Mannheim. Jeden Morgen um 5 Uhr schwingt sich Felix Michalski auf sein Fahrrad. Vorbei an Feldern, Bauernhöfen und vereinzelten Bächen und immer dem Sonnenaufgang entgegen, nähert sich Felix mit jedem Tritt in die Pedale langsam, aber sicher seinem Ziel. Doch der 25-Jährige fährt nicht zur Arbeit. Und ein passionierter Frühaufsteher ist er eigentlich auch nicht.
Mit dem Fahrrad von Mannheim nach Nepal: Unterwegs in der usbekischen Steppe
Seit Ende August 2023 ist Felix auf dem Weg nach Nepal. 10 000 Kilometer mit dem Fahrrad und über 300 Tage später befindet er sich im Moment in der usbekischen Steppe. In der Spitze werden es dort 40 Grad Celsius. „Ich kann immer nur zwischen 5 und 9 Uhr morgens fahren und dann erst wieder ab 17 Uhr. Dazwischen ist es einfach zu heiß“, erklärt der Mannheimer.
Mit dem Ziel, nepalesischen Schülern im kleinen Dorf Chiti ein Schuldach über dem Kopf erbauen zu lassen, hat sich Felix angeschickt, 27 000 Euro an Spenden einzusammeln. Im Gegenzug dokumentiert er seine Fahrradreise mit hochaufgelösten Fotos und aufwendig produzierten Kurzvideos frei zugänglich auf Instagram. Seine Videos drehen sich dabei um die Abenteuer und Herausforderungen eines „Welten-Radlers“ - wie die Unwägbarkeiten des iranischen Autoverkehrs, die beeindruckende Aussicht in den irakischen Bergen oder zuletzt die Wahl der weiterführenden Route nach Nepal durch Usbekistan.
Vor allem jedoch ist Felix‘ Videos und Fotos anzumerken, wie sehr ihm am Austausch mit den Menschen vor Ort gelegen ist. „Wir können so viel von anderen Kulturen lernen! Zum Beispiel die Gastfreundschaft, die mir hier widerfährt.“ Eine Tugend, die der Mannheimer auch nach der Reise für sich übernehmen möchte: „Es ist einfach so viel wert, Zeit mit anderen, fremden Menschen zu teilen.“
Heikle Situation in Russland: Verdacht der Spionage
Aber auch den bislang wohl gefährlichsten Moment hat Felix auf Instagram kurz erläutert und im Telefonat ausführlich beschrieben und eingeordnet. Nachdem er bereits im Dezember des vergangenen Jahres die erste große Etappe von Mannheim nach Istanbul abschließen konnte, machte er sich vom Bosporus auf in die irakische Region Kurdistan, ehe sein Kurs ihn weiter nach Iran brachte.
In Iran fasste der Extremsportler einen folgenreichen Entschluss. „Ich stand vor der Entscheidung, weiter durch die iranische Wüste nach Turkmenistan oder nach Pakistan zu reisen.“ Ein Visum für Turkmenistan zu bekommen, gleiche jedoch fast dem aufwändigen Prozess, nach Nordkorea einzureisen. Das Visum sei teuer und das Land in der Folge nur mit einem Begleiter der Regierung zu bereisen. Pakistan wiederum bezeichnet Felix als „ein bisschen zu viel Kulturclash“. Übrig blieb die nördliche Route durch Armenien, Georgien und Russland.
Über Instagram lernte Felix den französischen Radfahrer Vincent mit dem Ziel Indien kennen. Sie entschieden sich, gemeinsam das Abenteuer Russland zu wagen. „Unser erster Tag in Russland war eigentlich sehr gut. Wir fühlten uns willkommen, bekamen Hilfe, Euros in Rubel umzutauschen, weil unsere Kreditkarten aufgrund der Sanktionen gegen Russland nicht funktionierten“, erzählt Felix.
Immer weiter dem Navigationsgerät nach, fanden sich die beiden urplötzlich mitten in einer Militärzone wieder. „Ich kann mich nicht daran erinnern, ein Hinweisschild oder Ähnliches gesehen zu haben. Vielleicht hatte es ein kyrillisches Schild gegeben, das wir übersahen.“
Wenige Augenblicke später erschienen fünf bewaffnete Soldaten. „Wir wurden aufgefordert, uns auszuweisen, und zur Polizei gebracht. Sie meinten zu uns, wir könnten gleich weiterfahren“, doch die Lage verkomplizierte sich. „Die Polizisten erklärten uns, ihre Computer würden nicht funktionieren. Wir mussten auf ein größeres Revier und uns dort schließlich erklären.“ Der Verdacht der Beamten: Spionage.
Für Felix bahnten sich die „schlimmsten 24 Stunden meines Lebens“ an. Es folgten eine sechsstündige Untersuchung der Laptops und Handys der beiden und Verhöre. Mittlerweile war es dunkel geworden: „Die Beamten meinten zu uns, wir müssten auf der Wache bleiben, könnten jedoch am darauffolgenden Tag weiterfahren. Wir dachten noch, man wolle uns nicht einfach in die Dunkelheit Russlands lassen, und folgten den Polizisten in einen anderen Trakt des Gebäudes, bis wir auf einmal vor Einzelzellen standen.“
Ohne die geringste Kontaktmöglichkeit zur Außenwelt mussten Felix und Vincent ihre Nacht in den fensterlosen Zellen eines russischen Gefängnisses verbringen. Einzig das Gedankenkarussell drehte sich fortan. „Wenn die sagen, wir sind Spione, dann sind wir Spione“, bringt Felix sein Misstrauen gegenüber dem russischen Rechtsstaat auf den Punkt.
Am Ende tauen die russischen Beamten auf: Es gibt Essen und Tee
„Ich musste an Gefangenenaustausche zwischen Russland und anderen Ländern denken, bei denen Menschen teils mehrere Jahre im Gefängnis verbringen mussten.“ Ein anderer verstörender Gedanke: ein Zwangseinsatz an der ukrainisch-russischen Kriegsfront.
Irgendwann, als die Polizisten merkten, dass Felix und Vincent tatsächlich nur Touristen sind, seien die bewachenden Beamten dann aufgetaut. „Sie brachten uns mittags Essen, Tee und sogar Souvenirs, gaben uns die Möglichkeit, mit unseren Familien zu telefonieren.“
Umgehend setzten sich die Angehörigen der beiden mit den Botschaften in Verbindung. „Etwa drei bis vier Stunden nach dem Anruf bei unseren Eltern wurden wir zum Gericht gefahren.“ Nur dank des Einsatzes der deutschen und der französischen Botschaften sei der Fall letztlich kurz vor Verhandlungsbeginn fallen gelassen worden, erinnert sich Felix.
„Ein Polizist bat uns kurz vor der Entlassung in die Freiheit darum, Russland ab jetzt ‚richtig kennenzulernen‘. Und das versuchten wir auch.“ Sie reisten weiter nach Kalmückien, wo der Buddhismus die vorherrschende Religion ist und die Menschen versuchen, „Frieden und Freundschaft mit anderen Völkern zu finden“, wie Felix auf Instagram schreibt. Prompt wurden sie von einer örtlichen Kindergärtnerin zum Essen eingeladen. Menschen seien eben nicht einfach mit Politik gleichzusetzen. Dennoch: Der beängstigende Eindruck durch die Nacht im Gefängnis bleibt.
Und so muss die abgefallene Last wohl gefühlt mehrere Tonnen gewogen haben, als Felix und sein Freund aus Russland ausreisten: „Es war ein krasses Gefühl, über der Grenze zu sein.“ Nach einigen hundert Kilometern durch Kasachstan und der Durchquerung Usbekistans liegt nun die letzte Etappe vor dem Extrem-Radler: „Es fühlt sich schon ein bisschen nach Endspurt an.“ Über Tadschikistan und Kirgistan möchte Felix die chinesische Provinz Xinjiang erreichen, ehe es über den höchstgelegenen Highway der Welt nach Indien und schließlich endlich nach Nepal gehen soll.
„Ende September werde ich in dem Dorf stehen“, prophezeit Felix. Vorher warten jedoch noch 5000 Kilometer gespickt mit Abenteuern, neuen Kulturen und vor allem voller Gastfreundschaft.
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