Vergewaltigung

Gewalt gegen Frauen in Mannheim - Expertinnen berichten

Tausende Frauen werden jedes Jahr Opfer von Vergewaltigung - auch in Mannheim. Claudia Wichmann berichtet, was Frauen erleben und wie schwer der Weg zum Prozess ist

Von 
Stefanie Ball
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„Nein heißt Nein“ – mehr muss eine Frau nicht sagen. Alles, was danach passiert, ist eine Vergewaltigung. © dpa

Mannheim. Claudia Wichmann leitet den Frauen- und Mädchen-Notruf in Mannheim. Seit zehn Jahren begleitet und berät sie Menschen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. Die meisten sind Frauen, selten sind es Männer. Ein Fall, der betroffen mache, aber typisch sei, ist der einer Frau, die von ihrem Nachbarn vergewaltigt wurde. Ihr Ehemann war mit dem Mann befreundet, für die Frau war es einfach der Nachbar. Am Tattag war ihr Ehemann auf Dienstreise. Die Frau hat niemandem davon erzählt. „Sie konnte nicht, sie hatte große Angst, dass ihr niemand glauben würde“, sagt Wichmann. Oder dass ihr eigener Mann ihr unterstellt, sie sei fremdgegangen. Irgendwann hält sie es nicht mehr aus, und die Frau wendet sich an die Beratungsstelle.

Weg zur Anzeige oft schwer

Bei 95 Prozent der Vergewaltigungen ist der Täter ein Bekannter. Was die Sache nicht einfacher macht. Die Betroffenen zögern dann erst recht, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Weil sie dem Täter wieder begegnen. Und weil sie erst spät merken, dass sie überhaupt Opfer geworden sind. Der Abend war doch schön – oder nicht? Hat sie wirklich nein gesagt, als er sie bedrängt? Sie hatte ja auch viel Alkohol getrunken, ganz genau kann sie sich nicht mehr erinnern. „Die Menschen stehen unter Schock, sie haben Schuldgefühle, und sie schämen sich“, sagt Wichmann.

Gewalt an Frauen

  • Im Dezember 1999 verabschiedete die UN-Generalversammlung eine Resolution, nach der der 25. November zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, auch „Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen“, bestimmt wurde.
  • Die UN bezeichnet Gewalt gegen Frauen und Mädchen als eine der systematischsten und am weitesten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen. Jede dritte Frau weltweit hat entweder körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt.
  • Die polizeiliche Kriminalstatistik führt für das Jahr 2021 rund 9200 Vergewaltigungsfälle auf.
  • Die Stadt Mannheim hisst – wie jedes Jahr anlässlich dieses Gedenktags – eine Woche lang am Rathaus die Fahnen der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes mit der Aufschrift „Frei leben – ohne Gewalt“.

Wenn sie es dann doch erzählen, müssen sie zum Teil erleben, dass ihnen nicht geglaubt wird – oft sogar im engsten Freundeskreis. „Betroffene hören dann Aussagen wie ,Das kann ich mir gar nicht vorstellen, der ist doch so nett‘ oder ,Den kennst du doch schon so lange, das gibt es doch gar nicht’.“ Also wird das Geschehene verdrängt, und es vergehen Monate, wenn nicht Jahre, ehe die Menschen Hilfe suchen. Jahre, in denen viele der Opfer leiden. Unter Ängsten, Panikattacken, Depressionen. „Fassungslos macht die Verletzung der persönlichen Integrität, die Überschreitung der Grenze, die Herabsetzung zu einem Objekt, das ,benutzt‘ wurde“, sagt Wichmann.

Beweise sind schwierig zu sammeln

Sabrina Hausen ist in Mannheim Fachanwältin für Strafrecht und Rechtsanwältin für Opferrechte. Sie sagt, dass ein Nein, ein Wegschubsen reicht. Alles, was danach kommt, ist eine Vergewaltigung. Das nachzuweisen, ist nicht immer einfach. Meistens steht Aussage gegen Aussage. Das Zeitfenster, um Spuren und Verletzungen, die durch die Gewalttat entstanden sind, zu sichern, ist eng.

Als einziger Beweis bleibt oft die Frau selbst. Für Hausen ist das aber der zentrale Beweis: „Wir haben die Geschädigte, die macht eine Aussage, und man geht davon aus, dass das nicht gelogen ist.“ Dann werden Indizien gesucht, die das belegen. Vielleicht hat sich die Betroffene krankgemeldet, vielleicht hat sie noch in der Nacht versucht, eine Freundin anzurufen oder ihr eine Whatsapp-Nachricht geschickt. „Das spricht dafür, dass dieser Frau etwas passiert ist“, sagt Hausen.

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Trotzdem ziehen sich die Ermittlungen hin, ein- bis anderthalb Jahre sind die Regel. Es sei denn, der mutmaßliche Täter sitzt in Untersuchungshaft, dann muss innerhalb eines halben Jahres über eine Anklage entschieden werden. „Das ist eine langwierige und belastende Geschichte“, betont Hausen. Unumgänglich ist die Vernehmung bei der Polizei – und unter Umständen auch später vor Gericht. Hausen bietet den Frauen an, sie zu begleiten, und bei der Polizei kümmern sich speziell ausgebildete Beamtinnen und Beamte um die Betroffene. „Es ist aber ein Irrtum anzunehmen, dass es immer ausreichend ist, bei der Polizei eine einzige Aussage zu machen und diese per Video aufzunehmen“, erklärt Hausen. Nicht alle halten das bis zum Ende durch. „Das tut mir dann immer leid, wenn die Betroffenen keine Kraft mehr haben und nicht mehr befragt werden wollen.“

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Wichmann sagt, wenn man präventiv wirken wolle, müsse man dem Thema einen anderen Stellenwert geben. Staatsanwaltschaften, Polizei, Gerichte und Beratungsstellen bräuchten mehr Personal, um effektiv arbeiten zu können. Daneben müsse verhindert werden, dass Männer überhaupt zu Tätern werden. Doch die Ursachen sind kaum erforscht, überdies gibt es den typischen Täter nicht, er stammt aus allen Schichten und Altersgruppen. Bei einer Vergewaltigung geht es nicht um Sex, sondern um Macht. Tradierte Bilder von Frauen als Unterlegene, Wut und Hass können dabei eine Rolle spielen. Auch hält sich die Vorstellung hartnäckig, dass ja so lange alles in Ordnung sei, wie nicht sichtbar Gewalt angewendet wurde.

Verharmlosung überwiegt

Das größte Problem aber sieht Wichmann in der Verharmlosung des Themas. „Da hat sich in den vergangenen 40 Jahren kaum etwas verändert“, sagt Wichmann. Für viele ist Vergewaltigung ein Kavaliersdelikt. Tatsächlich ist es ein Verbrechen.

Eines, das selten gesühnt wird. Nur wenige Opfer erfahren Gerechtigkeit. Seit 2018 sind bei der Staatsanwaltschaft Mannheim 508 Verfahren mit dem Tatvorwurf der Vergewaltigung eingegangen, wobei hierzu vereinzelt auch Verfahren mit dem Tatvorwurf der sexuellen Nötigung zählen. In weniger als jedem zehnten Fall – 43 Verfahren – wurde Anklage erhoben. Von den Verfahren mit Anklageerhebung endeten 24 mit einer Verurteilung, drei mit Freispruch und fünf Verfahren mit gerichtlicher Einstellung beziehungsweise Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens. Die übrigen Verfahren sind noch nicht abgeschlossen.

Freie Autorin

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