Gesundheit

Große Vielfalt bei Selbsthilfegruppen in Mannheim

Ob Sucht, Angststörung oder Zöliakie: Selbsthilfegruppen bieten Betroffenen Hilfe und einen Raum für Austausch. In Mannheim gibt es zahlreiche Angebote. Welche das sind

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Waltraud Kirsch-Mayer
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Beim Selbsthilfetag in den Räumen der Abendakademie stellten sich die unterschiedlichsten Gruppen vor, in denen Menschen von den Erfahrungen anderer mit Krankheiten profitieren können. © Thomas Tröster

Mannheim. „Hier fühle ich mich verstanden!“ So oder ähnlich äußern sich Menschen, wenn sie gefragt werden, warum sie sich einer Selbsthilfegruppe anschließen. Ob eine körperliche Krankheit oder ein seelisches Leiden tief ins Alltagsleben eingreift - Betroffene wissen ohne wortreiche Erläuterungen, was andere mit gleichem Schicksal bewegt, umtreibt, ängstigt, wütend macht, manchmal auch verstummen lässt. Darin liegt die große Stärke der Selbsthilfebewegung - in Mannheim unter dem Dach des Gesundheitstreffpunkts.

Selbsthilfegruppen in Mannheim: "Wer anderen hilft, hilft auch sich"

Das Potenzial des sprichwörtlichen Prinzips „Wer anderen hilft, hilft auch sich“ musste freilich erst entdeckt und als besonderer Schatz gehoben werden. Als Mitte der 1970er die Lehrerin Ursula Schmidt mit Hilfe des „MM“ nach anderen „Brustamputierten“ (wie es damals hieß) suchte und schon bald in Mannheim die Gruppe „Frauen nach Brustkrebs“ gründete, entstanden innerhalb weniger Jahre bundesweit knapp 100 Anlaufstellen.

Dort trafen sich Patientinnen, die sich ebenfalls mit dem Schock einer Tumordiagnose und den Folgen einer (seinerzeit üblichen) Radikaloperation samt massiver Bestrahlung allein gelassen fühlten und gegenseitige Unterstützung suchten - vor allem menschlich. Auch in anderen Medizinbereichen sollten Betroffenen-Initiativen folgen.

Von Angststörungen bis Zöliakie: Viele Selbsthilfegruppen in Mannheim

Den stürmischen Siegeszug der Selbsthilfe verfolgte der professionelle Medizinbetrieb zunächst mit Argwohn. Doch längst haben Ärzte und Ärztinnen sowohl in Praxen wie Kliniken erkannt, dass organisierte Selbsthilfe sozusagen heilsam Therapien zu ergänzen vermag - weil es nun mal um mehr als ein funktionsuntüchtiges oder chirurgisch entferntes Organ geht.

Inzwischen hat sich die Bewegung für Angebote jenseits klassischer Krankheitsbilder geöffnet. Dies spiegelt auch der 1981 in Mannheim gegründete Gesundheitstreffpunkt wider, der Gruppen von A wie Angststörungen bis Z wie Zöliakie vielfältig unterstützt.

Sozialpädagogin Bärbel Handlos, seit drei Jahrzehnten dabei, erzählt, dass in den letzten 15 Jahren verstärkt Initiativen aus neuen Themenfeldern dazu gekommen sind. Wer das aktuelle Faltblatt studiert, das in Mannheim und der Region aktive Selbsthilfegruppen auflistet, findet auch Angebote für Menschen, die im Bekanntenkreis oder Job nur ungern über das sprechen, was sie bewegt beziehungsweise belastet. Beispielsweise verlassene Eltern, die darunter leiden, dass zu ihren (erwachsenen) Kinder der Kontakt abgebrochen ist. Oder Männer, die das Bedürfnis haben, Damenunterwäsche zu tragen.

Selbsthilfetag informiert in Mannheim über Selbsthilfegruppen

Auch wenn Vertraulichkeit in den Gruppen äußerst wichtig ist, so nimmt die Bereitschaft zu, sich in die Öffentlichkeit zu wagen, um Vorurteile abzubauen. „Mutig in die Zukunft“ - mit diesem Motto blühte die Selbsthilfe während der Bundesgartenschau auf. An Donnerstagen berichteten Frauen und Männer unterschiedlicher Gruppen im Spinelli- Erzählcafé über ihre persönliche Geschichte und was für sie das Leben mit einer Erkrankung oder Behinderung bedeutet. Beim Rückblick auf das ambitionierte Buga-Projekt mit über 100 Beteiligten kommt Bärbel Handlos geradezu ins Schwärmen: „Die Ehrlichkeit und Offenheit, die Fähigkeit zur Reflexion und das Engagement trotz schwerster Probleme haben mich begeistert.“

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Gelegenheit, sich über die Vielfältigkeit der Gruppen zu informieren, bot dieser Tage der fünfte Selbsthilfetag - diesmal in den Räumen der Abendakademie. An den Infoständen zeigte sich ein Generationswechsel - verknüpft mit neuen Initiativen. Anna hat beispielsweise das „(K)ein Burn out Café“ gegründet. Die IT-Spezialistin und Mutter weiß aus eigener Erfahrung, dass man Überforderung oft nicht wahrhaben möchte, es nicht schafft, Grenzen zu ziehen, auch mal Nein zu sagen - „und dann kommt der Zusammenbruch“. Das Café besuchen vor allem solche Betroffene, die nach der Klinik erneut in ein Loch fallen. Weil es dann gilt, ohne Begleitteam den Alltag neu zu strukturieren - ohne die einstigen Energieräuber und überhöhten Ansprüche, so Anna.

Selbtshilfe für Suchtkranke: „Es war schon fünf nach Zwölf“

Zu den Klassiker-Gruppen gehören Organisationen, die sich als Helfergemeinschaft für Suchtkranke verstehen und auch Angehörige einbeziehen. Kreuzbund und Anonyme Alkoholiker stellten bei dem Aktionstag ihre Programme vor, die teilweise auch per App digital genutzt werden können. Hingegen erobert die Sucht „analog“ Körper und Seele.

Monika erzählt, dass sie täglich zwei Flaschen Wein und an Wochenenden zusätzlich Rum getrunken hat - ehe sie sich vor 29 Jahren gezwungen sah, dem Alkohol den Kampf anzusagen. „Es war schon fünf nach Zwölf“, sagt Monika und erzählt, dass sie damals am Arbeitsplatz die zweite Abmahnung bekommen hatte, und „mein Mann wollte mich vor die Tür setzen“. Sie hat es geschafft, trocken zu werden und auch zu bleiben. Dabei auch anderen zu helfen, empfindet sie als „Bedürfnis“.

„Selbsthilfe ist wirksam“ titelte unlängst das vom Gesundheitstreffpunkt und dem Heidelberger Selbsthilfebüro herausgegebene Magazin. Verwiesen wird auf eine vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Studie: Dabei gaben acht von zehn Befragten an, ihre Krankheit mit Hilfe der Erfahrung anderer besser und mit mehr Zuversicht bewältigen zu können.

www.gesundheitstreffpunkt-mannheim.de

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