Mannheim. Ein Bürgermeister, der tatsächlich „Meister der Bürger“ gewesen sei – so hat man ihn bei seinem Tod gewürdigt: Hermann Heimerich. Vor 75 Jahren, am 31. Juli 1949, wird der Sozialdemokrat zu Mannheims Oberbürgermeister gewählt. Man kann auch sagen: erneut gewählt. 1933 hatten ihn die Nationalsozialisten nämlich aus dem Amt gejagt. Doch vier Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wollten ihn die Mannheimer wieder.
1945 liegt die Stadt in Trümmern. Mannheim ist eine der am meisten zerstörten Städte in Süddeutschland, lediglich 17 Prozent aller Wohnungen sind unversehrt geblieben, 51 Prozent ganz zerstört, der Rest beschädigt. Auch noch vier Jahre nach Kriegsende leben von den 237 000 Einwohnern rund 9 900 in Bunkern, Kellern oder Notunterkünften. Bei der Säuglingssterblichkeit liegt Mannheim nach Unterlagen aus dem Marchivum an der Spitze der deutschen Städte, bei Tuberkuloseerkrankungen auf Platz zwei.
Kurz nach ihrem Einmarsch ernennen die amerikanischen Besatzungssoldaten am 31. März 1945 Josef Braun (CDU) zum kommissarischen Oberbürgermeister. Am 10. Juli 1946 wird er gewählt – aber damals noch vom Gemeinderat, nicht von den Bürgern direkt. Nach gut zweieinhalb Jahren, bei der ersten Volkswahl am 1. Februar 1948, setzt sich Sozialdemokrat Fritz Cahn-Garnier mit 56,6 Prozent der Stimmen gegen Josef Braun durch. Aber nach einem Herzanfall stirbt Cahn-Garnier überraschend am 8. Juni 1949.
Von den Nazis abgesetzt und in „Schutzhaft“ genommen
Schon 1948 hatte es die Überlegung gegeben, dass Heimerich wieder für die SPD antritt. Er wird 1885 in Würzburg als Sohn eines Justizbeamten geboren, studiert in München, Genf und Würzburg Rechtswissenschaft und engagiert sich bei den Freireligiösen sowie der SPD. Nach Tätigkeit als Stadtrat in Nürnberg und Bürgermeister in Kiel kommt er nach Mannheim. Hier wird er 1928 erster sozialdemokratischer Oberbürgermeister und will Mannheim zur „Stadt der Arbeit und der Kunst“ machen. Aber am 10. März 1933 stürmen Nazi-Horden sein Amtszimmer im Alten Kaufhaus, setzen ihn ab, demütigen ihn und nehmen ihn für eine Nacht in „Schutzhaft“. Er flüchtet, schlägt sich bis Kriegsende in Berlin als Wirtschaftsanwalt durch.
Die Mannheimer Genossen mögen ihn nicht. „Salon-Sozialdemokrat“ ist noch eine freundliche Etikettierung für den gebildeten, feinsinnigen Mann, der 1930 Mannheims ersten Rotary Club gründet, der in seiner Amtszeit das „Palasthotel“ hat bauen lassen und im Bauhaus-Stil eine OB-Amtsvilla am Oberen Luisenpark 31. Das hat ihm die Nazipropaganda vorgeworfen, doch es ist auch in den eigenen Reihen keineswegs vergessen.
Aber nach Cahn-Garniers Tod drängt plötzlich der politische Gegner, Heimerich die geschundene Stadt anzuvertrauen. CDU-Vorsitzender August Kuhn prescht vor und schlägt der SPD den Sozialdemokraten als gemeinsamen Kandidaten vor. Dafür plädiert auch der damalige „MM“-Herausgeber Eitel Friedrich Freiherr von Schilling. Die liberale DVP schließt sich an, und die SPD sieht sich in Zugzwang. „Es war eine Entscheidung der Vernunft, aber irgendwie hat das Herz dabei gefehlt“, schreibt dazu in seinen Erinnerungen Ludwig Ratzel, damals stellvertretender SPD-Kreisvorsitzender und 1972 bis 1980 selbst OB.
Die Wahlbeteiligung an dem heißen Sommertag ist niedrig, sie beträgt lediglich 49,5 Prozent. Aber davon stimmt mit 65,3 Prozent die große Mehrheit der Mannheimer für Heimerich; der Kommunist Erwin Eckert erhält 34,7 Prozent.
Heimerich verspricht, Mannheim solle „nicht nur als Stadt der Arbeit neu erstehen, wir kämpfen zugleich um seine geistige Wiedergeburt“, wie er selbst formuliert. So legt er nicht nur großen Wert auf den Wiederaufbau von Wohnungen und Infrastruktur wie Brücken und Großkraftwerk, sondern er stellt auch die Weichen für den Neubau des Nationaltheaters auf dem Goetheplatz und gründet die Filmwoche (heute Filmfestival). Er baut zudem die Verwaltung komplett um, um die Verantwortung klarer zu verteilen. Er streicht ferner Stellen, wertet indes das Rechnungsprüfungsamt auf.
Hermann Heimerich beklagt die Randlage Mannheims in Baden-Württemberg
Wichtig sind ihm der Gedanke einer „sozialen Stadtgestaltung“ und die Bedeutung der Stadtteile. „Es wohnt die Hälfte der Mannheimer Bevölkerung in den Vororten“, und es sei sein „wesentliches Ziel“, deren Eigenständigkeit und Selbstständigkeit zu bewahren. Er spricht sich daher gegen reine Wohnstädte aus, sondern plädiert dafür, in den Vororten neben den Gemeindesekretariaten (heute Bürgerdienst) eigene Gemeindezentren und Kultureinrichtungen sowie Zweigstellen der Stadtbücherei zu errichten. Sein zweites Lieblingsthema ist die Entwicklung der Innenstadt. Er will die Quadrate weitgehend vom Verkehr freihalten, dafür mehrere Parkhäuser am Ring für jeweils 600 Autos bauen. Dazu wird etwa die Ruine des früheren Realgymnasiums am Ring, wo heute das Dorint-Hotel steht, abgerissen – das Parkhaus aber dann doch nicht realisiert.
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Sehr vehement kämpft Heimerich für etwas, was viele Jahrzehnte später mit der Gründung der Metropolregion nur ansatzweise gelingt. Der Oberbürgermeister beklagt die Randlage Mannheims in Baden-Württemberg und fordert die Wiederherstellung der alten Kurpfalz als Bundesland ohne den Rhein als trennende Grenze. Dabei beruft er sich darauf, dass das Grundgesetz ja eine Neugliederung des Bundesgebiets vorsieht. Immerhin gelingt es ihm, dass 1951 die Kommunale Arbeitsgemeinschaft Rhein-Neckar gegründet wird, eine Art Vorläufer der späteren Initiative Rhein-Neckar-Dreieck. Alles andere erweist sich als nicht durchsetzbare Utopie.
Vehement für Bundesbehörden in Mannheim gekämpft
Etwas mehr Erfolg hat er bei seinem Kampf, dass in Mannheim Zentralbehörden angesiedelt werden – wenigstens das Landesarbeitsgericht kommt und der Badische Sparkassen- und Giroverband. Um das Bundesarbeitsgericht oder den Bundesrechnungshof bemüht Heimerich sich indes vergeblich.
Als er im Sommer 1955 nach der damals sechsjährigen Amtszeit auf eine weitere Kandidatur verzichtet, begründet er dies mit seinem Alter von 69 Jahren. Da ist die Einwohnerzahl auf 282 000 gestiegen, und in der Innenstadt sind nur noch zwei Quadrate unbebaut. Zum Ehrenbürger und Professor ernannt, verabschiedet er sich am 28. Juli 1955 in der Aula der Wirtschaftshochschule.
Ab und zu hält er noch Vorträge, aber so richtig kann er sich mit dem Leben eines Ruheständlers („Der Pensionist ist ein Niemand“) nicht anfreunden. Am 5. Januar 1963 stirbt er im Sanatorium „Speyerer Hof“. „Er war unbequem für seinen Stadtrat und unbequem für die Landesregierung, aber er machte aus seiner Stadt etwas“, heißt es im Nachruf im „MM“. Begraben liegt er im Hauptfriedhof in einem Ehrengrab. Das Hermann-Heimerich-Ufer am Neckar und das Studentenwohnheim in N 7 tragen seinen Namen, zudem die „Hermann-Heimerich-Plakette“ des Raumordnungsverbands für Verdienste um die regionale Kooperation, die er so vehement forderte.
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