Mannheim. „Ein anfeuernder Impuls“ soll von diesem Tag ausgehen. So erhofft es sich Hermann Luppe. Der Oberbürgermeister von Nürnberg ist an diesem 25. Juli 1924 eigens nach Mannheim gekommen, als Vorstandsmitglied vom Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Denn diese Vereinigung, die sich als Schutztruppe der Weimarer Republik versteht, ist vor 100 Jahren in Mannheim gegründet worden und feiert das mit einer Bannerweihe.
„Reichsbanner“ – wer mit dem Begriff und der Geschichte nicht vertraut ist, mag da erst mal an „Reichsbürger“ und andere Rechte denken. Doch das Gegenteil ist der Fall. Gewalt und Terror von Rechtsradikalen und faschistischen Gruppen ebenso wie von Monarchisten und Linksradikalen sind der Auslöser für die Gründung in einer aufgeheizten Zeit der damals jungen Republik.
Im Gründungsaufruf heißt es: „Deutschland darf nicht untergehen“
„Maulwürfe unterwühlen den Bestand der deutschen Republik“, warnt der SPD-Politiker Paul Löbe (nach dem heute ein Gebäude des Deutschen Bundestags benannt ist) 1924. Viele Sozialdemokraten wie er, aber ebenso ehemalige Frontsoldaten des Ersten Weltkriegs, Vertreter der katholischen Zentrumspartei sowie der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) heben am 22. Februar 1924 in Magdeburg das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold aus der Taufe.
„Deutschland darf nicht untergehen“, heißt es im Gründungsaufruf. Man wolle „mit allen Mitteln der Aufklärung und Werbung für den republikanischen Gedanken“ eintreten und „die Gegner der Republik niederkämpfen mit denselben Mitteln, mit denen sie die Republik angreifen“, so der Aufruf.
Diese martialisch klingenden Worte liegen daran, dass es damals immer wieder zu Zusammenstößen auf der Straße zwischen Anhängern der verschiedenen politischen Richtungen kommt, manchmal auch zu Scharmützeln oder gar Saalschlachten bei Veranstaltungen. Da tritt besonders die Sturmabteilung (SA) der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) immer wieder negativ in Erscheinung, aber auch der Stoßtrupp der Kommunisten, der „Rote Frontkämpferbund“.
Fahnenweihe im Rosengarten mit Arbeiterchören
Das Reichsbanner versteht sich zwar nicht als Kampftruppe, betreibt aber Kampfsport und Schießtraining, tritt mit Fackelzügen und Fahnen sowie uniformiert und mit militärischem Habitus sowie Musikzug auf. Bei Veranstaltungen der Gewerkschaften und demokratischen Parteien leisten Mitglieder Saalschutz. Schnell steigt die Mitgliederzahl auf etwa 1,5 Millionen, darunter auch der spätere Bundespräsident Theodor Heuss.
In Mannheim gründet sich bereits im Mai 1924 eine Ortsgruppe, die dann laut Unterlagen aus dem Marchivum mit der Fahnenweihe zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung tritt. „Die Reichsfarben sind die Volksfarben“, heißt eine Losung zur Abgrenzung gegen das aus der Kaiserzeit stammende Schwarz-Weiß-Rot. „Zu Tausenden“ seien die Gäste dazu in den Nibelungensaal des Rosengartens geströmt, steht dazu am nächsten Tag in der „Neuen Badischen Landes-Zeitung“. Sie schildert „Träger aller Berufsschichten, Männer und Frauen und die begeistert vorwärtsdrängende Jugend, die ordnend und hilfsbereit in dieser Menschenmenge“ wirke. Einige seien „aus Karlsruhe, Pforzheim und Friedrichfeld“ herbeigeeilt (Friedrichsfeld wird erst 1930 eingemeindet), und der Chor der Arbeitersängerbünde singt dazu, ehe das Publikum „aus Hunderten von Kehlen“ ausrufe: „Wir sind der Sturm!“
Und stürmisch ist es in jenen Jahren. Immer wieder ist von Zusammenstößen die Rede, wobei das Reichsbanner mal angegriffen wird, mal aber auch selbst losschlägt. Zu lesen ist von Fahrten von „Propagandawagen“ des Reichsbanners, von Auseinandersetzungen mit Lattenstücken, Gummiknüppeln, Ketten und Totschlägern.
Mannheim gilt als der badische Hauptort des Reichsbanners – mit bis zu 2400 Mitgliedern, zumeist aus den Reihen der Sozialdemokraten und Gewerkschaften unter Vorsitz von Ernst Roth, Redakteur der „Volksstimme“. Schon wenige Monate nach Gründung, am 27./28. September 1924, erlebt Mannheim ein veritables Großereignis: „Republikanische Tage für Südwestdeutschland“ in allen Räumen des Rosengartens, mit abendlichem Fackelzug zum Marktplatz, Zapfenstreich mit 400 Spielleuten bei der beleuchteten Fontäne am Friedrichplatz sowie Festzug am Morgen durch die Augustaanlage – mit 20 000 Teilnehmern!
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Der Höhepunkt: Im Unteren Luisenpark errichten die Mitglieder vom Reichsbanner ein Denkmal zur Erinnerung an Ludwig Frank. Der am 3. September 1914 gefallene jüdische Reichstagsabgeordnete aus Mannheim gilt als großer Hoffnungsträger der SPD. „Einer muss die Fundamente gesehen haben, die Fundamente des neuen Staates“, lautet die Inschrift, vor der sich eine Ehrenwache formiert. Darüber fliegen „drei Huldigungsflieger“.
Aber bereits 1925 schänden Mitglieder der NSDAP-Ortsgruppe das Denkmal – denn die Gewalt in der politischen Auseinandersetzung nimmt zu. Bei den Reichstagswahlen und den Kommunalwahlen 1930 erzielt die NSDAP 13,5 und 16,9 Prozent der Stimmen. Nun beginnt die Phase des Endkampfs um die Republik, der nicht allein mit Argumenten ausgetragen wird.
Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung
Das Reichsbanner und die braunen Horden der SA der NSDAP liefern sich Straßenschlachten. Noch im Januar 1933 veranstaltet die „Eiserne Front“, ein Zusammenschluss von SPD, Gewerkschaften und Reichsbanner, Umzüge durch Mannheim – aber es ist zu spät: Die am 28. und 29. Januar stattfindende Generalversammlung des Gaues Baden ist die letzte. Die Nationalsozialisten kommen an die Macht, politische Gegner werden eingeschüchtert oder in „Schutzhaft“ genommen, das Reichsbanner verboten und das Denkmal für Ludwig Frank von den Nazis noch 1933 zerstört.
1953 gibt es zwar eine Wiedergründung als „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold – Bund aktiver Demokraten“. Aktiv in der politisch-historischen Bildungs- und Erinnerungsarbeit ist er aber nur in Nord- und Ostdeutschland, nicht im Südwesten oder in Mannheim.
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