Bildung - Erstes Mannheimer Gymnasium kooperiert mit der Eugen-Neter-Förderschule und heißt nach den Sommerferien eine Außenklasse willkommen

Erstes Mannheimer Gymnasium mit Außenklasse einer Förderschule

Von 
Bertram Bähr
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Die 5d des Moll-Gymnasiums ist jetzt Patenklasse der Tigerkinder, die ab September in Neckarau unterrichtet werden. Bei einem Kennenlerntag knüpften die Kinder erste Kontakte. © Moll-Gymnasium

Mannheim. Sie haben die vergangenen vier Jahre gemeinsam in der Brüder-Grimm-Schule in Feudenheim verbracht – demnächst wechseln sie gemeinsam ans Neckarauer Moll-Gymnasium: Schülerinnen und Schüler des Eugen-Neter-Förderzentrums (ENS) für geistige Entwicklung. Mit ihnen betritt auch die Stadt Mannheim Neuland. Denn das Moll ist das erste Gymnasium, das eine Außenklasse aufnimmt – während es solche Kooperationen mit Grund-, Werkreal- und Realschulen seit langem gibt.

Seit gut drei Jahren bereiten Moll-Direktor Gerhard Weber und ENS-Rektorin Silvia Challal diesen Schritt vor. Dabei mussten sich beide erst einmal an den Gedanken gewöhnen, dass Kinder mit Entwicklungsverzögerungen im Gymnasium gut aufgehoben sein könnten. „Ich war anfangs sehr skeptisch“, räumt Weber ein. Aber das Land habe damals darauf gedrängt, dass auch Gymnasien ihren Beitrag zu kooperativen Formen der Inklusion leisten sollten. Im Verlauf der Gespräche „sind mir die Chancen klar geworden“.

Anfängliche Skepsis

Eine „gewisse Anfangsskepsis“ hatte auch Silvia Challal. Enge Taktung der Unterrichtsstunden, viele Menschen, „in gewisser Weise verlassen unsere Kinder ihren Schutzraum“. Andererseits sollen sie am Leben der anderen partizipieren, Kontakte mit ihnen knüpfen. Challal weiß, dass die Kinder, die demnächst wechseln, „eine gewachsene Gruppe“ sind. Das erleichtere vieles.

Die Eugen-Neter-Schule (ENS) auf der Blumenau steht Schülerinnen und Schülern offen, die wegen starker Entwicklungsverzögerungen den Bildungsgängen allgemeiner Schulen nicht folgen können und individuelle Hilfen benötigen. Etwa 260 Schülerinnen und Schüle

  • Die Eugen-Neter-Schule (ENS) auf der Blumenau steht Schülerinnen und Schülern offen, die wegen starker Entwicklungsverzögerungen den Bildungsgängen allgemeiner Schulen nicht folgen können und individuelle Hilfen benötigen.
  • Etwa 260 Schülerinnen und Schüler besuchen das Stammhaus auf der Blumenau. Daneben unterhält die ENS rund 20 Außenstandorte.
  • Bisher sind sie in erster Linie an Grund-, aber auch Real- und Werkrealschulen angesiedelt. Als erstes Gymnasium in Mannheim kommt jetzt das Moll dazu.
  • Sechs Schülerinnen und Schüler, die derzeit noch in eine Außenklasse der Brüder-Grimm-Grundschule in Feudenheim gehen, wechseln im September geschlossen nach Neckarau, ein weiterer Schüler kommt noch dazu.
  • Alle sind weiterhin ENS-Schüler. Im Moll haben sie ein eigenes Klassenzimmer als Rückzugsmöglichkeit. Klassenleiterin wird Anne Tebben (Moll), sonderpädagogisch durchgängig begleitet werden sie von Julia Timmerhues und Luisa Müller (ENS).
  • In Kooperationsstunden werden die ENS-Kinder der 5a plus in den Schulalltag der Moll-Klasse 5a integriert. Sie soll etwas kleiner sein als die Parallelklassen.
  • Sie werden an Ausflügen, Aktionen und regelmäßig an verschiedenen Unterrichtsstunden in Musik, Sport, Englisch, Kunst und anderen Fächern teilnehmen, kündigt Moll-Direktor Gerhard Weber an.
  • Die Kooperationsformen sind nicht festgelegt, sie sollen sehr individuell sein und können auch schon einmal bei verschiedenen Schülern unterschiedlich gestaltet werden. „Das darf und soll sich entwickeln“, sagt Weber.
  • Offen ist auch, wie lange die Außenklasse besteht. Die ENS-Schüler erhalten „zieldifferenten Unterricht“. Es geht um bestmögliche Förderung, nicht um das Erlangen des Abiturs. 

In der langen Vorbereitungszeit haben Weber und Challal nicht nur etliche Besprechungen mit Schulamt und Regierungspräsidium bewältigt – sondern mit Erfolg vor allem Eltern und Lehrkräfte beider Schulen mit ins Boot geholt. Die Eltern der ENS-Kinder, so Silvia Challal, wünschten sich vor allem eines: „Wir wollen gewünscht sein.“ Und genau das sei hier der Fall.

Das zeigte sich bei einem Kennenlerntag am 11. Mai, den Moll-Schülerinnen und Schüler vorbereitet hatten. So malten sie ein riesiges Moll-Logo auf den Pausenhof, extra für den Besuch aus Feudenheim. Von diesem Logo, so die ENS-Lehrerinnen Julia Timmerhues und Luisa Müller, seien sie und die Kinder als Gäste ebenso beeindruckt gewesen „wie von der Herzlichkeit der Gastgeber. So stand gegenseitiges, spielerisches Kennenlernen, gemeinsam Musik machen und singen, Sonnenblumen pflanzen (die hoffentlich dann im September zum Schulstart blühen) und ein tolles gemeinsames Picknick auf dem Programm“, geraten die Lehrerinnen ins Schwärmen. Die Gastgeberklasse 5d „wurde prompt zur Patenklasse erklärt und weitere gemeinsame Picknickrunden verabredet“.

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Nicht nur ein Zimmer bewohnen

„Wir denken, dass alle an diesem Tag mit dem Gefühl nach Hause gegangen sind, herzlich willkommen zu sein – und mit der Gewissheit, dass da etwas Gutes wachsen kann“, freuen sich Timmerhues und Müller auf den Start im September. Wie gut der Tag auch bei den Moll-Schülerinnen und Schülern ankam, zeigen ihre Aussagen. So berichtet Bilal von der 5d über die Begegnung mit Stefan: „Wir haben uns beim Picknick Geschichten erzählt und gelacht, besser ging es nicht.“ Mitschülerin Arina beschreibt den Kennenlerntag ausführlich und hält unter anderem fest: „Wir haben unseren Gästen einige wichtige Orte der Schule gezeigt. Anschließend sind wir in den Schulgarten gegangen. Dort haben sich alle Kinder Samen geben lassen. Jedes Kind durfte einen Sonnenblumensamen einpflanzen.“

Gemeinsame Aktionen und immer mal wieder gemeinsame Teilnahme am Unterricht sind das eine, der Schutzraum das andere. Den gibt es nach wie vor mit den beiden Sonderpädagoginnen und „im eigenen Klassenzimmer, das speziell eingerichtet ist“, so Silvia Challal. „Aber es ist schon unsere Zielsetzung, dass wir was mit den anderen Kindern machen und nicht nur ein Zimmer bewohnen.“

Seitens des Moll achte man darauf, dass die ENS-Kinder eine überschaubare Anzahl von Bezugspersonen bekommen, indem einzelne Lehrkräfte gleich mehrere Fächer übernähmen, teilt Weber mit. Klassenlehrerin wird Anne Tebben, gemeinsam mit dem stellvertretenden Moll-Leiter Christof Höger hat sie sich im März einen Tag lang das Christophorus-Gymnasium in Altensteig angeschaut. Dort gibt es bereits eine Außenklasse eines Förderzentrums für geistige Entwicklung.

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Hoffen auf Nachahmer

Gerhard Weber wünscht sich, dass in Mannheim in absehbarer Zeit andere Gymnasien dem Beispiel folgen. In einem Brief an die künftigen Fünftklässler-Eltern zeigt er sich überzeugt, das Projekt werde „viele schöne und bereichernde Unterrichtsstunden für alle ermöglichen. Wir freuen uns sehr über diesen Zuwachs und auf die vielen gemeinsamen Begegnungen und Unternehmungen.“

Auch die älteren Schülerinnen und Schüler am Moll haben sich Gedanken gemacht darüber, wie die Außenklasse zum Erfolgsmodell werden kann. „Wie schaffen wir es, dass sich keiner der Neuankömmlinge ausgeschlossen fühlt? Wie gehen wir miteinander um, und wie können wir einander unterstützen“, geht Rita Markau von der Jahrgangsstufe 1 auf die Überlegungen ein, die sie sich gemacht haben. Die Jugendlichen möchten zeigen, „dass eine Behinderung nicht bedeutet, ausgeschlossen und einsam zu sein.“ Alle seien gespannt, wie sich die Zusammenarbeit mit der ENS entwickeln werde. Es sei wichtig, alte Pfade zu verlassen und gemeinsam zu neuen Ufern aufzubrechen: „Wir freuen uns auf die Erweiterung unserer Schulgemeinschaft!“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim. Schwerpunkte: Schulen und Kitas

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