Er muss enormes Heimweh gehabt haben. Sein umfangreicher Schriftwechsel mit seiner Frau Toni geht von 1922 bis 1944 und umfasst etwa 252 Briefe. Sein letzter Brief vom 23./24. Juni nach Mannheim kam aus Russland, doch seit Juni 1944 gilt Karl Hage als vermisst – bei Lepel in Russland, heute Weißrussland. Um solche Schicksale geht es unter anderem am Sonntag beim Volkstrauertag, den der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ausrichtet. Er kümmert sich darum, dass Kriegstote eine letzte Ruhe finden.
Es ist eine Arbeit, die wohl nie aufhört – auch nicht 78 Jahre nach Ende des Zweiten und 105 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs. Denn immer wieder werden menschliche Überreste gefunden von Soldaten, die bei den schrecklichen Schlachten umgekommen und einfach zurückgelassen worden sind. Jährlich birgt der Verband die Gebeine von 12 000 bis 15 000 Toten. Und es gibt immer noch viele Vermisste.
Viele Opfer vermisst
Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge widmet sich im Auftrag der Bundesregierung der Aufgabe, die Gräber der deutschen Kriegstoten im Ausland zu erfassen, zu erhalten und zu pflegen. So pflegt der Volksbund in 46 Ländern mehr als 830 Kriegsgräberstätten, auf denen rund 2,8 Millionen Kriegstote begraben sind. Man wolle damit „einen Beitrag für Frieden und Verständigung leisten“, so Volker Schütze, der Geschäftsführer für Nordbaden. Finanziert werde das zum größten Teil über Spenden und Zuschüsse.
In dieses Jahr hat der Volksbund das „Eine-Million-Projekt“ gestartet. Dazu leisteten Helfer des Volksbundes den Sommer über Schwerstarbeit im fernen Wolgograd. Bei Temperaturen von bis zu 40 Grad exhumieren sie Massengräber eines Sammellagers, in dem bis Februar 1943 bis zu 3000 Kriegsgefangene gestorben sind. Sie arbeiteten fast rund um die Uhr. „Die Gefahr von Grabräubereien besteht akut“, berichtet Schütze aus den Erfahrungen der Teams. Das Ziel der Aktion: eine Million Tote des Ersten und Zweiten Weltkriegs bis zum Herbst zu finden und ordnungsgemäß zu bestatten.
Briefe von der Front
Dieses Ziel der Aktion „1 Million Gräber – 1 Million Schicksale“ ist erreicht worden, knapp eine Million Euro an Spenden kamen dafür zusammen. Nahe Kelme in Litauen wurde symbolisch der einmillionste Kriegstote seit 1992 in Osteuropa ausgebettet. Es handelte sich um einen Sanitätsgefreiten aus dem heutigen Sachsen-Anhalt, der anhand seiner – gut erhaltenen – Erkennungsmarke und der Unterlagen der Wehrmacht im Bundesarchiv identifiziert werden konnte. Dabei geht der Volksbund allein für Osteuropa noch von mehr als zwei Millionen nicht geborgenen Toten aus.
Veranstaltung zum Volkstrauertag
- Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge lädt zum Volkstrauertag am Sonntag, 19. November, um 14 Uhr in die Trauerhalle auf dem Hauptfriedhof ein.
- Nach der Begrüßung durch Alexander Manz, Vorsitzender Kreisverband Mannheim des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge, spricht Erste Bürgermeisterin Diana Pretzell das Grußwort der Stadt Mannheim. Die Gedenkrede hält Polizeipräsident Siegfried Kollmar.
- Die musikalische Umrahmung übernimmt ein Bläserensemble des Johanna-Geissmar-Gymnasiums unter der Leitung von Elgin Bohnenkamp, dessen Schülermitverantwortung auch einen Wortbeitrag zum Gedenken übernimmt.
- Am Ehrenmal übernimmt anschließend das Totengedenken Christoph Reifferscheid, Präsident des Bildungszentrums der Bundeswehr. Persönliche Gedanken ergänzt Julian Keil, ehrenamtlicher Geschäftsführer vom Kreisverband des Volksbunds. Es spielt der Posaunenchor Mannheim-Neckarstadt, darunter „Ich hatte einen Kameraden“ und die Nationalhymne.
Mit einer Collage aus 99 Porträts sowie einem Video darüber stehen 99 Kriegsopfer stellvertretend für die Tausenden von Toten, die der Volksbund schon umgebettet hat und deren Gräber er pflegt – oder für Menschen, deren Überreste er noch sucht. Und darunter finden sich auch Mannheimer – etwa Karl Hage. Er wurde am 9. Juni 1906 in Braunschweig geboren, lebte aber ab 1929 in Mannheim und war zu der Zeit noch ledig. Später heiratete er (Hochzeitstag: 16. Juni) und hatte zwei Töchter, Ursula und Renate. Seinen Sohn Wolfgang, über dessen bevorstehende Geburt er in seinem letzten Brief vom 23./24.6.1944 schreibt, wird er nie gesehen haben. Zuletzt diente er als Gefreiter in der 10. Kompanie im Grenadier-Regiment 406.
Im April 1944 schrieb er an seine Frau Toni einen Brief aus Rokitnitz im Adlergebirge in Tschechien. Im Mai berichtete er, dass er wieder bei seiner alten Truppe im Osten gelandet sei. Hage gilt seit Juni 1944 als vermisst. Sein Name und seine Daten sind im Gedenkbuch der Kriegsgräberstätte Schtschatkowo verzeichnet.
Ebenso aus Mannheim bei der Aktion erwähnt wird Heinz Schimmel. Er fiel am 26. Oktober 1944 in den Niederlanden. Seine letzte Ruhestätte fand er auf der Kriegsgräberstätte in Ysselsteyn, nach der Fläche die größte deutsche Kriegsgräberstätte weltweit. Geboren am 28. Januar in Mannheim, besuchte er die Volksschule in Nürnberg von 1921 bis 1925, danach ging er bis 1932 auf das Reformgymnasium und erhielt das Zeugnis für die Obersekundareife. Es folgten zwei Jahre als Praktikant bei der Reichsbahn und den Zündappwerken, ehe er eine Ausbildung zum Ingenieur absolvierte und 1937/1938 als Konstrukteur bei den Ernst Heinkel Flugzeugwerken in Rostock arbeitete. Nach dem Arbeitsdienst kam er 1938 zum 8./A.R. 17 (Artillerie-Regiment).
Erhalten ist von ihm ein Brief vom 12. Dezember 1944, in dem Heinz Schimmel seinen Angehörigen berichtet, dass er ein Gespräch mit einem Niederländer über das Thema „Krieg und Frieden und unseren Führer“ geführt habe. Darin beschreibt er die „Holländer“ als „drollig“, weil sein Gesprächspartner die Königin Wilhelmine „wieder haben“ wolle, und meint, dass die Niederländer eine falsche Vorstellung von „den Russen“ hätten. Wenn er auch erkennbar Stereotype seiner Zeit benutzt, so schreibt er dennoch, dass es spannend sei, eine „andere Seite“ zu hören. Auch sein Grab pflegt der Volksbund.
Zeichen für den Frieden
Wenngleich er 1922 vom damaligen Reichstagspräsidenten und SPD-Abgeordneten Paul Löbe ins Leben gerufen worden sei, hat der Volkstrauertag für Volker Schütze hohe „Relevanz und Aktualität“, gerade weil es wieder bei vielen Kriegen täglich Tote, Verletzte, Vermisste und Vertriebene gebe. Das Motto des Volksbundes „Gemeinsam für den Frieden“ scheine „ungehört zu verhallen“, bedauert er. „Das Gefühl, zum ohnmächtigen Zuschauen verurteilt zu sein, bedrückt viele“, weiß Schütze. „Wenn viele Menschen am Volkstrauertag teilnehmen, wäre dies ein Zeichen für ein friedliches Miteinander, gegen Gewalt und Krieg“, hofft er.
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