Mannheim. Als in der Jungbuschhalle Teller mit Linsensuppe samt Fladenbrot auf die weiß gedeckten Tische gestellt werden, heißt es den Hunger zu zügeln: Die große Uhr an der Wand zeigt noch gut eine Viertelstunde bis 18.32 Uhr - dem errechneten Sonnenuntergang an diesem Freitagabend im Ramadan. Erst danach darf gegessen und getrunken werden. Muslime und Muslima, aber auch Gäste anderen Glaubens sind der Einladung des Arbeitskreises der islamischen Gemeinden in Mannheim (AKIG) zum gemeinsamen Fastenbrechen gefolgt.
Fastenbrechen im Ramadan: Auch OB Christian Specht ist in Mannheim dabei
An einer der langen Tafeln sitzt Christian Specht. Er ist seit Jahren beim Iftar dabei - aber das erste Mal als Oberbürgermeister. Er dankt dem AKIG, die „wertvolle Tradition“ als Begegnung fortzuführen - „trotz und vielleicht auch gerade wegen der dramatischen Entwicklungen seit dem 7. Oktober“. Nicht nur das Stadtoberhaupt bezieht an diesem Abend den Nahostkonflikt in seine Rede ein. Schließlich bewegen die eskalierenden Ereignisse im Gazastreifen auch während des heiligen Fastenmonats.
„Andernorts mag der Gesprächsfaden abgerissen sein“, aber in der Kurpfalzmetropole „sind die religiösen Gemeinden zusammengekommen und haben gesprochen“, weist Specht auf die „Mannheimer Erklärung“ hin. Und die mahnt insbesondere bei Konflikten „gegenseitige Verständigung“ und „respektvollen Umgang“ als unverzichtbar an. „Auch wir werden keine Lösung für den Nahostkonflikt finden können“, so der OB. Hier in Mannheim gehe es um die Herausforderung, welche Auswirkungen des Gewaltkonfliktes „wir zulassen können und vielleicht auch aushalten müssen“ - aber auch darum, „wo die Grenzen der freien Meinungsäußerung erreicht sind“, erklärt Specht.
Ilka Sobottke beim Fastenbrechen in Mannheim: "Selbstverständlichkeiten gehen verloren“
„Wie gut, dass wir hier zusammenkommen – über die Religionen hinweg an einem Tisch.“ Ilka Sobottke tritt als langjährige Pfarrerin der Citygemeinde Hafen-Konkordien und als Vorsitzende der Christlich-Islamischen Gesellschaft ans Mikrofon. „Auch unsere Welt stürzt in Hass. Viele stehen einander anders gegenüber. Gewachsenes Vertrauen wird in Frage gestellt, Vorwürfe werden gegenseitig formuliert. Selbstverständlichkeiten gehen verloren“, umreißt die evangelische Theologin die aktuelle Krise und gesteht: „Ich habe keine Antworten, ich bin voller Fragen und ungelöster Zweifel“. Aber sie hat eine Hoffnung: Dass es gelingt, „immer wieder aufeinander zuzugehen, die Herzen für einander offen zu halten – Christen, Juden, Muslime“.
Emir Delalic: "Mannheim darf nicht als Bühne für globale Auseinandersetzungen dienen"
Emir Delalic, Vertreter des AKIG, spricht von Mannheim als „unserer Stadt“. Und dies nicht von ungefähr. Er hat in Mannheim das Licht der Welt erblickt und ist nach einigen Kindheitsjahren bei der in Bosnien-Herzegowina lebenden Oma im Jungbusch aufgewachsen. Delalic, der sich auch im Deutsch-Bosniakischen Kulturverein engagiert, appelliert: „Internationale Konflikte dürfen nicht auf einzelne Gruppen in Mannheim übertragen werden - und Mannheim darf nicht als Bühne für globale Auseinandersetzungen dienen!“
Der Anlagenmechaniker findet es „zur Förderung einer offenen Stadtgesellschaft wichtig“, dass alle Bürgerinnen und Bürger - auch bekennende Muslime - „angemessen repräsentiert sind“ in politischen Gremien wie in amtlichen Funktionen. Seine Botschaft: „Wenn Judentum, Christentum und Islam sich zu Abraham bekennen, ist es die Erinnerung an einen gemeinsamen Ursprung, um sich für Toleranz und Empathie einzusetzen.“ Und noch etwas betont Delalic: „Wir sind gegen die Vermischung von politischen Konflikten mit religiösen Argumenten!“
Nach Sonnenuntergang gibt es Linsensuppe, Reis, Salat oder Bulgur-Köfte
Als die Sonne untergegangen ist und nach der Linsensuppe Teller mit Reis, Salat und wahlweise türkisches Gulasch oder Bulgur-Köfte - köstlich hergestellt von einem Dönerimbiss im Jungbusch – serviert werden, ist an den Tischen das Gespräch eröffnet. Angesichts der geladenen Gäste aus der Kommunalpolitik und von Behörden entspinnen sich vielfältige Themen. Claudia Strickler, Leiterin des Referats Prävention im Polizeipräsidium, schildert, was der Verein „SIMA“, Sicherheit in Mannheim, plant und wie das Projekt „Beistehen statt Rumstehen“ Zivilcourage fördert. „Dazu gab es kürzlich einen Vortrag bei uns“, wirft ein Mann zwei Plätze weiter ein und meint damit den Verein „Duha“, der gegründet wurde, um behinderten Menschen mit Migrationshintergrund samt deren Familien „kultursensible“ Betreuung zu bieten.
13 islamische Gemeinden kooperieren in Mannheim
An der Unterhaltung beteiligt sich auch Cem Yalçınkaya, Mitorganisator des Fastenbrechens. Der selbständige Bauingenieur ist stolz darauf, dass sich in Mannheim 13 unterschiedliche islamische Gemeinden zwar als lockere Plattform zusammengefunden haben, aber intensiv kooperieren. So etwas wie „AKIG“ gebe es in keiner anderen Stadt - „jedenfalls ist mir nichts Derartiges bekannt“. Als das Bittgebet von der Bühne verkündet wird, kommt das Gespräch auf das Thema Imame. Cem Yalçınkaya begrüßt, dass islamische Religionsbeauftragte künftig in Deutschland ausgebildet werden. „Imame sind auch so etwas wie Sozialarbeiter und müssen wissen, was Menschen hier bewegt und obendrein die Stadt kennen“, argumentiert der Mannheimer Unternehmer, der bis zum 20.Lebensjahr einen türkischen Pass hatte.
Um 20 Uhr soll der Abend enden. Aber davor wollen so ziemlich alle noch ein Selfie oder Gruppenfoto mit dem neuen Oberbürgermeister. Und dabei suchen so manche Iftar-Gäste das Gespräch. Beispielsweise zwei religiös engagierte Politik-Studentinnen, die an der Schloss-Uni eine Hochschulgruppe gründen möchten und dabei bislang gescheitert sind.
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