Mannheim. Auf die (noch laufende) Pandemie folgt die Ukraine-Krise mit all ihren Auswirkungen – und den Druck, sich in der globalisierten, vernetzten Social-Media-Welt mit Heile-Welt-Bildern oder Erfolgsmeldungen auf beruflichen Online-Netzwerken ständig profilieren und beweisen zu müssen, den gibt es auch noch. Besonders für junge Menschen im Studium kann das zur Belastung werden. Hinzu kommen der Auszug aus dem Elternhaus in Zeiten von Kontaktbeschränkungen oder die ersten Semester ohne Studentenleben. Und das erste selbst verdiente Geld, das reicht bei Inflationspreisen auf Rekordniveau sowieso kaum aus.
„Umfragen und Studien zeigen, dass die Generation Z, also junge Menschen und Studentinnen und Studenten, verglichen mit anderen Bevölkerungsgruppen psychisch am stärksten belastet sind“, sagt Unternehmer Tim Kleber. Der Chef des Mannheimer Start-ups Mentalport entwickelt eine App, die Menschen mit psychischen Problemen helfen soll. Angststörungen, Depressionen, Burn-out – die Krankheitsbilder seien ganzheitlich, sagt Kleber. „80 Prozent der Studentinnen und Studenten, die sagen, sie möchten psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, haben eine Problemschwere, die aber nicht so groß ist, dass man sie klinisch therapiert.“ Sie fallen durch das klassische Behandlungsraster. An diese Menschen wolle sich das Start-up mit der App richten, die im Winter auf den Markt kommen soll.
Stigmatisierung vermeiden
Die Belastung junger Menschen habe „enorm zugenommen“, sagt Kleber. „In der Entwicklung ist das Studium der erste Zeitpunkt, an dem Menschen selbstständig sind.“ Im Zuge der Pandemie seien Strukturen weggebrochen, die anderen Generationen noch geholfen hätten: neue Kontakte, Partys, der Besuch von Vorlesungssälen, verbunden mit dem Austausch mit Dozentinnen, Dozenten und Gleichaltrigen. Die Hochschule Mannheim und die Duale Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim hatten im Februar auf Anfrage hin mitgeteilt, dass Studentinnen und Studenten in der Pandemie mehr Beratungsbedarf hätten. „Die psychische Belastung aufgrund gefühlter sozialer Isolation und der Lehrsituation“ sei „deutlich gestiegen“, hieß es damals etwa von der Hochschule.
Die Behandlung durch Mentalport soll unter Wahrung der Anonymität erfolgen. „Die Stigmatisierung und die Angst, dass andere es mitbekommen, sind Hauptgründe, weshalb junge Menschen psychologische Hilfe nicht wahrnehmen“, erklärt Kleber. „Das ist ein tiefgreifendes gesellschaftliches Problem.“ Der Wirtschaftspsychologe beobachte oft, dass gerade ältere Generationen Probleme von jüngeren Menschen unterschätzen. „Unser Studium war auch stressig. Dann sind wir mit Freunden und einem Kasten Bier in den Park gegangen und haben uns geholfen“, bekämen jüngere Menschen häufig zu hören, erläutert Kleber. Die Stigmatisierung sei allgegenwärtig, was auch der Umgang mit psychischen Problemen im Profisport zeige.
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Individualisiert dank KI
17 Männer und Frauen arbeiten an der Entwicklung der App. „Mehr als die Hälfte sind Psychologen, viele mit großer Praxiserfahrung“, erklärt der 24-jährige Wirtschaftspsychologe, der während seiner Studienzeitunter psychischen Problemen litt.
Mentalport, das soll „in der Hosentasche ein digitaler Assistent für mentale Gesundheit“ sein. Zusammen mit seinem Team will Kleber Nutzerinnen und Nutzern beim Aufbau einer Alltagsstruktur unterstützen, um so Hilfe zu leisten. „Wir wissen, dass ein geordneter Alltag die Grundlage für mentale Gesundheit ist.“ Das dreistufige Hilfemodul basiert vor allem auf Künstlicher Intelligenz. In einer ersten Stufe könne man so Übungen zur psychologischen Selbsthilfe, so erklärt es Kleber, vollständig auf Nutzer und Nutzerinnen zuschneiden. „Wir sind das erste Angebot, das das ermöglicht“, sagt der App-Entwickler aus Mannheim.
„Die Angebote, die es schon gibt, sind teilweise genauso wissenschaftlich basiert wie das, was wir machen – werden aber nicht so individualisiert auf Bedürfnisse zugeschnitten.“ In einer zweiten, dann kostenpflichtigen Stufe können Hilfesuchende mit künstlich intelligenten Bots chatten, die von „fundiert-ausgebildeten“ Psychologinnen und Psychologen entwickelt werden. Die dritte Stufe der psychologischen Hilfe bietet persönliche Gespräche mit den Psychologen selbst an. „Die virtuellen Räume, in denen die Gespräche stattfinden, können mit einem Avatar betreten werden, damit die Anonymität gewahrt bleibt.“ Auch durch regelmäßige Abfragen werde die mentale Gesundheit der Nutzerinnen und Nutzer überwacht. „Wenn eine klinische Relevanz vorliegt, vermitteln wir an ein Therapeutennetzwerk, mit dem wir zusammenarbeiten“, erklärt Kleber.
Für alle Altersgruppen offen
Kann eine anonyme digitale Behandlung die gleichen Erfolge erzielen wie ein Gespräch in einer Praxis? „Ganz klar, ja“, sagt Kleber, der sich auf „viele Studien“ beruft, „die das nachgewiesen“ hätten. „Studien zeigen, dass sich Online- und Präsenzgespräche mit Blick auf deren Wirkung nicht unterscheiden.“ Neben der Wahrung der Anonymität würden weitere Hürden fallen, etwa der Gang in eine Praxis oder das konfrontative Eins-zu-eins-Gespräch, erklärt der Wirtschaftspsychologe.
Dass Mentalport das Angebot an junge Menschen richtet, bedeute indes nicht, dass andere ausgeschlossen seien. „Das Angebot kann auf alle Altersgruppen angewandt werden“, verspricht Kleber.
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