.“

Jochen Güniker, für die CDU einst im Bezirksbeirat, erinnert sich, dass sein Gremium die Umgehungsstraße nach Seitz benennen wollte. Die Stadt habe dies abgelehnt, da es bereits eine Gustav-Seitz-Straße gibt: „Heute bin ich froh darüber.“

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