Mannheim. Auch 34 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung ist es eine Daueraufgabe, an der Demokratie zu arbeiten. Darauf wiesen alle Redner beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit der CDU-Kreisverbände sowie der Gemeinderatsfraktionen aus Mannheim und Ludwigshafen am Donnerstag in der Kulturkirche Epiphanias in Feudenheim hin. Zu diesem Anlass blickte Malte Graßhof, Präsident sowohl des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg als auch des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg, auf die Erfolgsgeschichte des Grundgesetzes.
Der Start in die Einheit, so konstatierte der Mannheimer CDU-Kreisvorsitzende Christian Hötting, sei holprig gewesen. Doch: „Heute stellen wir mit Blick auf viele Gegenden im Osten fest, dass es mit der Wirtschaft vorangeht. Auch die Arbeitslosigkeit ist dramatisch gesunken. Die Renten und Löhne sind nahezu gleich.“ Dass es aber noch Unterschiede bei Letzterem gebe, „ist eigentlich eine Schande“. Nicht nur im Osten der Republik gebe es Entwicklungen, die Anlass zur Sorge gebe - zumal alte Sichtweisen in Ost wie West überdauert hätten.
Keine „Verfassung“
- Das Grundgesetz wurde im Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat verabschiedet.
- Der Verzicht auf das Wort „Verfassung“ sollte verdeutlichen, dass das Grundgesetz nur einen vorübergehenden Charakter hatte.
- Der Parlamentarische Rat ging davon aus, dass eine Verfassung nur von allen Deutschen, also auch in der DDR und im Saarland, zu verabschieden sei.
Mannheims Oberbürgermeister Christian Specht betonte, dass Mannheim einer „der ganz großen Profiteure“ der Wiedervereinigung gewesen sei. Nur hierdurch sei es möglich gewesen, dass aus den Kasernen in der Stadt Konversionsflächen wurden, auf denen nun Tausende Menschen wohnen. Er erinnerte daran, dass in Deutschland inzwischen rund 30 Millionen Menschen leben, die aufgrund ihres Alters die Wiedervereinigung nicht miterlebt haben: „Daher ist das Wachhalten der Erinnerung extrem wichtig“, sagt Specht.
Für den stellvertretenden Ludwigshafener CDU-Fraktionsvorsitzenden, Klaus Blettner, sei der Nationalfeiertag auch ein Tag, „an dem wir uns bewusstmachen, dass die Arbeit noch nicht beendet ist“. Die Einheit bringe nach wie vor Herausforderungen mit sich: „Wir dürfen uns von Rückschlägen nicht entmutigen lassen“, appellierte er an die rund hundert Gäste.
Das Provisorium überlebt wegen der deutschen Einheit
Graßhof blickte in seinem Vortrag auf das Grundgesetz, das in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag feiert, und verdeutlichte, dass es zum einen in ihrer Wortwahl eine bescheidene, in ihrer Ausgestaltung aber eine unbescheidene Verfassung sei. Die Wertschätzung, die das Grundgesetz auch heute noch erfahre, rechtfertige es, dieses als Triumph zu bezeichnen - auch wenn „die Erwartung an seine Haltbarkeit gering war“. Schließlich sei das Grundgesetz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Zwischenschritt hin zu einer Verfassung gedacht gewesen und hätte in Artikel 146 schon seine Ablösung integriert. Der Erfolg des Grundgesetzes sei so groß gewesen, dass die Menschen in der DDR jedoch nach der Wiedervereinigung unter seinem Dach leben wollten - und damit eine neue Verfassung gar nicht notwendig wurde. „Damit überstand es sein natürliches Enddatum mit der Wiedervereinigung und hat seine Strahlkraft entfaltet“, betonte Graßhof. Derzeitige Krisen sei nicht national, sondern global bedingt, „wofür das Grundgesetz nicht verantwortlich gemacht werden kann.“
Überhaupt stelle das Grundgesetz nicht wie bei vielen Verfassungen üblich, den Staat in den Mittelpunkt, sondern aus der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus heraus den Menschen. „Es geht darin nicht um das Vaterland, sondern darum, es besser zu machen als vor 1945“, sagte Graßhof. Schon Artikel 1, Absatz 1 sei berühmt für seine Schlichtheit und Erhabenheit, und stelle nach den Schrecken des Holocausts eine einfache Wahrheit dar: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
„Größte Gefahr für die Demokratie geht vom Staat aus“
Das Grundgesetz sei aber keine Kuschelverfassung. Schließlich stellt es die Grundrechte in den Mittelpunkt, an dem sich jede politische Aktivität orientieren müsse. Der Staat muss demnach neutral bleiben: „Die größte Gefahr für die Demokratie geht laut dem Grundgesetz vom Staat selbst aus“, betonte Malte Graßhof.
Um dem zu begegnen gebe es das Bundesverfassungsgericht, das unabhängig und ohne jegliche politische Auseinandersetzung urteilen könne. Deren Richter werden je zur Hälfte vom Bundestag und Bundesrat, jeweils mit einer Zweidrittelmehrheit, gewählt. Deswegen sei die Mehrheit in den jeweiligen Kammern auch auf die Opposition angewiesen, um Richter benennen zu können. Hierdurch sei eine ausgewogene Besetzung des Bundesverfassungsgerichts bisher immer gegeben gewesen.
Doch es droht Gefahr: „Es wäre ein schwerer Schlag für die Demokratie, wenn hier Parteilichkeit einziehen würde“, sagte Graßhof auch mit Blick auf die Sperrminorität der AfD im Thüringer Landtag. In einer solchen Konstellation auf Bundesebene wäre die überparteiliche Benennung von Verfassungsrichtern blockiert. Das Grundgesetz soll davor bewahren, Fehler zu wiederholen. Das gilt auch und vielleicht mehr denn je in seiner Geschichte zu seinem 75. Geburtstag.
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