Mannheim. Patrouillieren, damit ihrem Kind nichts passiert - das ist die Motivation, die die Eltern Iris und Kurt Kretschmer seit drei Wochen täglich auf den Hof der Käthe-Kollwitz-Schule zieht. Die beiden sind an diesem Frühlingsmorgen ganz in Schwarz gekleidet, tragen selbst gemachte Ausweise bei sich.
„Es geht uns besser, wenn wir zusätzlich aufpassen“, sagt Iris Kretschmer aufgewühlt. Ihr Sohn besucht die erste Klasse der Grundschule im Herzogenried, und nicht nur seine Eltern sind besorgt. An einem Montag, den ersten Tag nach den Faschingsferien, soll hier ein fremder Mann einen kleinen Jungen angesprochen, am Arm gepackt und 50 Meter vom Schulhof weggeführt haben. „Deshalb brauchen wir hier einen Zaun, damit so etwas nicht passiert. Doch dafür ist die Stadt zuständig“, sagt die Mutter.
Kinder für Gefahr sensibilisieren
„Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was hätte passieren können, wenn dieser Mann, der sich seit Wochen auf dem Schulgelände unberechtigt herumschleicht, ihn tatsächlich irgendwo hin verschleppen hätte können“, schreibt die Mutter.
Neben einer Anzeige bei der Polizei wenden sich die Eltern auch an die Schulleitung, die direkt reagiert: „Wir haben die Pausenaufsicht verstärkt, vier Lehrkräfte passen nun auf. Außerdem besuchen die Lehrer diese Woche mit ihren Klassen die Jugendverkehrsschule, wo sie über das Thema informiert werden. Für die Erstklässler behandeln wir das Thema mit Bilderbüchern vom Kinderschutzbund. Und ein Polizist vom Neckarstadtrevier wird kommende Woche Klassenbesuche samt Fragestunde für Dritt- und Viertklässler machen“, berichtet Rektor Ulrich Diehl. Zudem stehe man im engen Kontakt mit der Polizei, es würden nun auch Eltern wie die Kretschmers jenseits der Pause patrouillieren.
Auflauern in der Mädchentoilette
Die eingeschaltete Kriminalpolizei nimmt den Fall auf, ist laut Diehl nun täglich vor Ort, mit Streifenwagen und in Zivil. Bislang hat es an der Grundschule neben dem fast entführten Jungen noch einen weiteren Vorfall gegeben: Vor den Faschingsferien Anfang Februar berichtet ein Kind davon, auf dem Nachhauseweg angesprochen worden zu sein, so Diehl.
Umgang mit Fremden
- Das Kind dafür loben, dass es sich anvertraut hat.
- Kindern einbläuen, sich nicht auf ein Gespräch mit Fremden einzulassen und das direkt bei den Lehrkräften zu melden.
- Gerüchte vermeiden und damit Hysterie in der Nachbarschaft vorbeugen.
- Vorfall direkt bei der Polizei melden.
Er nimmt die Sorgen der Eltern ernst, versteht deren Ängste. Verweist aber auch auf das Problem mit dem offenen Schulhof. „Der ist nicht umzäunt, jeder kann dort reinkommen“, sagt Diehl. Zwar hat er bereits mit der Stadt gesprochen, gibt es Umbaupläne zu eine Ganztagsschule. Die sei aber erst in ein paar Jahren geplant.
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Tatsächlich ist die Grundschule im Herzogenried nicht die einzige, an der solche Vorfälle gemeldet werden. Rektor Diehl steht mit seinem Kollegen Peter Deffaa im Austausch. Denn nur wenige Kilometer entfernt sorgen sich in der Neckarstadt West ebenfalls Väter und Mütter um die Sicherheit ihrer Kinder. „Meine Tochter hat mir erst nach der Schule von einem Mann in der Mädchentoilette erzählt, ich war total schockiert“, erinnert sich Nancy Lehmann.
Sie ist eine von vier Müttern, die sich seit drei Monaten dafür einsetzen, dass ihre Kinder in der Neckarschule besser geschützt werden. Ende November ereignet sich laut Lehmann der erste Vorfall, mit ihrer eigenen Tochter: Die Achtjährige erzählt, wie ein Mann sie in der Toilette mehrfach anspricht und festhalten will. Sie flüchtet sich zurück ins Klassenzimmer. Die Mutter erstattet bei der Polizei Anzeige gegen den Mann, sucht das Gespräch mit dem Rektor und dem Schulamt.
Mit Teddybären weggelockt?
Das erklärt auf Anfrage: Man stehe deshalb im Austausch mit Schulleiter Deffaa. „Dieser wiederum hat das Vorgehen eng mit der Polizei abgestimmt. Angesprochen wurden dabei Themenfelder wie die Aufsichtsführung durch Lehrkräfte, Ansprechen von fremden Personen im Schulgebäude und auf dem Schulgelände, Information und Gespräche mit den Eltern und Überlegungen hinsichtlich der Toilettennutzung durch die Kinder“, erklärt eine Sprecherin. Warum der Zugang zum Gebäude nicht abgeschlossen werden kann? Der lasse sich aus Brandschutzgründen nicht verschließen, so das Schulamt.
Dabei schrecken zwei weitere Vorfälle die Eltern zusätzlich auf: Ein anderes Kind soll vom gleichen Mann, der sich in die Toilette geschlichen haben soll, am Arm gepackt und gezerrt worden sein. Kinder berichten von einem anderen Täter, der mit einem Teddybären versucht haben soll, sie wegzulocken. Eine Mutter soll eingegriffen und das Kind zurück in die Schule gebracht haben. Einige Eltern, so Lehmann, haben nun Angst, ihren Nachwuchs überhaupt in die Schule zu schicken.
Allerdings kommt der Vorschlag der Schulleitung, selbst zu patrouillieren, bei manchen nicht gut an. „Das können wir nicht leisten, manche von uns müssen arbeiten! Nur weil wir im Brennpunkt wohnen, ist doch mein Kind nicht weniger schützenswert. Hier ist es gefährlich, die Schule liegt direkt an der Mittelstraße!“, findet Dimitra Katselis. Sie und Lehmann fühlen sich von den Zuständigen nicht ernst genommen, wünschen sich konkretere Maßnahmen. Längst sind die Mütter dazu übergegangen, ihre Zweitklässler täglich zur Schule zu bringen - und wieder abzuholen. Auch in den Pausen drehen die Neckarstadtbewohnerinnen nun ihre Runden, wenn sie die Zeit dafür finden.
Von Eltern zur Rede gestellt
Ende Januar alarmieren mehrere Schulkinder ihre Eltern: Sie haben den Mann wieder gesehen. „Ich habe ihn direkt angesprochen. Der hat aber nur Arabisch gesprochen, mir sogar gedroht. Und ist geflüchtet“, berichtet Lehmann, die daraufhin die Polizei ruft. Der Polizeibericht deckt sich mit den Schilderungen der Mutter. Darin ist von einem 29-Jährigen die Rede, der an einem Mittwoch Schulkinder in der Alphornstraße anspricht. Als die alarmierten Ordnungshüter den Mann kontrollieren wollen, greift der die Beamten an - und wird verhaftet. Weil das Ansprechen von Kindern keine Straftat ist und das Schulgebäude zu diesem Zeitpunkt noch öffentlich, das Betreten also erlaubt ist, kommt der Mann wieder frei. „Wenn wirklich ein Kind verschwindet, dann ist es zu spät“, findet Mutter Katselis.
Zurück im Herzogenried positioniert sich Vater Kurt Kretschmer gerne auf einem Hügel am Schulhofrand. „Von hier aus habe ich den besten Überblick. Trotzdem kann man sich hier überall gut verstecken. Bislang haben wir den Täter nicht gesehen, aber wehe, wenn wir ihn erwischen.“
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