Mannheim. „Wir wollen niemandem Angst vor dem Klimawandel machen, sondern wir wollen helfen, damit konstruktiv umzugehen. Jahrelang wurde Klimaschutz betrieben. Jetzt muss dringend Klimaanpassung hinzukommen.“ Das betont Sven Schneider, Professor an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, der mit anderen Forschenden sowie mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und dem Verein Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit klug federführend einen Musterhitzeschutzplan für den organisierten Sport erarbeitet hat.
Dieser wird am 4. Juni im Rahmen des nationalen Hitzeaktionstages als Bundesempfehlung vom Bundesgesundheitsministerium vorgestellt. Beteiligt an der Erstellung des Musterhitzeschutzplans waren auch Sportler, Trainer und ärztliches Personal. Im Interview mit dieser Redaktion berichtet der Wissenschaftler, was es mit der Bundesempfehlung auf sich hat und welche Handreichung er bietet.
Herr Schneider, wie wichtig ist es, dass sich der organisierte Sport darüber Gedanken macht, welche Auswirkungen Hitze auf die Sportler hat?
Schneider: In Deutschland sind rund 16 Millionen Menschen in Outdoor-Sportarten organisiert – das beginnt beim Fußball und geht über Tennis, Golf und Leichtathletik bis hin zum Reit- und Wassersport. Alle sind zunehmender Hitze ausgesetzt. Anders als die Arbeitswelt mit der Arbeitsschutzverordnung ist der Sport noch kaum vorbereitet auf künftige Hitzewellen. Im Sport gibt es aufgrund des hohen ehrenamtlichen Organisationsgrads solche Regelungen noch nicht. Umso wichtiger ist es, dass sich im Sport etwas tut.
Zur Person
Sven Schneider ist seit 2010 Professor für Sozialepidemiologie an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg.
Seine Forschungsinteressen sind Klimawandel und Gesundheit sowie Gesundheit in Breiten- und Leistungssport.
Ehrenamtlich ist er unter anderem Leichtathletiktrainer .
Die Bundesempfehlung „Musterhitzeschutzplan für den organisierten Sport“ ist auf der Internetseite des Bundesgesundheitsministeriums abrufbar. cg
Welche Faktoren haben Sie für den Musterschutzplan vor allem in den Blick genommen?
Schneider: Die wichtigsten Maßnahmen sind verhältnispräventiv, also solche, die der Verein, der Veranstalter oder der Trainer ergreifen kann und die alle Sportler erreichen, ohne dass sie etwas dafür tun müssen – etwa, dass man Training in den Schatten verlegt, in dem man die Kampfgerichte mit Sonnenschirmen schützt oder Wasser am Platz zur Verfügung stellt und zusätzliche Trinkpausen einführt.
Geht es nur um hohe Temperaturen?
Schneider: Es gibt mindestens sechs Risiken, die wir in den Blick nehmen. Es geht um Hitze, um Unfallrisiken durch Extremwetter und um UV-Strahlung. Das sind die direkten Risiken, die sich mit dem Klimawandel verstärken. Es geht aber auch um indirekte Risiken wie Infektionen etwa durch mehr Zecken oder Stechmücken, um mehr Allergene in der Luft und um mentale Risiken: Hitze wirkt auch auf das Stresslevel: mehr Hitze, mehr psychischer Stress.
Kinder und Jugendliche haben noch kein ausreichendes Risikobewusstsein. Sie denken gar nicht daran, sich einzucremen, genug zu trinken oder eine Mütze zu tragen.
Welche Unterschiede gibt es bei Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen?
Schneider: Unter den Erwachsenen gibt es besonders vulnerable Gruppen. Das sind Sportler mit Vorerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Problemen oder Diabetes. Bei ihnen müssen die Medikamentenpläne angepasst werden. So muss man etwa darauf achten, dass das mitgeführte Insulin gekühlt bleibt. Kinder und Jugendliche haben noch kein ausreichendes Risikobewusstsein. Sie denken gar nicht daran, sich einzucremen, genug zu trinken oder eine Mütze zu tragen. Hier greift der Hitzeschutzplan und sagt: Lasst das Risiko nicht bei den Sportlern selber. Sondern ihr als Trainer und Vereine müsst etwas tun, um Sportler zu schützen.
Was gehört im Sommer in jedem Fall in die Tasche eines Outdoor-Sportlers?
Schneider: In jedem Fall Wasser. Idealerweise trinkt man schon vorher ausreichend. Dann eine Mütze, um einen Sonnenstich zu vermeiden, und natürlich Sonnencreme. Wenn man gut ausgestattet ist, bringt man gefrorene Cool-Packs mit. Und idealerweise einen Sonnenschirm.
Die Liste geht man durch und hat dann an alles gedacht.
Gibt es genaue Zahlen, wie viele Menschen in Deutschland pro Jahr an den Folgen von Sport in der Hitze rettungsdienstlich oder ärztlich behandelt werden müssen oder gar sterben?
Schneider: Eine offizielle Statistik gibt es nicht, weil es etwa für den Hitzschlag keine Meldepflicht gibt. Es gibt aber Ereignisse wie im vergangenen Jahr der Kiel-Marathon, bei dem zahlreiche Athleten auf der Strecke kollabiert sind: Es gab mehrere Dutzend Rettungseinsätze, mehrere Läufer mussten im Krankenhaus behandelt werden, und ein Läufer ist durch die Hitze verstorben. Der Musterhitzeschutzplan soll dazu dienen, dass der Organisator wichtige Aspekte berücksichtigt, um eine solche Veranstaltung hitzesicher zu machen. Wir wollen damit vermeiden, dass jeder Verein bei Null anfängt. Unsere Empfehlungen sind expertenbasiert. Die Liste geht man durch und hat dann an alles gedacht.
Wie ist der Musterschutzhitzeplan aufgebaut?
Schneider: Er folgt Standards, die vom Bundesumweltministerium als „Hitzeaktionsplan“ definiert worden sind. Dabei gibt es vier Phasen: Es sollte langfristig geplant werden, etwa bei der Terminfindung der Veranstaltung. Dann gibt es Maßnahmen im Frühjahr, während des Sommers und Maßnahmen, wenn während des Sommers eine Hitzewarnstufe ausgerufen wird. Nach diesen vier Stufen ist auch der Musterhitzeschutzplan gegliedert und geht dann auf baulich-technischen Maßnahmen wie Beschattung, organisatorische Maßnahmen wie die Terminierung und Informationsmaßnahmen wie Schulungen für Trainer ein.
Können die vom Ehrenamt getragenen Vereine das alles überhaupt leisten?
Schneider: Die Botschaft an die Trainer und die Vereinsverantwortlichen muss sein: Euer ehrenamtliches Engagement ist von unschätzbarem Wert für unsere Gesellschaft. Deswegen soll der notwendige Hitzeschutz euch nicht noch zusätzlich belasten, sondern die Umsetzung so einfach wie möglich machen. Damit nicht jeder Trainer und jeder Verein das Rad neu erfinden muss, gibt es nun diese einfach umzusetzende Check-Liste, deren Punkte dann zwischen Trainer, Platzwart und Eltern delegiert werden können.
Hat die Sensibilität in den Vereinen in der jüngeren Vergangenheit zugenommen?
Schneider: Das ist total spannend. Wir untersuchen das bundesweit und in den einzelnen Sportarten. Es gibt Sportverbände, die schon sehr weit sind, wie die Kanuten, die Schwimmer, die Reiter und die Bergsportler, die schon seit Jahren umfangreiche Informations- und Schulungsmaßnahmen für ihre Trainer anbieten. Es gibt aber auch Verbände, die noch ganz am Anfang stehen und noch wenig risikosensibel sind. Das ist zwischen den Sportarten höchst unterschiedlich, aber auch innerhalb der einzelnen Landesverbände.
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