Erfahrungsbericht (mit Fotostrecke) - Panajotis Neuert von der Schönau wird von vier Geflüchteten überrascht – er nimmt sie auf und schildert seinen turbulenten Alltag

Geflüchtete stehen plötzlich bei Mannheimer vor Haustür: „Mein Leben hat sich völlig gedreht“

Von 
Lea Seethaler
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Die 13-jährige Anastasia (v.l.) und der zwölfjährige Artjom aus Kiew mit Panajotis Neuert. © Privat

Mannheim. Was geschieht, wenn plötzlich vier Geflüchtete aus der Ukraine unangekündigt vor der eigenen Haustür stehen, darüber kann Panajotis Neuert von der Schönau berichten. Dem Pflegedienstleiter ist genau das passiert - und seitdem verläuft sein Leben ganz anders. Aber positiv ganz anders, wie er erzählt. Trotz einiger Herausforderungen.

Artjom (12), Anastasia (13), deren Mama Veronika (36), Yuliia (38) aus Kiew und ein kleiner Schoßhund waren auf der Flucht. „Und dann standen sie da“, sagt Neuert. „Und ich konnte nicht anders. Ich musste sie aufnehmen.“ Neuert ist im Viertel bekannt für seinen sozialen Einsatz. In seinem Unternehmen „Pflege im Quadrat“ ist er Entrepreneur mit Schaffenskraft. Auch in den Medien tritt er oft auf. Und vielleicht liegt darin auch der Grund, warum ein Unbekannter die Flüchtlinge zu ihm brachte: „Vielleicht hat er in der Notlage gedacht: Dann bringe ich sie zum Panajotis“, sagt Neuert.

„Panajotis, wir vermissen dich“

Durch Nachforschungen fand er heraus, dass es wohl ein Mannheimer war, der Hilfslieferungen in die Ukraine brachte, der die Geflüchteten zu ihm fuhr. Auf der Rückfahrt habe dieser die Frauen und Kinder entdeckt, wie sie auf einer polnischen Autobahn liefen, erzählten Neuerts Mitbewohner ihm. Der Mann habe angehalten - und die Frauen mit Kids hätten erst gezögert. Wegen schrecklicher Erzählungen über Menschenhändler hatten sie Angst. „Doch ihre Not war schließlich so groß, dass sie eingestiegen sind“, sagt Neuert.

Ankunft in Mannheim

Der Alltag der ukrainischen Geflüchteten auf der Schönau

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„Es war so ein klassisches Hörensagen-Ding, es hat sich wahrscheinlich rumgesprochen, jemand hat jemandem Bescheid gesagt. Zumal ich noch vor einigen Tagen ein Gespräch hatte, ob wir im Unternehmen vielleicht queere Geflüchtete aufnehmen können, die ja einen besonderen Schutzbedarf haben.“

Seit sie da sind, seien sie eng zusammengewachsen, berichtet der Mannheimer. Neuert hat mit Hilfe eines Freundes das Bad ausgebaut, ein Waschbecken neu installiert, Regale gezimmert. „Sie sollen sich hier heimisch fühlen. Ich bin eigentlich nur noch beim Baumarkt“, sagt er. „Und über die Übersetzerapp poppt dann nachmittags auf ,Panajotis, wir vermissen dich, wo bist du? Wann kommst du nach Hause?’“, sagt er. Er lacht. „Es ist echt süß.“

Auf die Frage, ob er nicht überlegt habe, anderweitig eine Unterkunft für die Gruppe zu finden, sagt er dann: „Wir haben uns jetzt so gebunden, und ich will sie auch nicht auseinanderreißen.“ Zudem war seine neue Mitbewohnerin „ in Polen in so einem 500-Betten-Ding, hat sie erzählt, das reicht ihr.“

„Ganz zu Beginn waren wir bei der Bank, beim Gynäkologen, haben wahnsinnig viele Behördengänge gemacht - das ist die Realität.“ Es gebe jede Menge zu tun. „Erst hab’ ich in Sandhofen ein Konto eröffnet. Dann hab’ ich sie an der Schule angemeldet, gerade Hefte beklebt, und dauernd ruft die Schule an“, sagt Neuert und lacht. „Aber sie sind toll aufgenommen worden an der Schule, gehen jetzt in die 6c und 8b“, sagt er und klingt irgendwie stolz. Im Haus habe er versucht, Platz zu schaffen, wo es geht. Mit Luftbett und Nutzung jeglicher Räume im Haus - von oben bis unten. „Ich hab’ grad noch eine Kollegin wegen ihres Liebeskummers da, ja, das macht es nicht einfacher“, sagt er ironisch. „Aber das war sehr süß, was sie gemacht haben, sie haben ihr ihre Bettwäsche angeboten - und angeboten noch enger zusammenzurücken.“

Um 7.50 Uhr heißt es „Dawai!“

„Normal fahre ich um 6 Uhr eine Pflegediensttour oder gehe ins Büro. Jetzt schreie ich um 7.50 Uhr ,Dawai, raus hier, ab zur Schule!’ und mache alles fertig“, sagt er. „Es ist so schön und so emotional, aber irgendwie auch das reinste Chaos“, sagt er. „Sie schreiben mir Briefe mit Dankessätzen und so viel Gefühl darin. Mein Leben hat sich einfach völlig gedreht“, so Neuert. Er unterstützt sie auch finanziell, „sie wollten dann auf die Bank und ukrainisches Geld tauschen, es mir geben, ich hab' abgewunken, das ist nichts wert“.

„Und was auch so ’ne Sache war: Wie reagieren sie auf Homosexuelle? Das haben wir uns natürlich ganz am Anfang gefragt“, erzählt Neuert, der mit seinem Mann Fabian Klenk zusammenlebt. „Aber es war alles cool, sie haben uns erzählt, dass es in Kiew auch einen Gay Pride (Anm. d. Red. Schwulenparade) gibt und viele Schwulenbars.“ Am „Pflege im Quadrat“-Verwaltungssitz auf der Schönau kann Neuert sich vorstellen, die obere Etage für zehn queere Geflüchtete freizugeben, die besonderen Schutz benötigten. „Als Notlösung, nicht als Dauerzustand.“

Jetzt sind Neuert und sein Mann erstmal in den Urlaub gefahren. Die ukrainischen Mitbewohner bleiben zuhause, haben einen Wohnungsschlüssel. „Sicherheitsbedenken habe ich absolut keine“, sagt Neuert. „Man sieht es in ihren Augen, dass sie sehr dankbar für den Schutz sind, den sie bei uns haben.“

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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